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Kamen im Gedicht

Geschrieben von Redaktion am . Veröffentlicht in Stadtgeschichte

von Klaus Holzer
 
Es gibt ein eigenes Genre Großstadtlyrik, entstanden zu Beginn des deutschen Kaiserreiches, als das Land sich anschickte, die Industrielle Revolution zu einem wirtschaftlichen Erfolg zu machen. Überall entstand Industrie, Arbeitsuchende strömten aus den ländlichen Provinzen des Reiches in die Städte und machten sie zu Großstädten. Dieses Wuchern der Bevölkerungszahlen provozierte die Naturalisten Otto Erich Hartleben und Johannes Schlaf u.a., das damit aufkommende neue Lebensgefühl – Vermassung, soziales Elend und die Vereinsamung des Einzelnen inmitten der Masse in den Großstädten – in ihren Gedichten zu beschreiben.

Bereits 1903 erschien die erste Anthologie deutschsprachiger Großstadtlyrik, die sich nicht mehr objektiv mit dem Thema befaßte, sondern es aus der subjektiven Sicht des einzelnen darstellte.

1920 änderte sich der Tonfall radikal, als Gedichte der Expressionisten im Sammelband „Menschheitsdämmerung“ Endzeitgefühle und Fortschrittsvisionen miteinander verbanden, als Gegenpole das eine ohne das andere ohnehin nicht denkbar, schon gar nicht, weil der Erste Weltkrieg gerade zu Ende gegangen war. 

1931 dann waren es die Protagonisten der „Neuen Sachlichkeit“, die politische, soziale und wirtschaftliche Themen in ihrer Lyrik verarbeiteten.

Mit dem Beginn des Nationalsozialismus kam dieses Genre an sein Ende.

Kamen ist keine Großstadt, doch gibt es Lyrik, die sich ganz besonders mit unserem Städtchen beschäftigt. Es finden sich unter den Autoren keine Namen wie Kästner, Lichtenstein, Rilke, Trakl, Brecht, Heym, Benn, Ringelnatz oder Kalèko, dafür erscheint Kamen aber auch nicht als alles verschlingender Moloch, in dem nur monotones, eingeschränktes, d.h., unfreies Leben möglich ist. Kamen wird als liebenswertes Städtchen dargestellt, mit seinen Eigenheiten, seinen typischen Bauwerken. Und eigentlich geht es nirgends ohne den schiefen Turm, der in seiner Monumentalität  auch heute noch stadtbildprägend ist. Immer spiegelt sich die Liebe des Autors zu seiner Heimat wider, immer wird gereimt, auf diese Weise das harmonische Grundgefühl betont. Und meist wird Kamen auch bewußt in Westfalen verortet.

In der Einleitung zu dem folgenden Gedicht heißt es 1956 in „Heimat am Hellweg“, dem Vorläufer des Heimatbuches des Kreises Unna: Aus „vereinter Liebe zur Poesie und Geographie“ hat Carl Hengstenberg, weiland Pfarrer zu Wetter in der Grafschaft Mark, im Jahre 1819 bei Bädecker in Essen seine „Geographisch-poetische Schilderung der Provinzen Westfalen und Rheinland“ erscheinen lassen. Mit Vergnügen ist diese gereimte Landeskunde noch heute zu lesen. Wir entnehmen dem kunstvollen Werk die folgenden Strophen, aus denen zuletzt auf Notgeldscheinen nach dem ersten Weltkrieg öffentlich im Hellwegkreis zitiert wurde.“ D. Schr.

Pfarrer Johann Heinrich Karl Hengstenberg (1770 - 1834) war ab 1799 einige Jahre Prediger an der Fröndenberger Stiftskirche.

Wo sich die Ruhr durchs Tal der Weiden windet,
Die Lenne schnell durch Hochgebirge rauscht,
Die Lippe still den Weg zum Rheine findet,
Die Emscher durch Getreideebnen lauscht,
Wo an der Volme laut die Hämmer schallen,
Wie an der Enn’pe lebensvollem Rand,
Wo Zesicke und Ahse langsam wallen,
Da ist Westfalens Mark, ein schönes Land.

Die Kohle wird in Erdennacht gegraben
Und röthlich strahlt die sichre Feuerglut,
Leicht schwimmt die köstlichste der Landesgaben
Zum fernen Rheine auf des Hauptstroms Flut.
Reich fließt zu Königsborn des Salzes Quelle,
Sie rinnt zu Sassendorf im Korngefild;
Im Süderland trinkt aus des Baches Welle,
Aus der Forelle Aufenthalt das Wild.

Schwer zieht in Unna ein der Erntewagen,
Reich fließt der Salzquell zu in Königsborn,
Hier winkt ein Soolenbad in heitern Tagen,
Hier träufelt manche Wand von schwarzem Dorn.
Gleich Unna baut sein Feld das nahe Camen,
und hat wie Piesa seinen schiefen Turm.
Der Bürger streut voll Hoffnung reichen Samen
Die Zesicke bleibt ruhig selbst beim Sturm.

Ein wenig abgewandelt und illustriert von „J. Simon“* und „E. Rei.“* erscheint es im 20. Jh. in dieser Form:

KH720 Kamener Heimatspruch 1819Abb. 1: Kamener Heimatspruch

 

KH720 Klares WasserAbb. 2: „Klares Wasser"Offenbar begründet Hengstenberg damit eine Tradition, denn schon drei Jahre später erscheint im „Westdeutschen Musenalmanach“ für 1824, herausgegeben von Johann Baptiste Rousseau (1802 - 1867)  ein „Trinklied“, das ausgerechnet den Märkern einen Hang zur Abstinenz andichtet. Da er sie am Ende aber auffordert, zu prüfen, wie weit er recht hat, vermutet er wohl nicht zu Unrecht, daß vom erwähnten „klaren Wasser“ der Märker vielleicht nur den Klaren  trinkt und das Wasser wegläßt. Heinrich Heine jedenfalls stellt fest (s.u.), daß sie gut trinken und meint bestimmt nicht Wasser, sind sie doch gemeinsam mit Heine „unter die Tische gesunken“.  

Der größte, der wohl je über Westfalen geschrieben hat, ist Heinrich Heine (1797 - 1856). Es fällt auf, wie sehr er die Westfalen schätzt. Am deutlichsten wird das wohl in der Formulierung „sentimentale Eichen“. Für ihn sind sie treu und wacker, stehen mit beiden Beinen auf dem Boden, doch hofft er, daß sie vor Helden und Heldentaten bewahrt werden, aber auch, daß die hübschen Mädchen unter die Haube kommen – bei Heine geht es nie ohne Ironie.
In Caput X (lat.: Abschnitt, Kapitel) von „Deutschland. Ein Wintermärchen“ (1844) heißt es:
(zitiert nach: Heinrich Heine, Werke, Erster Band, S. 445f, Frankfurt/M. 1968)

Caput X.

