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Musikkritik: 4. Sinfoniekonzert: Wunschkonzert mit übersprudelnd gut gelauntem und engagiertem Gründungsdirex

am . Veröffentlicht in Musik

Pixabay.comvon Dr. Götz Heinrich Loos

Kamen. Manchmal ist das Leben doch ein Wunschkonzert - zumindest für einen Abend... Das Publikum hatte abgestimmt für dieses besondere Jubiläumskonzert, die zweite besondere Veranstaltung im Rahmen der Feiern zu "20 Jahre Neue Philharmonie Westfalen" nach Mahlers Achter. Eine vierstellige Personenzahl beteiligte sich an der Wahl der Lieblingswerke, insgesamt an allen drei Hauptspielorten der Neuen Philharmonie Westfalen. Aus den Favoriten wurde dann ein Dreierprogramm zusammengestellt, interessanterweise mit zwei Flüssen: Moldau und Rhein. Allein dieses Phänomen war Johannes Wildner - inzwischen nicht nur Dr., sondern auch Universitätsprofessor in Wien - eine augenzwinkernde Bemerkung wert. Mark Mefsut kündigte ihn in der Konzertaula ganz "Star-like" an, den Gründungs-Generalmusikdirektor der Neuen Philharmonie, der sofort wieder mit seiner sympathischen Wiener Art und seinem Charme übersprudelnd vor Redelust loslegte, als wäre er nie fort gewesen. Und das Publikum für sich herzlich einnahm. So hing es ihm an den Lippen, als er dieses Mal quasi den Einführungsvortrag hielt - dabei ging er auf die drei Werke freilich nur am Rande ein; er zog vielmehr ein Resümée seiner Arbeit, der Kämpfe um den Erhalt des Orchesters (besonders mit und durch den Einsatz des Oberkreisdirektors Karl-Heinrich Landwehr und demjenigen des heutigen ihm darin bestens folgenden Landrates Michael Makiolla); sehr eindringlich auch, dass dieses eine weiterhin vorrangige Aufgabe sein müsse, ohne Wenn und Aber - denn Kultur muss erhalten bleiben, da sie Grundbedürfnisse des Menschen befriedigt! Und die Neue Philharmonie Westfalen ist ein zwingender Kulturbaustein des Kreises Unna!

Der heutige Ehrendirigent der NPW hob jedenfalls hervor, mit welcher Freude er anlässlich dieses Konzertes zurückgekommen sei und mit welcher Lust das Orchester und er musizierten. So machte er auch erhebliche Lust - auf das Konzert. Also mehrfache Lust - die Erwartung war sehr hoch. Und sie wurde nicht enttäuscht. Als erstes, zunächst kürzeres (gewissermaßen ouvertürenhaftes) Werk kam "Die Moldau" ("Vltava" im Original) aus Smetanas Zyklus "Mein Vaterland" ("Ma Vlást") zu Gehör - ein häufig gespieltes, aber dennoch immer wieder bezaubernd schönes Stück; natürlich auch etwas abhängig von der Interpretation. Leider wird "Die Moldau" immer wieder solitär gespielt, ohne den Rest des Zyklus, obwohl man vor allem den Abschnitt kurz vor dem Finale gar nicht verstehen kann, wenn man nicht den ersten Satz von "Mein Vaterland" kennt. Wildner wählte eine etwas angezogene, also schnellere Spielweise, die trotzdem die Nuancen des Werkes sichtbar werden ließ - nur in einzelnen Partien verschwamm das Ganze etwas; aber passt das nicht zum Fluss...? Der zweite Abschnitt, in dem das Hauptmotiv wieder auftaucht, wurde zumindest anfangs dann deutlich schneller genommen - durchaus interessant interpretiert. Am Ende blieb kein Zweifel: Hoch professionell und wunderschön in allen Gefühlsnuancen; Perfektion erster Gute - und die Lust von Dirigent und Orchester sprudelten von der Bühne ins Publikum.

