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Musikkritik: Schubert und Brentano treffen sich, arrangiert von Reinhard Fehling: Eine Uraufführung der besonderen Art

am . Veröffentlicht in Musik

Pixabay.comvon Dr. Götz Heinrich Loos

Kamen. Der Komponist Franz Schubert ist tot. Der Dichter Clemens Brentano auch. Beide schon ziemlich lange. Zu Lebzeiten besuchten diese Wegbahner der Romantik vermutlich einige der gleichen Aufführungen, trafen sich aber nie persönlich. Inhaltlich und - oder biographisch verbindet sie Einiges, daher verwundert es, dass sie nie etwas miteinander zu tun hatten. Und trotzdem trafen sie sich am Samstagabend in der Konzertaula - posthum und durch einen Dritten, einen großen Kamener Musiker, arrangiert. Unter dem Titel "Märchen, Nacht und Träume. Ein Treffen der Herren Schubert und Brentano, nachträglich arrangiert von Reinhard Fehling" gab es ein besonderes Konzert, zugleich Uraufführung dieses "Arrangements", was insbesondere freilich die Brentano-Vertonungen Reinhard Fehlings betrifft.
Mit seinem Chor "Die letzten Heuler" und dem Instrumentalensemble "Les Sirènades" sowie den Gesangssolisten Julia Grüter (Sopran) und Michael Dahmen (Bariton) hat Reinhard Fehling, der selbst dirigierte und Klavierpartien übernahm (insbesondere Gesangsbegleitung) ein großes neues Kunstwerk geschaffen, das neben der Musik auch viel Wert auf den Text legte, der teilweise gelesen wurde, teilweise eben gesungen und zum Teil verschmolzen gelesene Teile mit gesungenen. Von den "Letzten Heulern" trugen mehrere, zum Teil abwechselnd, gelesene Partien vor; der längste Vorlesepart war das "Märchen vom Myrtenfräulein" Brentanos. Eine Moderation, eigentlich ein in Segmente geteilter Vortrag der geschichtlichen und biographischen Hintergründe von Schubert und Brentano - auch Gemeinsamkeiten und Unterschiede aufzählend (wesentliche Aspekte hat Fehling auch im Programmheft vorbildlich aufgearbeitet; unbedingt aufhebenswert!). Mit diesen Elementen erinnerte alles eigentlich an einen Abend in einem bürgerlichen Salon - oder eine "Schubertiade", wie die salon-ähnlichen Abende mit Schubert genannt wurden, bei der man sich aber eher im engeren Freundeskreis traf. Das war so beabsichtigt und so bemühten sich Mitwirkende, das in die Konzertaula eintretende Publikum sofort nach vorn zu dirigieren, so dass sich möglichst alles um die Bühne konzentriert und alle nahe beieinander sitzen. Mehr noch, auch auf der Bühne waren Sitzplätze installiert, die Ensemble und Chor flankierten; allerdings trauten sich nur wenige Zuhörerinnen und Zuhörer, hier "auf dem Präsentierteller" Platz zu nehmen. 

Das Programm war zweiteilig, durch die Pause getrennt. Zunächst gab es Schubert-Lieder. Fehlings Affinität zu Schubert ist ja schon durch diverse Aufführungen bekannt. Wieder einmal gelang es ihm, mehr als nur eine Aneinanderreihung von Liedern zu schaffen - durch Erläuterungen, durch Ineianderschachteln von Text und Musik - und allein schon durch die Abfolge der Lieder. Zur Instrumentierung sei noch gesagt, dass das Ensemble nicht nur die üblichen Instrumente der klassischen Musik umfasste (Violine, Viola, Cello, Flöte, Fagott, Klarinette und Horn), sondern sehr exponiert auch eine Gitarre, teilweise harfenklangartig, grundsätzlich aber auch ein Instrument, das sowohl Schubert als auch Brentano beherrschte - für Schubert in seinen frugalen Kammern und Armenwohnungen das einzige Instrument, mit dem er komponieren konnte (Klaviere waren im Alltag oft unerreichbar). "Nacht und Träume", "Wanderers Nachtlied", "Die bist die Ruh'" waren Chorlieder, die die "Letzten Heuler" mit einer unglaublichen Professionalität herüberbrachten. Häufig sind es die Soprane, die in den hohen Lagen etwas patzen - hiervon war kaum etwas zu bemerken; im Gegenteil, sang der Sopran allein, war das zauberhaft, feenhaft! Reinhard Fehling hatte für das "Ave Maria", den ersten Auftritt der Sopranistin Julia Grüter, ein besonderes Arrangement bereitet: ein Teil aus Brentanos "Szene aus meinen Kinderjahren" wurde mit Schuberts Anbetung der jungfräulichen Gottesmutter verwoben - dazu trug Fehling das Gedicht vor, während er die bekannte Melodie auf dem Klavier bereits vortrug; Julia Grüter setzte dann ein. Eine sehr bemerkenswerte, die inhaltliche Verknüpfung der Werte betonende Vorgehensweise.

