von Dr. Götz Loos
ID: 176696959 Urheber: abstract FotoliaKamen. Die von Reinhard Fehling, seinen Ensembles und Mitstreitern (und -innen) aufgeführten Programme sind immer ein Erlebnis, bereits wegen der Zusammenstellung der gewählten Werke. Daran ließ auch das am Sonntagabend vor einer Woche zu Gehör gebrachte "Can't Cage the Song" von Anfang an keinen Zweifel aufkommen. Szenisch der Anfang, als Protagonisten/-innen, verteilt im Zuschauerraum der Konzertaula, die Musizierenden aufforderten, doch loszulegen: "Wann wann geht endlich die Musik los?" Und dann erschien alsbald auch Reinhard Fehling und dirigierte "Die wilde 7".
"Can't Cage the Song" - Fehling stellte den Bezug her, zunächst mit Hinweis auf ein Lied aus Rumänien, in dem betont wird, dass ein Lied nur dann von Freiheit singen könne, wenn es frei sei. Harry Belafonte aber war es, der anlässlich der Aufnahme Pete Seegers in die Rock'n'Roll Hall of Fame sagte: "You can cage the singer, but you can't cage the song". Und doch / und deshalb Utopie - so auch in der Einleitung, dem ersten Abschnitt des Programms: "Abgebrannt"; dazu nur ein Song: Rio Reisers "Zauberland", worin es heißt, dass das (utopische) Zauberland einerseits abgebrannt sei, andererseits der Traum davon noch irgendwo lichterloh brenne. Fehlings Chor "Die Letzten Heuler" kamen zwar gleich gut in Fahrt, der Sopran war jedoch eingangs ziemlich hohl und brauchte etwas Zeit, einige Verse, um die bekannte Kraft und Ausdrucksfülle zu erreichen.
Schon im zweiten Abschnitt "Über..." (gemeint ist hier die Überfahrt bzw. der Überflug von hier nach dort) war der Chor bestens in Ausdruck und Abstimmung. Michael Kamp war als Solist aktiv, zunächst mit Rio Reisers "Übers Meer und Wiedersehen"; sowohl Kamp als auch der Chor engagiert, kraftvoll und gut miteinander abgestimmt. In niederländischer Originalsprache (Michael Kamp ausgezeichnet im Vortrag) dann "Over de Muur" von Jekkers/Smit, ein "unaufgeregter Blick auf ein geteiltes Deutschland", wie Reinhard Fehling konstatierte. Ralf van Nek brachte ein brillantes Solo. Die von West nach Ost und umgekehrt fliegenden Vögel "flogen" in hohen Lagen (Chor) traumhaft über dem Sologesang.
"Dies und das" war geprägt durch Pete Seegers "A little a' this 'n' that" (von Reinhard Fehling deutsch nachgedichtet: "Bissken von dem und dem"). Seeger ist für Fehling von großer Bedeutung (so groß, dass er ihn für den Friedensnobelpreis vorzuschlagen gedachte), er sieht in ihm einen Protagonisten für "inklusives Singen". Die Utopien, die die Oma in dem Song vermittelt, verkleidet Fehling in einem marschähnlichen Voranschreiten - bewusster Gegensatz oder offensives Voranbringen derselben?
Dann Joni Mitchells oft gecoverter Song (auch von Seeger und Belafonte) "Both Sides Now", ein Solovortrag von Karola Felstow, nur noch mit Martin Klausmeier an der Gitarre. Ihre klare, warme, durchdringende Stimme erwies sich als bestens für eine herausragende Interpretation.
Und schließlich unter "Dies und das" ein Treffen zweier Züge, zweier Lieder. "This Train" (Guthries "This Train is bound for Glory" und "Rock Island Line" in der Fassung Lonnie Donegans). Malte Hinz und Julien Cirkel waren für Gesangseinlagen zuständig, Ralf van Nek für ein bissken Storytelling - alle machten ihre Arbeit hervorragend; so vor allem auch der Chor - die Züge! Kompositorisch schaffte es glänzend, beide Songs/Züge zusammenzubringen. Man hörte beide auch beim Treffen deutlich für sich heraus!
Dann "Junge Köpfe" als neuer Abschnitt, beginnend mit Tom Waits' "Martha" - Michael Kamp bemühte sich, die abgrundtiefe Stimme Waits' nachzuahmen - na ja! Das konnte kaum gelingen, war aber auch nicht nötig: Kamp brachte dieses außergewöhnliche Liebeslied auf eigene, unverkennbare Art sehr gut. "Die letzten Heuler" bei den Refrains waren bei den Refrains traumhaft und stabil unisono.
