Bürgermeisterin Elke Kappenvon Alex Grün
Kamen. Am 14. März kamen 66 geflüchtete Menschen aus der Ukraine in Kamen an, mittlerweile sind es bereits 277 - mit steigender Tendenz. Solange der russische Angriffskrieg andauert, muss weiter mit einem Anstieg der Flüchtlingszahlen gerechnet werden. Die Stadt Kamen geht von 500 bis 1000 Menschen aus, die in der Sesekestadt ankommen werden und ist, wie Bürgermeisterin Elke Kappen in der Ratssitzung am Donnerstag versicherte, auch dafür gerüstet, weil sie perspektivisch plant.
Dies schafft möglicherweise höhere Kosten für die Unterbringung, als nötig wären, je nachdem wie lange die Menschen noch aus ihrer Heimat vertrieben werden. Der Grund: Es werden Aufnahmekapazitäten geschaffen, die im Moment noch nicht benötigt werden, aber vielleicht in der Zukunft. Verteilt würden die Menschen nach dem Königsteiner Schlüssel, es würde bei der Erstaufnahme aber auch geprüft, ob die Kriegsflüchtlinge Verwandte oder Freunde in der jeweiligen Gegend haben, bei denen sie unterkommen können, was für die Betroffenen natürlich der Optimalfall ist. 205 Geflüchtete werden in Kamen privat beherbergt, 35 von ihnen haben eine Bleibe im ehemaligen Gasthof Kaiserau in der Methleraner Robert-Koch-Straße gefunden, 26 in den beiden Flüchtlingsunterkünften am Mausegatt und elf in der am Schwimmbad. Der Schwerpunkt bei der Unterbringung durch die Stadt liege, ähnlich wie bei der Flüchtlingskrise 2015/16, bei der Anmietung von Wohnungen, so Bürgermeisterin Kappen. 40 Wohneinheiten habe die Stadt bislang angemietet, um den Menschen den Aufenthalt in Sammellagern zu ersparen. Die angepeilte Kapazität für schlimmstenfalls rund 1000 Menschen könnte insgesamt bedeuten, dass - zumindest zeitweise - Miete für ungenutzten Wohnraum bezahlt werden muss. In der ehemaligen Gaststätte Kaiserau etwa, die zunächst für ein Jahr gemietet ist und in die mit Hilfe zahlreicher freiwilliger Helfer bewohnbar gemacht wurde, ist für 50 Leute Platz. Untergebracht sind dort aktuell 35 - was sich mit Blick auf fast 4,5 Millionen Menschen, die gerade insgesamt aus der Ukraine flüchten, natürlich schlagartig ändern kann.
Billig sei das nicht, so Kappen. Doch der Kostenaspekt wird jetzt im Sinne der Menschlichkeit erst einmal ausgeblendet, eine Einstellung, die vom Rat fraktionsübergreifenden Applaus erhielt. Jetzt hofft die Verwaltung, dass Bund und Länder das Konnexitätsprinzip einhalten und die Kommunen, die, so Kappen, für die Unterbringung von 90 Prozent der Geflüchteten sorgten, mit den Kosten nicht alleine lassen werden. Schätzungen in anderen Städten gingen von hochgerechnet täglich 25 Euro pro geflüchteter Person aus. Bisher hätten weder Bund noch Land auf die Frage der Stadt nach der Finanzierung der Leerstände geantwortet, wie die Bürgermeisterin bedauerte.
Man werde die Kosten im Haushalt isolieren, ähnlich wie mit den Zusatzaufwendungen im Zuge der Corona-Krise, "aber ob die Stadt sie eins zu eins erstattet bekommt, bleibt abzuwarten", so Kappen. Aber auch, wenn nicht: Schlimmer wäre aus Sicht der Stadt, im Fall der Fälle keine Vorsorge getroffen zu haben, obwohl die Notwendigkeit absehbar gewesen wäre. Kappen: "Wir werfen alles in die Waagschale, damit die Menschen, die nach Kamen kommen, nicht vor der Tür stehen gelassen werden" - auch wenn es notfalls, wie in anderen Kommunen, die von Containern und Sporthallen sein müssen, was man seitens der Stadt möglichst zu vermeiden versucht.