Dicht hinter Hagen ward es Nacht,
Und ich fühlte in den Gedärmen
Ein seltsames Frösteln. Ich konnte mich erst
Zu Unna, im Wirtshaus erwärmen.

Ein hübsches Mädchen fand ich dort,
Die schenkte mir freundlich den Punsch ein;
Wie gelbe Seide das Lockenhaar,
Die Augen sanft wie Mondschein.

Den lispelnden westfälischen Akzent
Vernahm ich mit Wollust wieder.
Viel süße Erinnerung dampfte der Punsch,
Ich dachte der lieben Brüder.

Die lieben Westfalen, womit ich so oft
In Göttingen getrunken,
Bis wir gerührt einander das Herz
Und unter die Tische gesunken!

Ich habe sie immer so lieb gehabt,
Die lieben, guten Westfalen,
Ein Volk so fest, so sicher, so treu,
Ganz ohne Gleißen und Prahlen.

Wie standen sie prächtig auf der Mensur
Mit ihren Löwenherzen!
Es fielen so grade, so ehrlich gemeint,
Die Quarten und die Terzen.

Sie fechten gut, sie trinken gut,
Und wenn sie die Hand dir reichen
Zum Freundschaftsbündnis, dann weinen sie;
Sind sentimentale Eichen.

Der Himmel erhalte dich, wackres Volk,
Er segne deine Saaten,
Bewahre dich vor Krieg und Ruhm,
Vor Helden und Heldentaten.

Er schenke deinen Söhnen stets
Ein sehr gelindes Examen,
Und deine Töchter bringe er hübsch
Unter die Haube – Amen!

Zwischen Unna und Kamen bestand seit Jahrhunderten eine Rivalität, wie man sie zwischen Nachbarstädten oft findet. Kamen war im MA lange Zeit die reichere und stärkere Stadt: Man hatte mehr Burgmannshöfe, ein Stadttor mehr, hatte die längere Stadtmauer und eine Reihe Privilegien, deren sich Unna nicht rühmen konnte. Die eine Stadt maß sich immer an der anderen. Und man neckte einander, durchaus nicht nur freundlich. Riefen die Unnaer ihren Nachbarn spöttisch „Kömsche Bleier, Kömsche Bleier“ hinterher, revanchierten sich diese mit „Esel Unna, Esel Unna“. Dann jedoch ging Kamens Stern im Verlaufe des 16./17. Jh. unter (Krieg, Pest, viele Stadtbrände), und Unna rückte vor und gab diese Stellung im Verhältnis zu Kamen auch nicht mehr ab.

So verstand man es dort, wie die Kamener Zeitung im November 1927 berichtete, vor allem im 19. Jh. vorzüglich, Behörden und sonstige Anstalten in seine Mauern zu holen: Landwirtschaftliche Winterschule, Katasteramt, Kulturamt, Bergrevieramt u.a. Da kam es ganz schlecht an, daß Kamen plötzlich in dieser Beziehung auch Ehrgeiz bekam und es schaffte, das Bergrevieramt von Unna nach Kamen zu holen. Da war man in Unna äußerst ungehalten. Als Kamen sich dann auch noch erdreistete, einen offiziellen Protest gegen eine Verlegung des Landratsamtes von Hamm nach Unna einzulegen, erboste sich der Unnaer „Bürger E…“ so sehr, daß er ein Schmähgedicht gegen die Kamener in einer Unnaer Zeitung veröffentlichte:

Der Protest

Ein Bleier war versunken
Tief in Philosophie.
Sein Hirn sprüht Licht und Funken
Denn er war ein Genie.

Er gab dem Esel Dalles*
Und fand es unerhört,
Daß dieser, statt des Stalles,
Ein Landratsamt begehrt.

Ein jeder Bleier brummte
Ihm Beifall ernst und fest,
Die Seseke selbst summte
Bei solchem Sturm Protest.

Sogar der Kirchturm zeigte
Sich voll Respekt und tief
Er still sein Haupt verneigte,
Er steht noch heute schief.


Doch ließ die Antwort eines unbekannten Kameners nicht auf sich warten. Der reimte bissig zurück:

Des „Bleiers“ Antwort

Ist denn ein Bleier je versunken?
Nein, Esel, dies sahst Du nie!
Doch deines Hirnes Geistesfunken,
Die zieren wahrlich kein Genie.

Und hast du noch dazu den Dalles*,
Dann ist es wirklich unerhört,
Daß man statt eines Eselstalles
Ein hohes Landratsamt begehrt.

Und wenn der Bleier wirklich brummte,
– Er brummt noch öfter ernst und fest, –
Und wenn sogar die Ses’ke summte –
Das, Meister Langohr, war Protest.

Sogar der Kirchturm sich verneigte,
Er macht aus seinem Zorn kein Hehl.
Er neigt sein altes Haupt und zeigte
Dem Esel nur sein – Achterdeel.

Drum, Nachbar Esel, laß dir raten,
Dein „Kohl“ reicht nicht an uns heran.
Die Tauben werden erst gebraten,
Bevor man sie genießen kann.

*Armut, Not, Geldverlegenheit

1851 schrieb der Hofrat am Oberlandesgericht Hamm, Moritz Friedrich Essellen (1796 - 1882), in seiner „Beschreibung und kurzen Geschichte des Kreises Hamm und der einzelnen Ortschaften in demselben“ über Kamen:
„Einer Sage nach erhoben die Bewohner von Camen, als die Erbauung von Unna begonnen wurde, dagegen mit den Worten Einspruch: „dat is us to nahe“ und daraus soll sich der Name Unna gebildet haben“, was aber eher unwahrscheinlich ist. Volksetymologie wird so etwas genannt und ist in der Regel eine hübsche Geschichte, die zu erzählen sich lohnt und die Eingang in den örtlichen Erzählschatz findet, doch einer wissenschaftlichen Grundlage entbehrt.

Emil Busch* veröffentlichte im Westfälischen Anzeiger am 26.11.1943 folgendes Gedicht auf Platt, das damals wohl noch von den meisten Kamenern gesprochen, mindestens aber verstanden wurde. Er personifiziert den schiefen Turm, macht ihn zum liebevollen Beobachter, dem seit dem MA vom Treiben der Kamener in den Straßen und Gassen des Städtchens nichts entgeht.


De scheiwe Turm van Komen

In welke Strote man auk steiht,
et süht de scheiwe Turm -
un wat do um de Wiäge geiht,
hei weit en Liäwenssturm!

Domet hei bietter liuschen kann.
het hei sik sachte döppt -
diu meinst, hei wüßte nichts dovan, 
gläuf jo nich, dat hei schlöppt!

Hei hiät all manchet leiwe Johr
dat Spielwerk sich beseihn,
bläos dat hei schweigen deit dovan -
dorüm kast diu die frein!