Julia Grüter sang die "Litanei auf das Fest Allerseelen", dann setzte Michael Dahmen mit seinem sanften Bariton ein und intonierte "Im Abendrot", "Frühlingstraum" und "Des Baches Wiegenlied". Bei "Auf dem Wasser zu singen" sangen Bariton und Chor gemeinsam - in großer Dichte und Geschlossenheit, traumhaft und schön. Noch besser: "Der Wanderer" - sehr munter sangen Grüter und Dahmen zusammen mit dem Chor und führten das Publikum gut gelaunt in die Pause.

Eine große Erwartung stand vor dem zweiten Teil, Fehlings Brentano-Vertonungen. Clemens Brentano gehört zu den großen romantischen Dichtern, dennoch wurden nur wenige Vertonungen von Komponisten vorgenommen. Fehling vermutet im Programmheft, dass Brentanos Dichtungen vielleicht schon selbst Musik sind, unvertonbar, weil schon Vokalklänge und Sprachrhythmus in Brentanos Sprache liegen. Dennoch hat Fehling es versucht. Wer nun auf Vertonungen in Schuberts Stil hoffte, der hoffte vergebens. Reinhard Fehling benutzte eine eigene Tonsprache - spätromantisch und doch klar und durchscheinend, relativ einfach in der Struktur; vielleicht um die Worte und Rhythmen des Dichters möglichst wenig zu entstellen (kritisiert er doch im Programmheft Brahms und Strauss, die sich an Brentano versuchten und wenig Gutes dabei herauskam, weil die Musik seine Texte geradezu erwürgt). Heraus gekommen sind dabei aber durchaus gute musikalische Strukturen, die die Worte stützten und wenig effekthascherisch wirkten. Nach dem "Eingang", der wirklich wie ein Prolog für das Kommende wirkte, sehr interessant die "Phantasie", wobei die gesprochenen Strophen von hereinkommenden Musikern mit ihren Instrumenten (Flöte, Klarinette, Fagott, Horn) musikalisch durchsetzt wurden. "Der Spinnerin Nachtlied" war serenadenhaft strukturiert, mündete in einen leicht heiteren, aber abschließend melancholischen Klang.

Nun folgte das Hauptstück, das "Märchen vom Myrtenfräulein" - ein feines Märchen mit einem wunderschönen Grundtenor, das aber alle Elemente des Märchens vereinte, bis hin zum splatterartigen Mord, einem guten Ende mit Bestrafung der bösen Mörderinnen. Fehling beschränkte sich mit der Vertonung einzelner Teile des Märchens, die überwiegend schon als Lieder bezeichnet waren; der größte Teil wurde vorgelesen - was vielleicht einige Längen verursachte, aber das war nun gewiss Absicht des Komponisten. Die zarte Melancholie, die auf den meisten Stücken lag, wurde schlagartig mit dem Hochzeitstanz am Ende durchbrochen - einem bayerischen Volkstanz, wie er auch von Gustav Mahler schon in Werken eingebaut wurde. Das wurde dann auch in Wiederholung die Zugabe, zu der Reinhard Fehling dann sogar - sehr moderat - tanzte.

Als Finale wählte Fehling zuvor das Gedicht "Sprich aus der Ferne", nach seiner Aussage sein Brentano-Favorit. Und so hatte er sich bei der Komposition ohrenscheinlich noch mehr ins Zeug gelegt. Die Interpretation war jedenfalls allseits sehr engagiert, sehr vorwärtsstrebend, sehr dynamisch und sehr glänzend. "Sprich aus der Ferne / Heimliche Welt / Die sich so gerne / Zu mir gesellt": ein strahlender Abschluss eines Gedichtes mit Strahlkraft und von beseelender Genialität. Ein begeisterter Applaus war dem Komponisten gewiss, von einem nicht ganz kleinen Publikum - obwohl man sich eine noch vollere Aula gewünscht hätte. Reinhard Fehling jedenfalls bewies einmal mehr seine Kreativität, seinen Einfallsreichtum, seine kompositorischen Fähigkeiten und seine Vortrefflichkeit, Gesamtkunstwerke zu schaffen. Wie es Schubert und Brentano gefallen hätte, kann man nicht wissen, aber es gereichte beiden zur Ehre - es wurde eine gelungene Hommage an beide.