Musikkritik: 7. Sinfoniekonzert: Frankreich im Revier – Bekannte Komponisten und weniger solche, mit Saxophon
von Dr. Götz Heinrich Loos
Kamen. „Suite Française“ hieß das erste Werk des 7. Sinfoniekonzertes dieser Saison der Neuen Philharmonie Westfalen am Mittwochabend in der Konzertaula. Damit war das Programm schon umrissen: „Frankreich im Revier“ – also französische Komponisten. Da erwartete man in erster Linie Debussy und Ravel, die dann auch im zweiten Teil die Rolle spielten. Besagte „französische Suite“ stammt aber von Darius Milhaud, der hierzulande nicht die größte Bekanntheit ist, jedoch allein schon als Lehrer musikalischer Superstars unterschiedlicher Ausrichtung wie Dave Brubeck, Burt Bacharach, Karlheinz Stockhausen und Steve Reich herausragend bedeutend war. Milhaud selbst schrieb Werke verschiedenen Typs, ließ allerdings oft eine mehr oder minder große Orientierung am Jazz einfließen, so auch in dieser „Suite“. Durch fünf französische Provinzen geht es, also eine Reise durch ausgewählte Gebiete, eben jene, die von den alliierten Streitkräften mit der Resistance im Zweiten Weltkrieg befreit wurden – für den ins Exil gezwungenen eine Herzensangelegenheit. Die nach den Provinzen benannten Sätze sind so bunt und enthalten eine solche Vielfalt an Einfällen, die von zugehörigen Volksliedern bis zu freien oder durch andere Werke beeinflussten Themen reichen, dass eine genaue Beschreibung hier viel zu viel Raum einnehmen würde. Jedenfalls habe ich eine Reihe von Interpretationen gehört und diejenige der NPW unter Rasmus Baumann gehört zu den Inspirierendsten, mit Liebe zum Detail und zur Dynamik – einfach nur begeisternd.
Ein besonderes Werk, das man zu selten hört, war auch das darauf folgende Konzert für Saxophon und Orchester von Milhauds gutem Freund Henri Tomasi. Dieses Werk überrascht dadurch, dass es in zwei Sätzen eine unvorstellbare Bandbreite an Stimmungen, Ideen, Ausbrüchen, Zurücknahmen, spielerischer Tänzelei, schwermütiger Tiefe usw. usf. zusammenbringt, mit überraschenden Wendungen – und einer Beweglichkeit des Altsaxophons, dass es fast unglaublich erscheint. Dazu kam auch die passende Solistin: Asya Fateyeva, eine der vielversprechendsten jungen Saxophonvirtuosinnen unserer Zeit, übernahm mit Esprit und perfekter Technik, dabei vielfältiger Ausdrucksfähigkeit den Part und begeisterte zurecht das Publikum. Da musste freilich eine Zugabe gespielt werden – ganz konträr zu dem Konzert eine Saxophon-Einrichtung von der Sarabande aus Bachs Cello-Suite Nr. 2 d-moll; wie hier die Cello-Klänge in das Saxophon übertragen wurden, war schon erstaunlich, um nicht neudeutsch zu sagen „krass“, aber gut!
Nach der Pause dann Debussy und Ravel. Das „Jeux“, die (Tennis-)Spiele, ein „Poème dansé de Nijinsky“, also eine Tanzpoesie für Nijinskys „Ballets Russes“, machte den Anfang – ein skandalumwittertes Werk, dessen Choreographie Debussy auch gar nicht gefiel. Die Musik ist jedenfalls prachtvoll – ein Walzer, der in seinem spielerischen Schwung dem Tennisspiel vielleicht beschreibend nahekommt, in seiner Klangfarbentiefe aber nicht gerade an ein freudiges Spiel erinnert. Die NPW unter Rasmus Baumann schaffte klanglich ein Mittelding zwischen extrem impressionistischen Tönen und einem nicht zu geschliffenen Klang, der Debussy so vermutlich besser gefallen hätte als manche „süßliche“ Einspielung – also bestens!
Und ebenso bestens die Suite Nr. 2 aus Ravels „Daphnis et Chloé“, mit seinen Steigerungen bis hin zu einem fast ohrenbetäubenden Taumel, natürlich ganz in positivem Sinne laut. Mehr als zehn Schlagwerker sind hier nötig, so dass die NPW Gastmusiker bemühen musste, die alles gaben. Vom leisen Erwachen der Natur bis hin zum orgiastischen Bacchanal ist es eine Schwerstaufgabe für das Orchester Stück für Stück die Dynamik anzuheben. Der generell große Orchesterapparat – große Besetzung plus weiteren Instrumenten wie Altflöte – darf hier nicht in Schwerfälligkeit verfallen, sondern muss die Leichtigkeit auch in kräftigeren Klängen und bisweilen auftretenden Melancholie-getränkten Abschnitten bewahren, den Tanz, der auch hier wieder tragend wird. Und wie es die NPW schaffte: Trotz des verwobenen Klangteppichs eine gewisse Transparenz zu wahren, das war die hauptsächliche Meisterleistung – neben einer völlig stimmigen und ausdruckstechnisch perfekten Interpretation. Ein wirkliches Erlebnis und wieder ein Beweis der Professionalität des Klangkörpers.