Op’t Liuschen da iss hei bedacht,
vannt Oller an de Tiet, -
doch nimm en biettken di in acht,
dat hei nich alles süht!

Übersetzung:
In welcher Straße man auch steht,
Das sieht der schiefe Turm -
Und was da auf den Wegen g’schieht,
Es weht ein Lebenssturm!

Damit er besser lauschen kann,
hat er sich leicht geneigt -
Du meinst, er wüßte nichts davon, 
glaub ja nicht, daß er schläft.

Er hat so manches liebe Jahr 
die Spielereien sich besehn
bloß daß er schweigen tut davon -
Darüber kannst du dich doch freu’n!

Aufs Lauschen, da ist er bedacht,
von alters her bis heute hin -
Doch nimm ein bißchen dich in Acht,
daß er nicht alles sieht.
 
Nachträgliche Anmerkung:
Wolfgang Freese bietet für Z.4 folgende Übersetzung an:
„Er kennt einen Lebenssturm.” „weit” wird als „kennen, wissen” verstanden, was auch mit der Lautentwicklung übereinstimmt:
t s (vgl. water Wasser). Diese Zeile würde dann also bedeuten: Er kennt/weiß etwas vom Leben. Was auch gut zur letzten Zeile des Gedichts passen würde.

Die 1000 Jahre zwischen 1933 und 1945 stellten in fast jeder Hinsicht eine Zäsur dar, gedichtet wurde aber auch danach noch. Kamen war zu beträchtlichen Teilen zerstört. Viele Leute waren in den Bombennächten zu Tode gekommen, viele Häuser zerstört, und Flüchtlinge aus dem Osten strömten in die Stadt. Da paßte es wunderbar, als man 1948, kurz nach der Währungsreform, eine Feier zum 700-jährigen Bestehen Kamens als Stadt feiern konnte. Ja, wenn’s denn so gewesen wäre.

Es ist heute nicht mehr feststellbar, ob die Kamener nach einer Gelegenheit suchten, solch eine Feier zu veranstalten, um ihrer Stadt eine Perspektive für die Zukunft zu geben oder ob es nur der versehentliche Zahlendreher war, der sie die 700-Jahrfeier 1948 statt 1984 feiern ließ. Und dabei gibt es eigentlich kein festes Datum, das die Erhebung Kamens zur Stadt belegt. Fest steht nur, daß das erste Stadtsiegel aus dem Jahre 1284 stammt und es da bereits 40 Jahre lang die Stadtmauer gab. 
 
Gleichgültig, wie es nun wirklich war – es wurde wieder gedichtet. Zur 700-Jahrfeier 1948 erschien das folgende Gedicht von Pfarrer Friedrich Hagemann (17.10.1900 - 7.7.1987) im Festheft: 

Unsere alte Stadt

Eng sind die Winkel und die Straßen,
die Häuser verwittert und alt, 
in denen die Väter schon saßen.
Der Schritt der Vergangenheit hallt.

Marktplatz und Rathaus inmitten,
ganz nahe der schiefe Turm,
durch ihn wohl gedeckt, ist erstritten 
der Sieg oft im härtesten Sturm.

Stand nicht die Burg dort des Grafen? -
Die Wehren sind längst gesprengt.
Weit offen die Tore dem Braven,
der ehrlich und rechtschaffend (sic!) denkt.

Gerber und Schuster weit trugen
den Namen der Stadt ins Land,
der Ruf von dem treuen und klugen,
dem fleißigen Handwerkerstand.

Neben den Bürgern die Bauern,
bestellten, so zäh, das Feld.
Ihr Hof in dem Schutze der Mauern,
die Äcker im freien Gezelt.

Brach eine größere Stunde
dann an für die kleine Stadt!
Da drunten im düsteren Grunde
verborgen sie Schatzkammern hat.

Sind zu ihr Knappen gezogen,
die trieben den tiefen Schacht,
sie spannten der Querschläge Bogen.
Zu Tag ward die Kohle gebracht.

Da ist die Stille vergangen:
Du, Kamen, bist Bergmannsstadt.
Jahrhunderte in die erklangen.
Glück denn zur ferneren Tat!

Friedrich Hagemann

Lediglich am Ende der ersten und der zweiten Strophe klingt vielleicht unterschwellig die jüngste Vergangenheit durch, sonst bezieht der Dichter sich ausschließlich auf die frühe Vergangenheit. Sicher ist sicher.
1958 feierte das Städtische Neusprachliche Gymnasium Kamen ganz offiziell sein 100-jähriges Bestehen. Damit war man eigentlich recht bescheiden, kann man doch, mit einigem Recht, auch eine mehrhundertjährige Vergangenheit annehmen, wie es Bürgermeister Beckmann und Stadtdirektor Heitsch in ihrem Geleitwort zur Festschrift tun: „… und schließen auch die Präzeptoren der alten Lateinschule, die sich bis in die vorreformatorische Zeit zurückverfolgen läßt, mit ein.“ Hier schließen sie das 16. Jh. und den ersten nachgewiesenen Rektor der damaligen Kamener Lateinschule, Antonius Praetorius (vgl. Artikel Antonius Praetorius auf www.kulturkreiskamen.de), mit ein. Offenbar waren damals mehr Leute darauf eingestimmt, Gedichte zu konkreten Themen und Anlässen zu schreiben, denn wieder erschien in der Festschrift ein Gedicht, dieses Mal verfaßt von Karl („Pömm“) Schulze-Westen (23.5.1886 -  22.12.1969), der von 1916 - 1953 an der Kamener Schule* unterrichtete, zuletzt als Oberstudienrat:

Die alte Schule

Ein Epilog

Ihr wandted heute sinnend Euren Blick
zurück; und was die Schule einst gewesen,
und was die Gegenwart bewirkt und will:
auf diesen Blättern habt Ihr es gelesen.

Die Schule ist nicht Haus nur oder Raum –
gewechselt haben sie im Gang der Zeiten;
durch immer andere Pforten sah man hier
die Jugend froh zum Quell des Wissens schreiten.

Es wandelten der Name sich, die Art,
der Plan und Weg, die zeitgebundnen Normen;
doch eines blieb sich gleich als Sinn und Ziel:
in Geist und Zucht ein Menschenbild zu formen.

Es zieht durch manch Jahrhundert schon sich hin
der Schulgeschlechter lange Ahnenreihe,
und stets aufs neue hat die Jugend hier
gespürt des strengen Denkens Hauch und Weihe.

So traten sie von dieser Schule her
voll Zukunftsplänen hin ins freie Leben
und bauten freudig weiter auf dem Grund,
den Lehrer schufen, nun in eignem Streben.

Verschieden wurde ihres Schicksals Bahn:
der eine stieg, ein andrer ist gesunken;
und mancher hat in früher Jugendzeit
des Schlachtentodes bittren Kelch getrunken.

