von Dr. Götz Heinrich Loos
Kamen/Bönen. Das Weihnachtskonzert führte den Oratorienchor der Stadt Kamen dieses Mal - ungewohnterweise - nach Bönen in die Alte Kirche. Dies war sicherlich ein Entgegenkommen an den Hauptsponsor, die Gemeinschaftsstadtwerke, die ja bekanntlich Bönen neben Kamen und Bergkamen ebenfalls bedienen. Wie auch immer, diese Kirche mit dem vergleichsweise kleinen Raum für die Gemeinde, der jedoch durch eine Etage in Höhe der Orgelempore erweitert ist, bot auch den Mitwirkenden nicht allzu viel Platz. Trompeten und Pauken mussten schon auf den Seitenbereich ausweichen. Da bangte man um die Akustik - was sich aber als unnötige Sorge herausstellte.
Ach ja, natürlich gab es wieder Bachs Weihnachtsoratorium, dieses Mal die Kantaten I, IV und VI. Und am Ende stand der Rezensent wieder vor einem altbekannten, in den letzten Jahren immer häufiger auftretenden Problem: Wie schreibt man eine nicht zu kurze Kritik, wenn alles perfekt war? Und es war alles perfekt! Sicher, ich gebe zu, dass ich es besonders gern mag, wenn Bach in historischer oder historisch informierter Aufführungspraxis gegeben wird - am besten mit Originalinstrumenten aus Bachs Zeit oder exakten Nachbauten. Das hat was für sich - weil Bach es so gehört hat und diesen Klang vor Augen und Ohren, als er komponierte. Aber es hat genauso etwas für sich, wenn man die konventionellen "modernen" Besetzungen in Bestform hört; das ist immerhin stets die "erste Bedienung", wenn man nicht weit fahren möchte, um das Weihnachtsoratorium zu hören. Wenn dann eben alles stimmt, kann man im musikalischen Genuss schwelgen, die Festlichkeit der Musik genießen und weihnachtlich-besinnlich gestimmt werden.
Außer dem Oratorienchor der Stadt Kamen waren unter Franz-Leo Matzeraths musikalischer Leitung Mitglieder des Philharmonischen Orchesters Dortmund, des Philharmonischen Orchesters Hagen und des WDR-Sinfonieorchesters beteiligt, unter den Trompetern waren zudem Peter Mönkediek, bereits als "Star"-Trompeter bei den hiesigen Bachschen Weihnachtsoratoriumsaufführungen bekannt, und von der Neuen Philharmonie Westfalen Manfred Hof. Die Sologesangspartien übernahm ein wirklich regelrecht internationales Quartett: Johanna Isokoski (Sopran) aus Finnland, Itzel Medecigo (Mezzosopran bzw. Alt) aus Mexiko, Jean-Pierre Ouellet (Tenor) aus dem französischsprachigen Teil Kanadas, schließlich der gute Freund Kamens unter den Bass-Sängern, Michael Dahmen (aus... Deutschland). Und sie waren alle Idealbesetzungen. Die Trompeter, die reichlich zu tun hatten in den Kantaten I und VI, mit Peter Mönkediek an der Spitze, der wieder vergnüglich mehr oder minder explizit bzw. signifikant improvisierte, waren die Spitze der Strahlkraft der Aufführung; in der Kantate IV mussten zwei von ihnen zum Horn greifen, wobei Manfred Hof ein Bügelhorn spielte, was klanglich von dem anderen, einem kleinen Orchesterhorn (der eigentliche Nachfahre von den bei Bach eingesetzten Hörnern) abwich, worüber man meckern darf, aber nicht muss - diese Klangmischung war aufregend, spannend, interessant! Alle vier Sängerinnen und Sänger gaben perfekt ihr Bestes und lieferten so glänzende Partien ab, dass kein Zweifel übrig bleiben konnte. Bei Johanna Isokoski rief einiges Erstaunen ein bisweilen auftretendes unvermitteltes Schmettern in der Stimme hervor, ohne dass sie danach an Kraft verlor; im Gegenteil, meisterhaft bewältigte sie die Rezitative und Arien. An einigen Passagen, die gemeinhin etwas kritisch für den Gesang sind, konnte ich die Perfektion der Solistinnen und Solisten konstatieren. Und dem stand der Chor in Nichts nach. Es ist schlichtweg müßig, hier Erbsen zu zählen - es war alles mehr als gut: Tempi, Dynamik, Phrasierung, Angemessenheit in der Interpretation usw. usf. Vielleicht sei noch aus der Kantate IV die Arie "Flößt, mein Heiland, flößt dein Namen" kurz erwähnt: hier muss die Solo-Sopranistin teilweise alternierend mit einer Echo-Sopranistin aus dem Chor singen. Dieser Part kam Regina Stenzel zu, die dazu vom "Schwesterchor", dem Chor der Konzertgesellschaft Schwerte, zur Aufführung gekommen war. Mit klarer Stimme und völlig sicher in der Tonlage füllte sie ihre Rolle - ebenfalls perfekt - aus.
Und die Akustik? Wie bereits erwähnt, es war eine fantastische Akustik. Ich saß in der oberen Etage schräg gegenüber dem Ensemble und wurde von bester Akustik eingefangen. Von früheren Konzerten in der Alten Kirche weiß ich zudem, dass es unten genauso gut zu hören ist.
Die herausragende Interpretation forderte zu stehenden Ovationen heraus - und zur Zugabe. Die war freilich vorbereitet: Alle Beteiligten musizierten zusammen "O du fröhliche" - will sagen: die meisten sangen. Es war ein wohliges Gefühl, als sich die Stimmen sammelten und vermengten - das Publikum sang so kräftig und sicher mit, dass es ein beeindruckender Abschluss wurde.