Nicht nur in Sachen Unterkunft trifft die Stadt derzeit alle erdenklichen Maßnahmen, um den Flüchtlingsstrom in geordnete Bahnen zu lenken. Unter den in 277 Kamen beherbergten ukrainischen Geflüchteten - die Zahlen ändern sich laufen - finden sich 186 Frauen und 91 Männer aller Altersschichten, von unter sechs bis über 65 Jahren. Die mit Abstand größte Altersgruppe bilden die 18- bis 65-Jährigen. Die Menschen werden nach ihrer Ankunft von der Ausländerbehörde des Kreises mit einer sogenannten Fiktionsbescheinigung ausgestattet, die ein vorläufiges Aufenthaltsrecht und eine Arbeitserlaubnis gewährleistet, bevor die offizielle Registrierung abgeschlossen wird. Gleich bei der ersten Kontaktaufnahme im Rathaus werde angeboten, Unterkunft zur Verfügung zu stellen und die Anmeldungen bei den Krankenkassen zu organisieren, so Beigeordnete Hanna Schulze. Die Verwaltung stehe auch in Kontakt mit Bundesagentur für Arbeit und Jobcenter, um die Menschen möglichst zügig in Beschäftigung zu bringen, so Schulze. Viele Firmen, berichtet Kappen, hätten sich bereits bei der Stadt gemeldet und Jobs und Ausbildungen angeboten. Viele der Ankömmlinge hätten gute Qualifikationen und wollten für ihren Unterhalt arbeiten. Bei der VHS sind bereits zwei Sprachkurse mitsamt Betreuung speziell für die ukrainischen Flüchtlinge eingerichtet worden. Gemeinsam mit örtlichen Vereinen und Wohlfahrtsverbänden werden Waschmaschinen, Kühlschränke, Staubsauger, Kinderbetten, Herde, Backöfen und Elektrokleingeräte gesammelt, um die Wohnungen mit dem Nötigsten auszustatten. Das städtische Spenden-Portal "Kamen hilft" werde gut angenommen, so die Verwaltung.
Wenn die Mitarbeiter des Bauhofs die Spenden bei den Haushalten abholen oder bei der Einrichtungen der Wohnungen helfen, könne schon einmal die ein oder andere Arbeit liegen bleiben, wirbt Kappen für Verständnis. "Aber wenn sie Hilfe leisten, können sie nicht gleichzeitig Hecken schneiden", sagt sie.
Die Lage in Kamens polnischer Partnerstadt Sulecin sei weitaus dramatischer, berichtete Bürgermeisterin auf der Ratssitzung. Die gerade einmal 10.000 Einwohner starke Stadt im Westen Polens habe bereits 1000 Menschen aufgenommen. Das würde für eine Stadt in der Größe Kamens eine Anzahl von 4500 aufgenommenen Flüchtlingen entsprechen. Um zur Versorgung der Flüchtlingsunterkunft in Sulecin beizutragen, habe die Stadt mit der ostdeutschen Partnerstadt Beeskow, die nur 1,5 Fahrstunden von der Unterkunft in Sulecin entfernt ist, eine Art Versorgungsbrücke eingerichtet. Die Beeskower, erklärt Kappen, melden, was in Sulecin gebraucht wird. Das werde entsprechend gezielt an Spenden gesammelt und über Beeskow nach Polen gebracht, was Zeit und weite Wege spare. Ein schönes Zeichen in einer hässlichen Zeit: Denn die Aktion beweist, dass die Kamener Städtepartnerschaften nicht nur zum gemeinsamen Feiern von Volksfesten da sind, sondern dass auch in Zeiten der Not konkret zusammengearbeitet wird.
Archiv: Hotel-Restaurant wird städtische Flüchtlingsunterkunft
Hohe Spendenbereitschaft auf Hilfsaktion für Partnerstadt