Die Stätte, wo die Burg einst stand, ist leer –
der neuen Zeit Symbol sind Zechenschlote;
und nur der Kirchturm, fest aus Quaderstein,
verblieb als grauer Zeiten letzter Bote.

Du, Schule, aber, aus der gleichen Zeit 
entstammt, wirst auch im Takt der Stahlmaschinen,
der unsre Tage ruhelos durchpulst,
in dieser kleinen Stadt dem Ganzen dienen.

Karl Schulze-Westen

In seinem Buch von 1997 „Wenn ein Bergwerk erzählen könnte …“ erzählt Günter Stahlhut (2.7.1943 - 10.6.2007) die Geschichte der Zeche Monopol und erläutert ihre Bedeutung für Kamen. Sein Buch ist voller Wehmut über das Ende des Bergbaus in Kamen und auch er kann sich nicht enthalten, ein Gedicht ans Ende seines Buches zu setzen. Er nimmt die Position „seiner“ Zeche ein und reimt in der Ich-Form, wie schon Emil Busch zuvor, personifiziert „seine“ Zeche, zeigt seine enge Verbundenheit, ja seine Identifizierung mit ihr, bringt eine politische Stellungnahme zu Papier:

Zum Abschied

Tod und Sterben liegt nicht in unserer Macht,
doch daß es mich so schnell ereilt, hätte ich nicht gedacht.
Ich fühlte mich wohl, ich war gesund,
trotzdem kam für mich das Aus, ganz ohne Grund.
Unter dem Namen Monopol war ich bekannt,
mit meinen Schächten nach Grillo und Grimberg benannt.
Ich gab den Menschen hier Arbeit und Brot,
nur helfen konnte ich ihnen nicht, in ihrer Not.
Der falschen Politik waren sie unterlegen,
denen verzeiht man nicht, noch wird man ihnen vergeben.
Mein Name war gut und weithin bekannt 
und meine Kumpels sind für mich gerannt,
haben gemahnt und demonstriert,
haben sich ihrer Meinung nicht geniert,
um mich am Leben zu erhalten
und gemeinsam die Zukunft zu gestalten.
Doch die Ohnmacht, die Sorgen drücken schwer,
hieß es doch bald, man wollte mich nicht mehr.
Undank ist der Welten Lohn und Preis,
wen kümmern hundert Jahre Kumpelschweiß.
Wo sind die Freude geblieben, wo sind sie hin,
wer gab ihnen Verrat und anderen Sinn.
Ich bin des Kämpfens müde und lege mich zur Ruh,
deckt ihr mich, mit Eurem Gedenken, auf meinem Sterbebette zu.
Vergeßt mich nicht und meinen Lebenslauf,
ich wünsche Euch allen, von Herzen „Glück auf“!

Günter Stahlhut

Folgendes Gedicht nimmt nicht explizit Bezug auf Kamen, doch ist es hier entstanden und preist die Kamener Molkerei, an die heute kaum noch jemand erinnert (vgl.a. Artikel „Westicker Straße“ www.kulturkreiskamen.de).

Dieses Gedicht ist der Festschrift „60 Jahre Molkerei“ vorangestellt, deren Jubiläum am 25. Oktober 1950 begangen wurde. Der Name des Autors wird nicht genannt, doch ist der Text recht interessant, weil der Tonfall noch ganz eindeutig der der alten Zeit ist, die noch nicht lange vorbei war.

Prolog

DAS WERK

In 60jährigem harten Ringen
Das schöne Werk schuf Bauernfleiß,
Die Opfer, Not und der Gegenwillen
Bezwang am Ende doch der Bauernschweiß.

Schwer war das Werk, das die Väter einst begannen,
schwer war die Last und schwer die Saat,
Doch ihre Saat trägt nun reichlich Samen
Und lohnte Gott der Väter gute Tat.

Und wenn wir einst von hinnen scheiden
Stehn soll das Werk, das der Bauer schuf
Es soll dem Bauer nimmermehr entgleiten
Drum horchet auf der Mahner Ruf.

Das Werk soll fernerhin begleiten
Echt deutsche Einigkeit und Treu
Und Friede auch, in allen Zeiten
Dies unser Wunsch zum Geburtstag sei.


Kamen führte früher „Westfalen“ auch als Bestandteil der postalischen Adresse:  (21 b) Kamen i. Westf., es definierte sich immer deutlich als westfälisch, und die Westfalen verstanden sich schon immer als ganz eigener Volksstamm. Westfälischer Schinken und  Pumpernickel sind westfälische Köstlichkeiten, doch dürfen auf keinen Fall die dicken Bohnen mit Speck vergessen werden. Über sie gibt es sogar ein Gedicht, geschrieben vom Dortmunder Verleger und Schriftsteller Karl Prümer (1846 - 1933), „dem plattdeutschen Dichter der westfälischen Mark“.

Lob der Dicken Bohnen

Ihr Lieben, die ihr scharenweise
jetzt aus den samt’nen Zellen springt,
ihr seid’s wohl wert, daß man euch preiset
und euch ein frohes Liedchen singt.
Des Sommergartens gold’ne Kronen
seid ihr, beliebte Dickebohnen.

Wenn sie gleich schmucken Kavalieren,
mit Helm und Harnisch angetan,
auf blanker Schüssel paradieren,
fängt nicht das Herz zu hüpfen an?
Seht doch, wie lieblich sie uns winken,
mit dem Kumpan, dem warmen Schinken.

Es sehnet sich nach euch ein Jeder,
sei jung er, alt, arm oder reich.
Der Jan liebt euch im Wams von Leder,
Marie im Hemdchen zart und weich.
Wer kein Porz’llan hat, speist von tonen
Geschirren euch mit Lust, ihr Bohnen.

Kenn’ keine Speise, die so deftig
den Körper nährt und ihn macht stark.
Drum sind die Menschen auch so kräftig
bei uns, hier in der Grafschaft Mark.
Viel rüst’ger als in heißen Zonen,
wo nicht gedeihn die Dickebohnen.

Wenn ich den schweren Hammer schwinge
von morgens früh, bis’s Mittag ward,
so bin ich gleichwohl guter Dinge,
weiß ich doch, was nun meiner harrt:
die Frau wird meinen Fleiß belohnen
mit schwarzgeköppden Dickebohnen.

Ihr Erdengötter auf den Thronen,
ihr seid doch wirklich übel dran,
denn ihr kriegt niemals Dickebohnen,
die hier erfreun den Handwerksmann.
Die Ananasse und Melonen, - 
was sind sie gegen Dickebohnen!

Im Gasthof speist’ ein Herr aus Brüssel,
der – denkt euch! – kannte sie noch nicht.
Da bracht’ der Kellner eine Schüssel,
auf welcher dampfte das Gericht:
„O, wie das schmeckt! Hier möchte’ ich wohnen,
im schönen Land der Dickebohnen.“

Manch Schlanker unter den Notabeln
(Kenn’ manchen Bürgermeister auch)
wünschet sich einen respektablen
und stattlichen Beamtenbauch.
Ihr Herrn, laßt euch die Bohnen munden,
so wird bald euer Bauch sich runden.

