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Musikkritik: Neujahrskonzert mit Bewährtem, seltener Gehörtem und hervorragenden Beteiligten

am . Veröffentlicht in Musik

Pixabay.comvon Dr. Götz Heinrich Loos

Kamen. Das Neujahrskonzert am Sonntag in der Konzertaula brachte die Großpolnische Philharmonie Kalisch auf die Bühne. Dieses Orchester gehört zu den klanglich professionellsten Regionalorchestern Polens, hat aber auch internationale Meriten vorzuweisen, so gewann es 2014 für eine Aufnahme unter seinem Chefdirigenten Adam Klocek den Grammy in der Kategorie "Best Large Jazz Ensemble". Diese Auszeichnung belegt zugleich die Vielseitigkeit, mit der dieses Orchester zu Werke geht. Auch ist es im Guinness Buch der Rekorde mit dem am tiefsten aufgeführten Konzert der Welt verzeichnet: Vivaldis "Vier Jahreszeiten" in der Klodawa-Salzmine 600 Meter unter dem Meeresspiegel.
Dieses kleine, aber feine Sinfonieorchester war also zu Gast in Kamen. Dirigent und Moderator war aber nicht der Chefdirigent, sondern Hermann Breuer, der in Kamen wiederholt Neujahrskonzerte geleitet hatte und für seine kurzweiligen Moderationen hier sehr geschätzt ist. Das gewählte Programm war dann auch sehr abwechslungsreich - umfasste Neujahrs-"Dauerbrenner" und weniger bekannte Werke, die es sich aber anzuhören sehr lohnt. Hinzu kam als Solist der polnische Tenor Dariusz Pietrzykowski, dessen Namen auszusprechen Hermann Breuer einige Übung abverlangte, wie er einige Male betonte - und dafür jedes Mal Applaus bekam. Der Betroffene nahm es mit Humor, so war er unversehens "hinterrücks" auf die Bühne gekommen und überraschte Breuer so mit spitzbübischem Lächeln.
Grundsätzlich: Was das Publikum qualitativ zu hören bekam, war hochwertig. Wie viele osteuropäische Orchester, ist auch die Großpolnische Philharmonie Kalisch eine Gemeinschaft vieler ausgezeichneter Musikerinnen und Musiker, denen die verschiedenartigen Stücke keinerlei Schwierigkeiten bereiteten. Ebenso bot Dariusz Pietrzykowski - übrigens auch nicht leicht zu schreiben - Tenorarien mit Intensität, kräftiger Stimme und glänzender Ausdruckskraft. Nicht verschwiegen werden soll, dass er bei seinem ersten Auftritt (Arie des Nadir "Je crois entende" aus Bizets Oper "Die Perlenfischer") am Ende in hohen Lagen etwas ins Schlingern geriet, was auch dem Publikum ohrenscheinlich auffiel; aber in dieser Erkältungszeit kann eine Stimme mal etwas aus den Fugen geraten - der gesamte Rest seiner Auftritte war vom Feinsten.
Das Konzert begann aber mit der Ouvertüre aus Franz von Suppés Operette "Die schöne Galathée", gefolgt von der vielfach ebenfalls außerhalb des Konzertsaals verwendeten Farandole aus Bizets "L'Arlésienne". Brillant kann die Interpretation beider Werke genannt werden. Gleiches gilt für den Galopp aus "Jeux d'enfants", ebenfalls von Bizet. Da den meisten Zuhörerinnen und Zuhörern wohl Bizet im Wesentlichen durch "Carmen" bekannt war, muss diese Auswahl als sehr gelungen bezeichnet werden, um zu zeigen, dass Bizet doch mehr konnte. Die Ouvertüre zu Donizettis Oper "Don Pasquale" ist sicher kein unbekanntes Werk, wird aber auch nicht zu oft gespielt, so dass auch dieser Wurf als gelungen angesehen werden kann. Wenn der Kritiker dann doch etwas zetern muss, dann kann es lediglich um Details gehen, so hätten in der Farandole die Holzbläser ihre Melodien etwas besser herausschälen können, deutlicher und pointierter - aber das sind wirklich keine Aspekte, die den Gesamteindruck beeinträchtigen können.
Dariusz Pietrzykowski kam ganz perfekt und strahlend heraus bei Johann Strauß' (Sohn) "Als flotter Geist" aus dem "Zigeunerbaron". Der erste Teil des Konzertes endete mit der Bacchanale aus Saint-Saens' "Samson und Dalila" - traumhaft interpretiert, mit einer stimmlichen Stärke, wie man sie bei einem kleineren Orchester kaum erwartet. Der Klang dieses Werkes war dann ebenso ganz anders als alles, was man zuvor gehört hatte; Saint-Saens war eben ein besonderer Genius.
Nach der Pause folgte als erstes die Ouvertüre aus Johann Strauß' (Sohn) Operette "Indigo und die 40 Räuber" bzw. später als "Tausend und eine Nacht" bekannt. Das Orchester spielte, als wenn es nie etwas anderes als den Straußschen Wiener Klang verinnerlicht hatte - herausragend. Pietrzykowski kam zu Ehren mit "Von Apfelblüten einen Kranz" aus Lehárs "Land des Lächelns" und später mit "Heut' geh ich ins Maxim" aus Lehárs "Lustiger Witwe" - letzteres Stück war auch das Motto des Konzertes; das befremdete mich zunächst angesichts des Programms, aber letztlich ging es in den Stücken vielfach um das Feiern, Lebensfreude und das Trinken - passte also doch. Zwischen den beiden Tenorarien wurden die Schnellpolka "Par force" und die äußerst bekannte Annenpolka von Strauß junior gespielt; ich wiederhole mich, aber das waren Wiener Strauß-Klänge par excellence. Mit diesem bekanntesten Strauß schloss auch das Konzert: Zunächst der Csárdás aus der komischen Oper "Ritter Pásmán" (wäre noch etwas schneller gegangen) und schließlich ein Neujahrsdauerbrenner: "An der schönen blauen Donau" - fein geschliffen und durchgehend, wie sie sein sollte in Klang und Tempo.
Damit war klar: Es musste Zugaben geben - "vorbereitete Zugaben", wie Hermann Breuer freundlich-ironisch (und ehrlich) betonte. Zuerst überraschte Dariusz Pietrzykowski mit der polnischen Version der Arie "Ja, das alles auf Ehr" aus dem "Zigeunerbaron" - ungezügelt und voller Schwung mit einer Stimme... nun, siehe oben. Schließlich der "Radetzky-Marsch" vom Strauß-Vater - es muss einfach sein und war musikalisch auch sehr gut dargeboten, keine "Stangenware". Begeisterung beim Publikum durch einen gelungenen musikalischen Jahresstart.