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„Herzlich WillKamen“ - So klappt Willkommenskultur

am . Veröffentlicht in Lokalnachrichten

„Herzlich WillKamen“: Buntes Fest unter freiem Himmel Foto: Katja Burgemeister für KamenWeb.devon Katja Burgemeister | Fotostrecke >>>

Kamen. Vor sechs Monaten ist sie nach Deutschland gekommen. Hinter ihr lag eine halsbrecherische Flucht mit zwei kleinen Kindern auf einem überfüllten Boot mitten in der Nacht über das Mittelmeer. Homs, ihre Heimatstadt in Syrien, lag da schon in Trümmern. Griechenland, der halbe Balkan, Österreich, schließlich Deutschland und Sicherheit. Zeina Al Chaar ist jetzt in Kamen wieder mit ihrem Ehemann zusammen, hat ihre Familie gerettet – und kann aufatmen. „Hier sind wir sicher“, sagt die junge Frau auf Deutsch. „Hier haben wir schon viele Freunde. Die Deutschen sind sehr nett!“

 

Viel mehr kann sie nicht erzählen, denn schon zerrt ihre Tochter aufgeregt an ihrem Arm. „Mama, will trinken und spielen!“, ruft sie energisch ebenfalls auf Deutsch und zieht ihre Mutter tief ins Getümmel rund um das Christophorus-Haus. Hier sind Spielstände aufgebaut, eine Hüpfburg, Malstände, auf einer Bühne erklingen arabische Lieder. Hier gibt es Popcorn und Zuckerwatte – Dinge, die es mitten im Krieg in Syrien nur im Traum gab. Von einem Grill riecht es verführerisch nach Schaschlik und arabischer Reispfanne. Rund herum surren Sprachen aus allen Ländern, an den Tischen sitzen und stehen Menschen aus der halben Welt bei türkischem Tee oder Essen von der Islamischen Union. „WelKamen“ heißt das große Straßenfest, das schafft, was es sich vorgenommen hat: Die Menschen zusammen bringen.

Ein junger Mann zupft begeistert an einer quietschgrünen Zuckerwatte und schiebt sie genießerisch in den Mund. Entsetzt lehnt sein Gegenüber das Angebot zum Probieren ab, fasst die komische Masse dann aber doch neugierig an und riecht skeptisch daran. Herzhaftes Lachen breitet sich aus. Ein Deutscher kommt dazu und erklärt auf Englisch, was es mit dem wattigen Zeug an der Holzstange auf sich hat. Hier wird nicht über Politik, Krieg, abgeriegelte Grenzen, Visa und das besprochen, was die Zukunft bringen mag. Hier zählt einfach nur der Moment und der hat viel Neues und viel Spannendes zu bieten. Und macht wenigstens ganz kurz vergessen, was viele Flüchtlinge hinter sich und noch vor sich haben.

Für Ahmad ist das ein Moment, in dem er einmal nicht ständig an den Krieg denken muss. Seine drei Kinder und seine Frau sind noch immer in Syrien. In Damaskus sind Krieg und Tod noch immer Alltag. Auch er hat eine wahre Odyssee hinter sich. In mehreren Transportern musste er sich aus Syrien hinausstehlen. Es ging über die Türkei, nach Griechenland mit einem Boot, ausgegangenes Benzing mitten auf dem Meer, die Gewissheit, dass er ertrinken wird, wenn das überfüllte Boot kentert. Rettung in letzter Minute. „Es war einfach nur schrecklich“, sagt er. Jetzt ist er seit vier Monaten in Deutschland – dem Ort, an den er sich schon vor 20 Jahren geträumt hat. „Deutschland war für mich  immer ein Paradies, denn in Syrien war ich mit palästinensischen Wurzeln nie frei, nie sicher.“ Hier erhofft er sich ein besseres Leben. Das Paradies ist allerdings weit entfernt: Eine fremde Sprache, völlig andere Kultur, Bürokratie, Flüchtlingsunterkunft, der verlorene Beruf als Zimmermann, die Familie zurückgeblieben in höchster Gefahr mitten im Bürgerkrieg. „Ich denke jede Sekunde an Syrien, an meine Kinder und an meine Frau.“

Doch jetzt tritt die Bauchtanz-Gruppe auf und ganz andere Dinge zählen. Alle versammeln sich vor der Bühne, tanzen Arm in Arm mit, klatschen kollektiv im Takt. Unter einem Zelt wird heftig über die ausgestellte Kunst diskutiert. Auf der Hüpfburg kugeln sich deutsche, syrische, pakistanische Kinder gemeinsam durch die verschlungenen luftigen Höhlen und haben nicht das geringste Problem mit der Sprache. Viel wichtiger sind die bunten Masken, die alle im Gesicht tragen und welche davon die schönste ist. Schon ist auf der Bühne wieder etwas los mit HipHop und Weltmusik – das haben die meisten noch nie gehört und gesehen und alle staunen gemeinsam schlichtweg Bauklötze.

Mirela Cosovic beobachtet das alles mit mehr als Zufriedenheit. Die Mit-Organisatorin des Straßenfestes ist selbst als Zweijährige mit ihren Eltern vor dem Balkankrieg nach Deutschland geflohen. „Ich weiß, was es heißt, fliehen zu müssen“, sagt sie. „Ich hätte mir damals als Kind so ein Fest gewünscht – damit man sich begegnet, sich kennen lernt, besser die Kultur verstehen lernt.“ Deshalb engagiert sie sich im Verein „Pro Mensch Kamen“ für Flüchtlinge.

Wie so viele. Etwa Astrid Göldner, die an diesem Samstag Kindergesichter im Akkord bemalt. Sie steuert auch ein anderes Projekt des Vereins. Kinder aus verschiedenen Schulen sollen sich zum Thema Willkommen/Ankommen/Zukunft ausdrücken: Mit Bildern, Farben, Collagen, Fotos – egal was, ob allein oder als Gruppe. Eine Jury aus Mitgliedern der Kunstakademie Düsseldorf wird aus den eingereichten Werken auswählen. Das Ergebnis wird ausgestellt, die besten Werke kommen in einen Kalender, der später verkauft wird. Von den Sommer- bis zu den Herbstferien hat die Kreativität freie Bahn. Man darf gespannt sein! Wenn es so erfolgreich wird, wie das Straßenfest, muss der Verein Pro Mensch wohl eine eigene Ausstellungshalle bauen…

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