Nun, Freunde, füllet die Pokale
mit Klarem, das dem Fels entsprang,
stoßt an, beim Dickebohnenmahle.
Zum Himmel steige unser Sang!
Auf, jung und alt, auch ihr Matronen!
Ein „Vivat hoch“ den Dickebohnen.

Laßt – apropos – uns nochmals klinken,
(Hätt’ ich es bald vergessen doch)
den Braven, die den guten Schinken
uns liefern, ihrer denket noch.
Greift noch einmal zu den Pokalen:
Ein „Hoch“ den Brüdern in Westfalen!


Es gibt auch einen direkten Bezug zwischen den dicken Bohnen und Kamen. Wie wir alle wissen, gibt es seit Jahrhunderten in Kamen Kirchen der beiden großen christlichen Bekenntnisse: die Severinskirche (seit 1920 Pauluskirche) seit dem Beginn des 12. Jh., die Lutherkirche seit 1744 und die Kirche Hl. Familie seit 1902. Das größte Geläute hängt in der ältesten Kirche, das zweitgrößte in der Hl. Familie, und die Lutherkirche hat das kleinste, hellste Geläut. Sie sollen zusammen den Vers läuten: 

Pauluskirche: Graote Baonen mit Speck (2x)
Heilige Familie: Die mag ich nicht (2x)
Lutherkirche: Dann gib sie mir (2x)

Und das, obgleich die „graoten Baonen mit Speck“ eher im Münsterland zu Hause sind, und nördlich der Lippe ist man bekanntlich katholisch.

Bei allen Gedichten über Kamen scheint immer durch, was der zweite Kamener Stadtchronist, Friedrich Pröbsting, 1901 ans Ende seiner „Geschichte der Stadt Camen und  der Kirchspielsgemeinden von Camen“ setzt:

„Es giebt nur ein Camen!“

Oder wie die Kamener es selber aussprachen, auf Platt nämlich: 

„Et giet men ein Komen!“

* Zum ersten Mal veröffentlicht im Heimatbuch des Kreises Unna, Jg. 1927
Emil Busch wurde 1897 als Sohn eines Anstreichers in Heeren geboren und begann 1912 eine Maler- und Anstreicherlehre. 1929 legte er die Meisterprüfung als Malermeister ab. Im Dezember 1944 starb Emil Busch in Werne. Emil Busch illustrierte in den Jahren nach dem 1. Weltkrieg zahlreiche Heimatkalender, von denen wiederum in den 1980er Jahren Kalender von der WAZ neu aufgelegt wurden. Außer zahlreichen Federzeichnungen, Aquarellen und Gemälden fertigte Busch auch Gedichte an, ein Gedichtband hieß "Sturm und Stille " und wurde im Montanus Verlag in Wuppertal veröffentlicht. Außerdem malte er zusammen mit seinem Bruder den Altarraum der Lutherkirche aus.
  • Wer unter den Lesern weiß, wer die Illustratoren dieses Gedichts (vgl. Abb. 1) sind: J. Simon und E. Rei.?
  • Das heutige Städtische Gymnasium Kamen hatte in seiner Geschichte, je nach Status, verschiedene Namen: vor dem II. Weltkrieg Städtische Oberschule für Jungen; ab 1949 Städtisches Neusprachliches Gymnasium; seit der Enttypisierung 1973 Städtisches Gymnasium Kamen.
Vielleicht gibt es noch mehr Gedichte und Lieder aus und über Kamen. Ich würde mich freuen, wenn Leser dieser Zusammenstellung einige Lücken füllen und eventuell weitere Gedichte und Lieder beisteuern könnten.
 
 
 

Mobiles Heimatmuseum Südkamen: “Ein Stadtteil entdeckt seine besondere Identität“

Geschrieben von Redaktion am . Veröffentlicht in Stadtgeschichte

suedkamenhsg 520SK

Kamen. Ab sofort und zunächst bis zum 15. August geplant kann im Haus der Kamener Stadtgeschichte während der regulären Öffnungszeiten eine neue Wanderausstellung über den Stadtteil Südkamen besichtigt werden.

Bürgermeisterin Elke Kappen eröffnete am Mittwoch gemeinsam mit den Heimatpflegern aus Südkamen Peter Resler, Kalle Böhm und Dieter Helgers, dem Südkamener Ortsvorsteher Jürgen Senne, Georg Wenzel als Vertreter des Knappenvereins Südkamen, Wilfried Loos (Heimatpfleger aus Mehtler) sowie Jürgen Dupke vom Stadtarchiv die Ausstellung.

Bürgermeisterin Elke Kappen zeigte sich hoch erfreut über die bürgerschaftliche Aktivität der Südkamener Ortsheimatpfleger, die sich mit der Sammlung der Hintergründe und Informationen, der grafischen Umsetzung und abschließend der Produktion dieser Ausstellung sehr viel Arbeit gemacht hatten. Ermöglicht und gefördert wurde das Projekt über das Heimatscheck-Programm des Landes NRW.

Das mobile Museum besteht aus insgesamt neun Rollups (85cm x 2,20m), die schnell auf- und abgebaut werden können. Sie zeigen verschiedene Aspekte des Stadtteils, wie die Ursprünge des selbständigen Bauerndorfes Südkamen mit seinen neun Ursprungshöfen, die Historie des Stadtteils Südkamen von der ersten Erwähnung um 1220 bis heute, das Vereinsleben in Südkamen von 1830 an oder die wechselvolle und hochspannende Geschichte der Polizeikaserne an der Dortmunder Allee.

Eine kostenlose Ausleihe an interessierte Schulen, Kindergärten und Vereine ist Programmbestandteil und kann über Peter Resler als Ansprechpartner angefragt werden. (Kontakt: Peter Resler; Unnaer Straße 30; Tel.: 015252691060)

Weitere Ausstellungen im Pertheszentrum, im Kamener Rathaus und in der Polizeidienststelle an der Unnaer Straße sind bereits vorgesehen.

Im Herbst wird zurzeit eine große Veranstaltung im Saal der Gaststätte Düfelshöft mit Ausstellung, Podiumsdiskussion und Vorstellung des virtuellen Heimathauses Südkamen geplant. Weiterhin ist angedacht, dass mehrere Hinweisschilder in Südkamen aufgebaut werden, die auf die Ursprünge dieses Kamener Stadtteils hinweisen.

