von Heinrich Peuckmann
Die Situation ist typisch. Ich lege einem Gegenüber meine Meinung dar, ich begründe, gebe Beispiele und argumentiere. Und dann kommt die umwerfende Antwort: „Das finde ich aber nicht so.“ Und warum findest du das nicht so, denke ich, warte auf weitergehende Erklärungen, aber es kommt nichts mehr Das Gegenüber schweigt. Jemand findet eben, Schluss, aus, Feierabend. In diesem Moment muss nur noch jemand vorbeikommen und fragen: „Na, diskutiert ihr wieder?“, um mich vollends auf die Palme zu bringen. „Nein“, rufe ich, „wir diskutieren nicht, wir finden!“
Anfangs hat mich diese Art der Diskussionsführung noch nicht gestört. Wer die Abstraktionsebene verlässt und einfach mal so empfindet, lässt ja seinen Gefühlen freien Lauf und die sollten in Sachzusammenhängen auch eine Rolle spielen, dachte ich. Besser gesagt „empfand“ ich das so. Inzwischen aber wird viel zu viel gefunden, geglaubt oder – die höherstehende Variante – gemeint. Argumente, Abstraktion? Fehlanzeige.
Natürlich wird diese Haltung durch die Medien vermittelt, mindestens verstärkt. Dort wird ja in Talk- und vor allem Castingsshows auch nicht argumentiert, sondern immer nur gefunden und geglaubt.
„Ich finde, du siehst Scheiße aus“, sagt der Juror bei einer Show, in der das neue Supermodell gesucht wird. Und das Mädchen nimmt diese Aussage zu meiner großen Verblüffung einfach hin. Abgesehen von der Wortwahl, die für eine Beleidigungsklage reicht, müsste das Mädchen doch mindestens nach Gründen für dieses menschenverachtende „Finden“ fragen, tut es aber nicht. Dies alles ist längst selbstverständlich.
Guckt man sich den Typen, der das gesagt hat, genauer an, kommt man aus dem Staunen nicht mehr heraus. Ein verhauenes Gesicht wie ein Boxer nach einem Zwölf-Runden-Kampf, dazu ein stumpfsinniger Gesichtsausdruck, der glaubhaft vermittelt: „Lass mich in Ruhe mit Argumentation, ich kann das sowieso nicht.“ Hat der nicht die Vorstellungskraft, dass sich seine Art der Meinungsäußerung auch gegen ihn wenden könnte? Nein, hat er nicht.
Nun sind diese Shows sicher das unterste Niveau von Auseinandersetzung, also nicht bestimmend für den Gesamtdiskurs. Denkt man! Aber einmal wach geworden, höre ich inzwischen bei Politikern genauer hin. Und siehe da: dieselbe Tendenz. Auch da wird lustig gefunden, geglaubt und gemeint. Und das bei Sachzusammenhängen, die über das Schicksal von Millionen Menschen entscheiden oder unsere Zukunft entscheidend prägen werden. Fängt ein Politiker mal an zu argumentieren, wird er prompt unterbrochen. Dann wird wieder nur verlangt, dass er kurz seine unbegründete Meinung kundtut.
Wird eigentlich noch „gewusst“? Ja, im Nachhinein. Da wussten dann alle, dass es mit der DDR zu Ende ging oder dass die Finanzkrise kommen würde.
Die Zufälligkeit einer solchen Beurteilungsweise liegt übrigens schon im Wortsinn. Wer seinen Gefühlen freien Lauf lässt, der findet: da oder dort, zufällig eben. Wer argumentiert, der sucht: zielgerichtet. Wobei Gefühle eine Rolle spielen können.
Warum stört mich das alles so sehr?
Weil es hilflos macht. Gegen das „Empfinden“ anzukämpfen, ist unmöglich. Ich kann doch nicht bestreiten wollen, was dieser oder jener empfindet. Es ist sein gutes Recht, nur eine Diskussion ist es eben nicht.
Weil es aggressiv macht. Man selbst macht Klimmzüge in der Argumentation, man strampelt sich ab in abstrahierenden Zusammenhängen und der andere wischt das einfach mit seinem Gefühl vom Tisch. Findet er eben nicht. Basta.
Weil es Angst bereitet. Wenn weitreichende, existentielle Entscheidungen nach bloßem Empfinden getroffen werden, sind dem Zufall Tür und Tor geöffnet, die Folgen unabsehbar.
Weil es langweilig ist. Der anspruchsvolle Meinungsaustausch stellt auch eine Qualität unseres Lebens dar, er bringt uns weiter, zeigt uns die eigenen Grenzen unserer Einsicht auf. Aber es gibt ihn viel zu wenig. Das alles „finde“ ich, ehrlich gesagt, ziemlich …