 

Das zweite vielgewünschte Werk war Rachmaninows Konzert für Klavier und Orchester Nr. 2 c-moll op. 18 - nicht minder populär als "Die Moldau", aber vielleicht nicht ganz so weithin bekannt. Solist am Klavier war Matthias Kirschnereit, mit dem man gar keinen Besseren zu diesem Konzertereignis finden konnte, da er selbst bei aller Konzentration meist gut gelaunt und ähnlich offen, das Publikum ansprechend, ist wie Wildner. Die beiden harmonieren - nicht nur an diesem Abend. Kirschnereit hatte nun die schwere Aufgabe, bei diesem oft intonierten Werk noch Neues zu erschaffen, die Interpretation voranzubringen. Das gelang ihm durch betonte Brillanz: Nicht zurückhaltend sein, war hier die Devise; das Werk musste dem Jubliläumsanlass entsprechend glänzen, strahlen. Wie Kirschnereit das genau gelang, vermag man kaum in Worten darzulegen. Er entlockte dem Flügel jedenfalls eine Bewegungslinie, um die herum eine ausgefeilte, schwächere bis stärkere Dynamik auftrat - mit teils starken Akzenten (dies im doppelten Sinn des Wortes!) und einer Strahlkraft im Ausdruck. Das Publikum honorierte es mit kräftigem Applaus und Zugabeforderungen - denen er (auch auf humorvollen, freundschaftlichen Druck Wildners) nachkam mit zwei populären Klavierstücken von Chopin: Nocturne cis-moll und Etüde As-Dur; beide fast spielerisch herübergebracht, ohne unangebrachte Pathetik und unnötige Schwere. Wieder ein ausgezeichneter Auftritt von Matthias Kirschnereit bei uns!

Nach der Pause kam der Abschluss mit Schumanns Sinfonie Nr. 3 Es-Dur op. 97, der so genannten "Rheinischen", deren Hauptthema des ersten Satzes wiederum sehr populär ist (z. B. als Titelmelodie der WDR-Sendung "Hier und heute"). Dieses Werk ist auch in Kamen immer wieder zu hören, unter Wildner gab es früher hier eine Aufführung. Soweit ich mich erinnere, hatte er damals die Sinfonie mit etwas erhöhtem Tempo dirigiert - und so tat er es auch hier. Doch im Allgemeinen passte es; die Ausdrucksfülle wurde durch die Geschwindigkeit nicht beeinträchtigt, wenn auch manchmal gerade soeben. Den zweiten Satz - meinen Favoriten - hätte ich jedoch grundsätzlich zumindest leicht langsamer spielen lassen. Sei es drum: Als Kenner des Werkes konnte ich es förmlich mitatmen und so eben alle Passagen genau gehörlich überprüfen - es war fantastisch und alle Betonungen (wie schon gesagt) waren gut gesetzt und die Vorgaben Schumanns aus meiner Sicht bestens umgesetzt. Die Professionalität des Orchesters wurde wieder maximal deutlich und vom Applaus her gewaltig honoriert. Leider ließen sich Orchester und Wildner nicht zu einer Zugabe bewegen.

Nach dem Konzert gab es noch in kleinem Rahmen ein Gespräch mit Johannes Wildner im Aulafoyer und hier betonte er das, was wir in langen Jahren genauen Zuhörens inzwischen als prinzipiell, als Standard bemerkt und in den Rezensionen bereits seit Jahren schon formuliert haben: Die NPW ist längst kein B-Orchester mehr, sondern steht gleichrangig neben den so genannten "großen" Orchestern - die ebenfalls zweifellos herausragend sind, aber ihre Größe meist durch Protegieren, durch Lobbyarbeit auf höchster Ebene (und auf langer Tradition) aufgebaut haben. Unsere Politiker mögen endlich alle verstehen, dass wir es hier mit einem erstrangigen Sinfonieorchester zu tun haben, dessen Existenz auf den Prüfstand zu stellen - gelinde ausgedrückt - unangemessen ist. In diese Kerbe schlug auch Wildner weiter beim Gespräch: Der Erhalt und die Förderung der Neuen Philharmonie Westfalen ist - wenn man diese abgeschmackte Formel im Duktus der zeitgenössischen politischen Kultur benutzen möchte - alternativlos!