Zum Namensjubiläum – 100 Jahre „Pauluskirche“

Geschrieben von Redaktion am . Veröffentlicht in Stadtgeschichte

KH Paulus TurmAbb. 1: Der Turm der Pauluskirchevon Klaus Holzer

Kamen. Der Turm der Pauluskirche mit seinem Buckel auf der Ostseite ist das Wahrzeichen der Stadt Kamen und das letzte Gebäude aus Kamens Anfangszeit, stand er doch schon etwa 100 Jahre, bevor Kamen Stadt wurde. Erbaut wurde er aus Anröchter Sandstein etwa zwischen 1100 und 1130 im romanischen Baustil. Daher sind die Mauern an der stärksten Stelle knapp unter drei Meter dick, um den Turmhelm tragen zu können. Zu diesem Stil passend trug der Turmstapel einen kurzen Stummelhelm, wie ihn z.B. die Methleraner Margaretenkirche heute noch hat.

Auf dem Platz zwischen Dunkler Straße und dem östlichen Ende des Kirchplatzes befand sich vor 1100 die Grafen- oder Funkenburg, der Anfang Kamens als eines besiedelten Ortes. Der Burgherr ließ die Kirche als „ecclesia propria“, als Eigenkirche bauen, weil es zwar Bedarf an geistlicher Lenkung, aber keine wirksamen kirchlichen Strukturen gab. Der erste Name dieser Kirche war St. Severinskirche, er blieb bis in die 1590er Jahre.

Die heutige Kirche, das Langhaus, ist die vierte an dieser Stelle: die erste war wohl eine Holzkirche, die zur Zeit Karls d. Gr. auf einer ehemaligen germanischen Opferstätte errichtet wurde. Nach etwa 300 Jahren war das Holz verrottet und es wurde eine romanische Steinkirche gebaut, deren Dachansatz noch heute im Dachstuhl des Kirchenschiffs zu erkennen ist. Die romanische Kirche brannte 1376 ab und wurde, da inzwischen die Gotik von Frankreich nach Kamen gekommen war, entsprechend den neuen architektonischen und statischen Möglichkeiten als gotisches Langhaus viel größer neu errichtet (die dritte Kirche). Dank dieser neuen Bauweise konnten die Wände schlanker, die Fenster größer sein, und das Dach erhielt auf jeder Seite vier Zwerchhäuser (eine Art Gaube), je eines über einem der großen Fenster. Als das Gebäude fertig war, wurde deutlich, daß der romanische Turmhelm in den Proportionen nicht mehr zur jetzt viel größeren Kirche paßte. So baute man den heutigen Turmhelm auf den alten Turmstapel. Jeder Turmteil ist ca. 30 m hoch.

KH Paulus Gotische KircheAbb. 2: Die gotische KircheDie Legende will wissen, daß der Baumeister, als er den Buckel seines Turms auf der Ostseite entdeckte, sich einen Strick nahm und aus Verzweiflung aufhängte. Wer aber einmal bei einer Turmführung einen Blick in das Dachgebälk geworfen hat, weiß: hier war kein Stümper, sondern ein Meister seines Fachs am Werk. Der Sinn dieser Konstruktion dürfte zweifach begründet sein: zum einen braucht solch ein Gebäude Verwindungssteife gegen sehr starken Wind, der bei uns meist aus westlicher Richtung kommt und zweitens fällt der Turm, sollte ein Blitz ihn in Brand gesetzt haben, nicht auf das Langhaus und zerstört dieses auch noch.

Die Kamener Sesekebrücken

Geschrieben von Redaktion am . Veröffentlicht in Stadtgeschichte

von Klaus Holzer
 
Die Bedeutung von Brücken ist für die Entwicklung von Städten, Handel und Verkehr kaum zu überschätzen. Ohne sie hätte ein Fluß immer Hemmnis, Trennung bedeutet. Die Kunst des Steinbrückenbaus war mit dem (west)römischen Reich Ende des 5. Jh. untergegangen. In den folgenden zwei Jahrhunderten, während der Zeit der Völkerwanderungen, gingen viele weitere Kulturtechniken verloren. Erst um die Zeit Karls d.Gr. begann zaghaft eine Wiederbelebung aller Bereiche menschlicher Zivilisation, darunter auch der Brückenbau. Zunächst waren es einfache Holzbrücken, weil Holz eben das reichlich zur Verfügung stehende Baumaterial war und es leichter zu beherrschen ist als Stein. Aber Holz ist kein so beständiger Werkstoff wie Stein, es verrottet, wird von Fluten leichter fortgespült, kann auch brennen. Erst zu Beginn des 12. Jh. begann der Steinbrückenbau in Deutschland. Die beiden großen Steinbrücken von Regensburg (Baubeginn 1135) und Würzburg (Baubeginn ebenfalls im 12. Jh.) waren die ersten. Und nicht zufällig waren das 12. und 13. Jh. auch die Zeit der vielen Stadtgründungen.
 
Obgleich Kamen ebenfalls an einem Fluß entstand, war hier alles viel bescheidener. Es gab jahrhundertelang keine Brücke, nur eine Untiefe, die Sesekefurt, gegenüber dem „Bollwerk“, das seinen Namen dem Bohlenweg verdankt, den findige Ursiedler hier über die Furt und den breiten Sesekesumpf legten. Erst 1695 wird in einer Kamener Urkunde die Maibrücke erwähnt, die damit Kamens älteste bekannte Brücke ist. Natürlich wird es auch früher schon Brücken gegeben haben, kleine Holzbrücken, ohne die keine Gemeinde auskam, überall gab es Bäche und andere Rinnsale, die, auch mit Karren, zu überwinden waren, wenn man seinen täglichen Geschäften nachging.
 
Kamen hat viele Brücken (und Unterführungen): Fußgängerbrücken, Straßenbrücken, Autobahnbrücken, Eisenbahnbrücken, Flußbrücken, die Hochstraße, die gleich über mehrere, unterschiedliche Verkehrssituationen hinüberführt. Insgesamt sind es 83 Brücken (lt. Vermögensbilanz der Stadt Kamen von 2016). Die meisten von ihnen haben keinen eigenen Namen, finden sich einfach im Verlauf von Straßen oder Trassen. Anders verhält es sich mit den Kamener Sesekebrücken, die zwar in der Regel auch keinen Namen führten, bis auf wenige Ausnahmen: Maibrücke, Vinckebrücke und, natürlich, die Fünfbogenbrücke, die schönste von allen (war einmal: vgl. Artikel „Fünfbogenbrücke“).
 
Doch zum Jubiläum der Kamener Städtepartnerschaften mit Montreuil-Juigné in Frankreich und Ängelholm in Schweden im Jahre 2013 machte der Kultur Kreis Kamen den Vorschlag, allen bis dahin namenlosen Kamener Brücken den Namen einer Partnerstadt zu geben. Was besonders einleuchtend war, als es seit 2001 bereits die „Partnerschaftsbrücke“ gab. So geschah es. Von der Fünfbogenbrücke an sesekeabwärts heißen die Brücken folgendermaßen:
 
SesekeB KH 11. Montreuil-Juigné-Brücke: Sie verbindet die Wittenberger und die Henri-David-Straße. Sie wurde 1975 gebaut, ist 13,5 m lang und 2,40 m breit. Fußgänger und Fahrradfahrer im Kamener Osten wissen die Abkürzung zu schätzen.
 