Es folgte Katie Meluas "Sailing Ships from Heaven", sehr betont und stark von Julia Treinies vorgetragen. Beide Lieder berührten sehr in diesen Interpretationen bzw. in den Fehlingschen Einrichtungen.
Von Ernst Molden und Willy Resetarits danach das "Lied übers Losziehn", von Kamp mit österreichischem Dialekt gebracht, war eine beste Hommage an Resetarits, der von Fehling ebenfalls sehr bewundert wird. Die Gebundenheit, Einheitlichkeit und glänzende Schönheit des "Heuler"-Gesangs hierbei verlangt nach einer besonderen Hervorhebung.
Vorletzter Beitrag war "The Little Tin Soldier", angelehnt an Andersens Märchen, bekannt gemacht von Donovan. Fehlings Einrichtung bewirkte ein gleichzeitiges melancholisches Strahlen, das der Chor nahezu triumphartig zum Ende führte.
Schließlich "My Hometown" von Bruce Springsteen, gesangssolistisch von Malte Hinz ausgeführt, wiederum ausgezeichnet. Und so endet der Abschnitt mit einem Niedergang (einer Stadt, jedoch symbolisch für mehr als das, was Probleme der Gesellschaft betrifft). Mir erscheint dieser Song allerdings geeignet, ihn auch für Chor einzurichten.
Der letzte Abschnitt "Alte Hüte" nahm zunächst Bezug auf das aktuelle Wiedererstarken rechter Kräfte: Erst mit Theodor Kramers "Winterhafen". Der Solist Stanislav Voznesensky, ein ukrainischer Freund aus Cherson, erwies sich geradezu als Entdeckung: Atemberaubende Stimme mit hier optimal passendem leichtem Akzent, sehr engagiert im Vortrag.
Zweites Werk: Degenhardts "Wölfe mitten im Mai" - die instrumentale Einleitung so angelegt, dass sie schon nichts Gutes verheißt! Zum Ende hin hat Fehling seine charakteristischen Techniken des "Mehr", der Erweiterung, mehr als deutlich angewendet, wodurch eine starke Betonung der Verse erreicht wird. Besonders spannend: in den allerletzten Versen wird zeitweilig "entschleunigt", das Tempo vorübergehend reduziert - und noch mehr akzentuiert.
Von beiden Liedern stark abweichend "Aliénation - Hankeni uf" des elsässisch-alemannischen Liedermachers André Weckmann: Besonders drastisch in der Wortwahl, um aufzurütteln, um "wach zu machen" - vielleicht auch etwas resigniert ob der Tatsache, dass die Mehrheit der Bevölkerung sich nicht wehrt gegen drastische Umweltzerstörung. Als Clou waren Plakate gegen das Atomkraftwerk Wyhl aufgestellt, gegen dessen Errichtung Weckmann protestiert bzw. Lieder geschrieben hat. Die letzte Strophe trugen Solist Michael Kamp und der Chor fast gebetartig - langsam und betont - vor.
Das Programm schloss mit Louis Fürnbergs "Wer nicht den Mut hat". Dieses Lied war bereits im letzten Programm erklungen, die jetzige Wiederholung programmatisch und auch sonst mehr als passend, schon weil es eines der eingängigsten und in meinen Augen schönsten Lieder von Reinhard Fehling ist.
Ganz am Ende eine Vertonung Fehlings von Eichendorffs "Schläft ein Lied in allen Dingen", um das Publikum zu beteiligen - im Kanongesang. Und es gelang Fehling, hier ein passables Ergebnis zu erzielen. Auch geriet das Lied - nicht nur bei mir - zum Ohrwurm, wie man beim Rausgehen bemerken konnte...
Gesamtfazit: Ein Mammutprogramm, wie sich auch in der aufsatzartigen Rezension zeigt... Entschuldigung! Aber an sich gibt es gar nichts entschuldigen, denn steigt man ausführlich in die Interpretation ein, bringen Musik und Text gleichermaßen so viel Bedenkenswertes - metaphorisch wie direkt. Und das ist eine klare Absicht von Reinhard Fehling, der wiederum Großartiges mit diesem Programm geschaffen hat. Alle Beteiligten - auch Heike Prochnow als Moderatorin samt Zwiegesprächen mit Fehling - bewirkten mit musikalischen und sprachlichen weitestgehenden Perfektionen (beste Einrichtungen, Interpretationen, Hörbarkeiten) zweifellos einen unvergesslichen Abend. Alles lief letztlich hinaus auf Freiheiten inklusive der Utopie, der Option einer weitergehenden Freiheit. Jedoch wurde auch klargemacht, wo Gefahren für die Freiheit bestehen. Im Endeffekt bleibt aber die Utopie einer besseren Zukunft - die Richtung hat Reinhard Fehling dazu in Grundzügen, aber mit Eminenz, aufgezeigt.