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Art Kamen ist in der 10. Auflage noch internationaler – mit noch mehr Perspektivwechseln

am . Veröffentlicht in Kunst & Gestaltung

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von Katja Burgemeister | Fotostrecke >>>

Kamen. Gerade schauten sie noch in der Stadthalle fasziniert zu, wie ein knallbuntes Gesicht aus der Druckerpresse zum Vorschein kam. Wenig später machte sich die kleine Familie zu Fuß auf den Weg in die Innenstadt. Die offene Goldschmiedewerkstatt mit „Live-Kunst“ war eine willkommene Gelegenheit für einen abendlichen Spaziergang durch eine unbekannte Stadt. Die Künstler an uralten Werktischen mit jahrzehntealten Werkszeugen bei ihrer filigranen Arbeit zu beobachten: „Das ist eine tolle Idee und ein schönes Erlebnis. Und die Stadt ist so grün!“, erzählen sie.

Die 10. Kamener Kunstmesse hatte wieder Überraschendes zu bieten. Vor allem aber ungewohnte Perspektiven. Etwa wenn es mit Michael M. Rohde in das ganz private Badezimmer geht und dort der Alltag von unten betrachtet wird. Die mit Schaum geflickte rostige Wanne, die verschmutzen Windungen der Toilette, der Hund, der sich im Spiegel über dem Waschbecken spiegelt: Es ist der Gipfel der Intimität, den der Betrachter hier als Voyeur erlebt. Wie der Künstler diesen glasklaren Blick von unten umgesetzt hat, bleibt derweil ein Geheimnis.

Intim sind auch die Momente am Strand an einem Fotografiestand wenige Meter entfernt. Wenn sich die korpulenten Damen in Rückansicht auf ihren Handtüchern ausbreiten, möchte man fast ein wenig beschämt wegschauen. In silbernen Kugeln im Spiegel ziehen die Besucherströme vorbei, während sich in den beleuchteten Sonnen nebenan erst nach einer Weile offenbart, dass ihre Strahlen aus Hunderten von Löffeln und Gabeln bestehen. Gesichter in kubistischen Würfen, Jazz in verwischten Strichen, Schwangere mit steinernen Bäuchen: Genaues Hinsehen war gefragt, um die vollen Dimensionen und Perspektiven in dieser „Jubiläumsmesse“ zu erahnen.

Art16918KBManche Werke konnten sich die Interessierten schon für kleines Geld in die Tasche packen. Etwa das Buch der guten Laune mit vielen augenzwinkernden Einblicken. Für andere Stände musste sich erst einmal eine Versicherung finden. Denn was dort alles an den Wänden hing, konnte schon ein kleines Häuschen finanzieren. Was Otto Waalkes, Udo Lindenberg, James Rizzi und Armin Müller-Stahl alles auf Leinwände gebracht haben, geht lässig in den satten sechsstelligen Bereich.

Da war die gesamte Messe deutlich „billiger“ zu haben. Dennoch wird es auch für die Künstlergruppe Reflex als Organisator, allen voran für Reimund Kasper, immer schwieriger, die Finanzen noch zu stemmen. Spendenquittungen sind überall gefragt, insbesondere von öffentlichen Stiftungen. „Da sind wir froh, wenn Unterstützung von privater Seite kommt und dafür einige Neuwagen auf dem Vorplatz präsentiert werden“, schildert Kasper. Dafür ist der Eintritt für die Besucher frei. Und die Resonanz ist nicht nur von profilierter Seite mehr als positiv, etwa von Professoren der regionalen Fachhoch- und Kunstschulen. Und die Besucher strömen beständig, Selfie mit Pariser Kunst-Cafészene inklusive.

Kein Wunder, war die Vielfalt an diesem Kunst-Wochenende doch immens. Nicht nur weit über die Region hinaus kamen die Künstler aus Düsseldorf, Hamburg, Berlin oder Potsdam. Auch aus dem Ausland wie der Schweiz, Österreich, den USA oder den Niederlanden hing Kunst an den Ausstellungswänden. Wie die Werke von Wayne Le One, der ursprünglich aus Louisiana stammt. Inzwischen lebt er in Soest, ist auch Tänzer und Poet und lässt all das in seine Malereien und Skulpturen einfließen. Ballett-Tänzerinnen finden sich dort direkt neben schummrigen Szenen aus der Jazzkneipe. Er war zum ersten Mal in Kamen dabei. „Über Kontakte aus den Künstlernetzwerken habe ich hiervon gehört“, schildert er.

In der Goldschmiede Telgmann herrschte ebenfalls ein reges Kommen und Gehen. Es gab ein Getränk und eine kleine kulinarische Stärkung, bevor es in die Werkstatt ging. Die ist normalerweise heilig, nur an wenigen Tagen im Jahr geöffnet. Ein Tag in der Woche ist die Goldschmiede sogar geschlossen, weil dann der Fokus ausschließlich auf der Kunst liegt, die hier in filigranen Arbeitsschritten entsteht. Die Tische, die Werkzeuge, die Baumstämme, auf denen weitere Arbeitsschritte vollendet werden: Vieles scheint hier aus einer ganz anderen Epoche und Welt zu stammen. „Goldschmiede ist ein Handwerk, und dort haben sich viele Arbeitsschritte seit vielen Jahrhunderten nicht geändert“, erzählen die Fachleute hier. Die Besucher konnten zuschauen, wie akribisch gefeilt wurde an einem Element, das sich viel später um einen Spiegel wand. Ein Wachsabguss entstand. So nah kam man der Kunst so schnell nicht wieder wie an diesem Wochenende der „Art Kamen“. Fotostrecke >>>