SesekeB KH 22. Unkeler Brücke: Diese Brücke liegt in der Schneise, die der frühere Kamener Stadtbaurat Gustav Reich (vgl. Artikel dazu unter „Kamener Köpfe“) vor dem Krieg als Umgehungsstraße plante, um den starken Verkehr, den er voraussah, aus der Kamener Altstadt herauszuhalten. Wäre es zur Ausführung dieser Planung gekommen – wer weiß, vielleicht wäre Kamen die doch trennende Hochstraße erspart geblieben? So aber ist ein relativ breiter Grünstreifen, stellenweise parkartig, übriggeblieben, der ein kleines Naherholungsgebiet darstellt. Diese Schneise führte als direkte Fortsetzung des Ostrings durch Kamens Osten und sollte im Süden in die Unnaer Straße münden. Die Holzbrücke wurde 1983 gebaut, ist 19 m lang, 3,50 m breit.
 
SesekeB KH 33. Ängelholmer Brücke: Sie war bis in die 1920er Jahre als kleine Holzbrücke für den Verkehr aus den östlichen Richtungen vorhanden, wurde anschließend (vgl.Suleçinbrücke) von Gustav Reich erneuert. Noch 1953 wird sie als Wirtschaftsbrücke neu gebaut Seit der Sesekedamm eine Art innerer Ring ist, der die Innenstadt entlastet, ist auch diese Strecke stark frequentiert. Die heutige Brücke ist 10,00 m lang und 16,70 m breit.
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Ihre Vorgängerbrücke war eine reine Wirtschaftsbrücke, wie sie für den damaligen Gebrauch geeignet war, gleich lang, aber nur 3,00 m breit. 
 
 
 
 
 
 
 
 
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4. Beeskower Brücke: Sie ist eine Fußgänger- und Radfahrerbrücke, wurde 1981 gebaut als Nachfolgebrücke einer Vorgänger-Holzbrücke, sie ist 10,35 m lang und 2,00 m breit. Sie kürzt den Weg zwischen Innenstadt und Mersch beträchtlich ab.
 
SesekeB KH 65. Partnerschaftsbrücke: Die Bogenbrücke aus Stahlbeton wurde 2002 in Betrieb genommen, damit die Maibrücke vom Verkehr entlastet werden konnte. So wurde eine bessere Verteilung des innerstädtischen Verkehrs durch den vorgelagerten Kreisverkehr erreicht. Es konnte der „Verkehrsschluß Innerer Ring“ angelegt werden, der die Bahnhofstraße entlasten sollte, die ab 2010 umgebaut und nach Fertigstellung im Dezember 2012 in Betrieb genommen wurde. Die Entlastung der Bahnhofstraße wurde nicht erreicht. Die Brücke ist 16,50 m lang und 11,00 m breit.
 
SesekeB KH 76. Maibrücke: Die älteste Kamener Straßenbrücke, 1695 zum ersten Mal urkundlich erwähnt. Wahrscheinlich war das eine einfache Holzbrücke, denn eine Urkunde im Geheimen Staatsarchiv Berlin-Dahlem vom 3.8.1737 belegt einen „staatlichen Zuschuß zum Bau der (meine Hervorhebung) Sesekebrücke“. Dennoch wird nicht klar, was für eine Brücke das genau war, denn nur 60 Jahre später, in einer Urkunde vom 10.7.1798, bestätigt die Stadt Kamen den Empfang eines Darlehens „zur Bezahlung der Baukosten der (meine Hervorhebung) neuen Steinbrücke über die Seseke“ (beide Male ist die Rede von „der“ Brücke, also war es die einzige). In der heutigen Form gibt es sie seit 1923. Bis dahin war sie immer noch die einzige Kamener Straßenbrücke. Während ihrer Reparatur mußten Bauern, die zum Markt wollten, weite SesekeB KH 8Umwege über Rottum bzw. Weddinghofen in Kauf nehmen. Sie lag beim Mühlentor, das zusätzlich durch eine Homey geschützt war, die auch zur Einnahme der Akzise genutzt wurde. Diese Brücke wurde naturgemäß stark frequentiert, da über sie aller Verkehr zwischen Lippe und Hellweg verlief. (vgl.a. Artikel „Maibrücke“, darin „Homey“). Die heutige Brücke ist nach der Sanierung im Jahre 2002 eine Plattenbrücke aus Beton mit Stahlträgern. Sie ist 10,50 m lang und 13,70 m breit.
Das vorliegende Detail der technischen Zeichnung zur Erneuerung der Maibrücke stammt vom Mai 1921 und ist noch von der Seseke-Genossenschaft Dortmund erstellt. Erst 1925 vereinigten sich Seseke-Genossenschaft und Lippeverband.
 
SesekeB KH 97. Vinckebrücke: Sie wurde 1923 als direkte Verbindung zwischen vorgelagerten südlichen städtischen Bereichen und der Altstadt gebaut, da die Maibrücke wegen ihrer notwendigen Sanierung bzw. (fast) Neubau längere Zeit geschlossen war, außer für die Kleinbahn UKW, die Straßenbahn. Ihr Bau bedeutete eine deutliche Zeitersparnis für Fußgänger (und das waren die meisten Leute damals) aus Südkamen und Kamen-Süd zur Innenstadt. Der zur Vinckebrücke führende Weg links der Seseke hieß 1949 noch Vinckestraße und SesekeB KH 10reichte von der Bahnhofstraße bis zum Schwesterngang, die Klosterstraße mündete an der kath. Schule (Josefschule) in die Vinckestraße.
 
Als die Binde(Vincke)brücke 1923 gebaut wurde, herrschte Inflation, lag die Wirtschaft am Boden. Zum Bau verwendete man offenbar minderwertiges Material, denn schon im Herbst 1930 war sie so marode, daß sie gesperrt werden mußte. Diese Sperrung geschah ohne Ankündigung und ohne Beschilderung, weswegen die vielen Fußgänger zwischen Süden und Westen der Stadt, hauptsächlich Schulkinder und Kirchgänger plötzlich davor standen, umkehren mußten und viel Zeit einbüßten. Erst nach einer Woche wurde die Sperrung beschildert. Die Empörung bei den Kamenern und in der SesekeB KH 11Kamener Zeitung war groß. Als Ersatz für die alte Brücke sollte es zunächst nur ein Provisorium geben, weil mit einer „fahrbaren Brücke in absehbarer Zeit zu rechnen“ sei (Ratsvorlage vom 2.3.1931). Kosten des Provisoriums: knapp 1.000,00 Reichsmark, „wenn ein Teil der erforderlichen Nebenarbeiten (…) von Pflichtarbeitern besorgt werden kann“ (dto.). 
 
