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Selbstjustiz nach RTL-Beitrag: Unschuldiger 53-Jähriger brutal verprügelt

Geschrieben von Redaktion am . Veröffentlicht in "Darf ich?"

von Julian Eckert

Bremen. Das Bremer Landgericht hat am Dienstag (25.08.) einen 29-Jährigen wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Haftstrafe verurteilt. Er hatte gemeinsam mit fünf weiteren Mittätern einen heute 53-Jährigen brutal verprügelt, nachdem er ihn in einem RTL-Beitrag über Pädophile erkannt haben will.

RTL-„Punkt 12“, Mitte Juni 2018

Am 12. Juni 2018 zeigte der Kölner Privatsender RTL in seiner TV-Sendung „Punkt 12“ einen Beitrag mit dem Titel „Pädophile und ihre neue Masche“. Darin wollte ein RTL-Reporter vermeintliche Pädophile enttarnen und ihre „neue Masche“ aufdecken. Dazu wolle man gemeinsam mit einer „Expertin“ ein „Experiment“ durchführen: Getarnt als 13-jähriges Mädchen sollte eine jung aussehende, volljährige Frau als Lockvogel mit einem angeblich pädophilen Mann in Kontakt treten. Es sollte dann ein Treffen zwischen beiden verabredet werden, bei dem der angeblich Pädophile enttarnt werden sollte. So geschah es: zum verabredeten Zeitpunkt wartete ein Kamerateam nahe eines Bremer Einkaufszentrums auf den vermeintlichen Pädophilen. In dem ausgestrahlten und inzwischen online nicht mehr verfügbaren TV-Bericht war ein Mann zu sehen, der vor dem Einkaufszentrum hin- und herlief, aber nichts kaufte. „Er ist verdächtig“, stellte der RTL-Reporter in dem Beitrag fest. Das Kamerateam verfolgte den nur wenig verpixelten Mann zu einem Wohnkomplex, der ebenfalls von RTL nur sehr spärlich verpixelt worden war. Wie sich später herausstellen sollte, war der Verfolgte ein 28-jähriger nicht pädophiler Mann.

Rüffel für RTL von der Aufsichtskommission

Für diesen TV-Beitrag kassierte RTL im September 2018 einen Rüffel der Medienanstalten - Kommission für Zulassung und Aufsicht (ZAK). Diese warf dem Kölner Sender vor, die Persönlichkeitsrechte der gezeigten Personen nicht ausreichend gewahrt zu haben. RTL habe durch den Beitrag gegen den journalistischen Grundsatz der gebotenen Anonymisierung (Ziffer 8 des Pressekodex) verstoßen. RTL wies den Rüffel zurück und teilte mit, man habe die „journalistische Sorgfaltspflicht in jeder Hinsicht wahrgenommen.“ So seien in dem Beitrag keinerlei Hinweise auf den Ort oder eine vermeintliche Adresse des mutmaßlich Pädophilen – etwa Straßennamen oder Hausnummern – gezeigt worden.

Noch während „Punkt 12“ lief: Attacke auf Unschuldigen

Die zweistündige RTL-Sendung „Punkt 12“ war noch nicht zu Ende, da versammelten sich vor dem bei RTL gezeigten Wohnkomplex etwa 20 Personen, die den vermeintlichen Pädophilen erkannt haben wollen. Sechs der anwesenden Personen klingelten sturm und gelangten in den Hausflur. Es ist der heute 53-jährige Ralf M., den die Personen als den bei RTL gezeigten Mann identifiziert haben wollen. Der damals 50-Jährige ist allerdings weder der bei RTL gezeigte 28-Jährige, noch ist er pädophil. Doch die sechs in den Hausflur befindlichen Personen meinten, es handele sich bei Ralf M. um den gezeigten Pädophilen. Nachdem sie seine Wohnungstür ausfindig gemacht und eingetreten hatten, prügelten die sechs Täter brutal auf den damals 50-jährigen Ralf M. ein. Dieser erlitt Gesichts- und Schädelknochenbrüche sowie eine Hirnblutung.

Selbstjustiz vor Gericht

Mit jener Attacke des Lynchjustiz-Mobs hatte sich diese Woche das Landgericht Bremen zu befassen. Trotz umfangreicher Ermittlungen war es nicht gelungen, fünf der sechs Personen zu ermitteln. Und so saß lediglich einer der Täter vor Gericht, der sich nach der Attacke der Polizei gestellt hatte. Das Landgericht befand den 29-Jährigen einer gefährlichen Körperverletzung schuldig und verurteilte ihn zu einem Jahr Haft auf Bewährung. Außerdem muss er 3.200,- Euro Schmerzensgeld an Ralf M. zahlen.

Die Richter bescheinigten der RTL zudem ein „fahrlässiges“ Vorgehen in dem TV-Bericht. Auch die Anwälte von Opfer und Täter sehen eine Verantwortung bei RTL: Ralf M.s Anwalt nannte den Bericht einen „Aufruf, die Sache selbst in die Hand zu nehmen", der Anwalt des Täters sprach von „Feuer“, das von RTL gelegt worden sei. Der TV-Sender teilte mit: „RTL verurteilt den brutalen Akt der Lynchjustiz in Bremen auf das Schärfste.“ Eine erhebliche Mitschuld an der Tat müsse man jedoch „als unbegründet zurückweisen“, ebenso eine Schmerzensgeldzahlung an Ralf M.