Die alte Vinckebrücke war eine Holzbrücke, ca. 11,50 m lang und 2 m breit. Bei Regen war sie sehr rutschig.
Die neue Vinckebrücke ist eine Einfeldträgerbrücke aus Stahl und Stahlbeton. Sie 12,50 m lang und 3 m breit. Sie wurde am 15.8.2018 montiert und mit der Eröffnung des Sesekeparks am 22. 9. 2018 in Betrieb genommen.
SesekeB KH 128. Suleçin-Brücke (Koppelstraßenbrücke): Sie wurde 1924 in Betrieb genommen. Sie war Teil der umfassenden stadtplanerischen Maßnahmen des damaligen Kamener Stadtbaurats Gustav Reich (vgl. Artikel dazu unter „Kamener Köpfe“). Die alte Maibrücke war baufällig geworden und mußte saniert werden. So wurde die Notwendigkeit einer weiteren Straßenbrücke deutlich.Sie ist 10,00 m lang und 13,20 m breit.
 
SesekeB KH 139. Eilater Brücke: Sie war bis zum Ende des Bergbaus in Kamen 1983 Bestandteil der Zechenbahn zwischen Monopol und der Reichsbahn bzw. dann der Deutschen Bundesbahn. Was sich als sehr nützlich erwies, als die Fränkische Energiegesellschaft mbH das Bergwerk zu 100% übernahm. So spürte Kamen die Auswirkungen der ersten frühen Kohlekrise seit Ende der 1950er Jahre gar nicht. Täglich rollten ganze Züge voll Kamener Kohle nach Nürnberg, an der Verladestation neben der Westicker Straße, gegenüber Pumpen-Weller, an die DB übergeben. Seit Anfang des Jahrtausends zum Rad– und Spazierweg umgebaut. Sie ist 11,52 m lang und 3,66 m breit.
 
SesekeB KH 1410. Bandirma-Brücke: Diese ist keine Sesekebrücke, sondern führt über die Körne, den größten Nebenfluß der Seseke, liegt jedoch gleich neben ihrer Mündung in die Seseke. Da aber für alle sieben Partnerstädte eine Brücke gebraucht wurde, kam sie gerade recht, da Umtaufen vorhandener Brücken nicht in Frage kam. 
 
Nimmt man die Fünfbogenbrücke, eine Eisenbahnbrücke, hinzu, hat Kamen-Mitte also neun Sesekebrücken, die Körnebrücke am Klärwerk hier aufgenommen. Diese ist 12,30 lang, die Stützweite beträgt 3,80 und der lichte Abstand ist 3,30m
 
Verglichen mit der Situation in früherer Zeit, haben wir heute wirklich keinen Grund mehr, über zu wenige Brücken zu klagen, zumal uns Umwege nicht mehr halbe Tage kosten. Das Auto und andere Verkehrsmittel bringen uns schnell überall hin. Was die Reparatur einer Brücke bedeuten kann, erkennen wir, wenn wir die Diskussion über die Lippebrücke bei Werne verfolgt haben. Würde diese während des jahrelangen Um- bzw. Neubaues komplett gesperrt, wären Umwege über Hamm im Osten und Lünen im Westen notwenig. Und das ist dann selbst mit dem Auto deutlich spürbar, das kostet Zeit und geht ins Geld.
Bildnachweis: Abb. 3 & 7: Tiefbauamt Stadt Kamen; Abb. 9: Stadtarchiv Kamen; alle anderen: Klaus Holzer

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Kamener Straßennamen: Gartenplatz und Kastanienallee

am . Veröffentlicht in Stadtgeschichte

von Klaus Holzer

KH1019Abb 0 GartenplatzDie Wohnsiedlungen Gartenplatz I & II liegen nordöstlich der Stadtmauer auf einem Gelände, das einmal „Auf den Geistgärten“ bzw., das Stück direkt neben der Chaussee nach Hamm, „An den Geistgärten“ hieß und noch zu Beginn des 20. Jh. der Familie von Mulert gehörte. Der Bestandteil „Geist“ des Namens verweist auf das erste Armen– und Siechenhaus Kamens, vor 1359 gegründet und jahrhundertelang das einzige in unserer Stadt (vgl.a. Artikel „Am Geist“). Sein Besitz wuchs und wuchs, weil nicht wenige Kamener Bürger bei ihrem Tode ein gottgefälliges Werk tun wollten und dem Hospital ein Stück Land oder eine Rente, d.h., eine Stiftung von Geld überschrieben. Das ermöglichte es dem Hospital, seine laufenden Kosten zu bestreiten, und in den Gärten zog man natürlich auch Gemüse, das den KH1019Abb 0a Kastanienalleetäglichen Küchenbedarf deckte.
 
Die letzte Erinnerung an das Heilig-Geist-Hospital in Kamen ist die kleine Straße „Am Geist“, wo das Hospital einmal zwischen Nord– und Oststraße stand. Der letzte Bau wurde in den 1930er Jahren wegen Baufälligkeit abgerissen.
 
Die früheren Geistgärten umfaßten etwa das Areal zwischen Hammer– und Friedhofstraße.
 

KH1019Abb 1 von Mulert Grabsteine der Fam. von MulertDer letzte Baron von Mulert verspielte und vertrank jedoch seinen Familienbesitz. Die Familie verarmte und mußte Haus und Ländereien veräußern. So kam die Stadt Kamen in den Besitz des von Mulertschen Hauses am Markt und des Geländes im Osten der Stadt. Sie gab den zwei Schwestern von Mulert dafür eine Leibrente, d.h., eine Rente bis an ihr Lebensende.

Nachdem Bürgermeister Berensmann aus Laasphe den Baurat Reich (vgl. a. Artikel Gustav Reich) nach Kamen geholt hatte, baute der ganz Kamen um: er schuf den Gondelteich und den Postteich, ließ die Koppelstraße anlegen und verwirklichte in Kamen die noch gar nicht so alte Gartenstadt–Idee des Engländers Ebenezer Howard, die dieser 1898 vorgestellt hatte. In seinem Buch
„To-Morrow: A Peaceful Path to Real Reform“ veröffentlichte er das Modell einer Gartenstadt. Sie sollte die Trennung zwischen Stadt und Land aufheben und die Vorzüge beider in einem verwirklichen.

„Hinaus ins Grüne“ war seit der industriellen Revolution der Wunsch vieler Menschen, vor allem von Großstädtern. Das „Grüne“ verhieß Naturnähe, Ruhe, Entspannung, Gesundheit, Frieden und Harmonie. Das konnten sich aber nur die Reichen leisten. Howards sozialreformerische Idee war es, auch dem Arbeiter Wohnen im Grünen zu ermöglichen und ihm ein Stück Land zu Selberbearbeiten zu geben. Dazu ersann er seine „Gartenstadt“.