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Musikkritik: 8. Sinfoniekonzert: „Paare“ als Thema und als Solisten; und fast ein Rausch der Klangfarben

am . Veröffentlicht in Musik

Pixabay.comvon Dr. Götz Heinrich Loos

Kamen. Dem 8. Konzert der Neuen Philharmonie Westfalen der Spielzeit 2016/17 am vergangenen Mittwochabend in der Konzertaula wurde das Motto „Paare“ vorangestellt. Roland Vesper erläuterte, denn bei den beiden Werken nach der Pause war klar, dass es um berühmte ebensolche ging; aber Brahms‘ Doppelkonzert (das für Violine, Violoncello und Orchester a-moll op. 102)…? Ja, klar, zwei Soloinstrumente – zuerst im Disput, später unisono vereint, dann aber wieder etwas stürmischer im letzten Satz. Hier ging es um den handfesten Streit zwischen Brahms und seinem Freund Joseph Joachim, ein eigentlich treuer Wegbegleiter, namhafter Violinvirtuose; leider hatte sich Brahms im Scheidungsstreit zwischen Joachim und seiner Frau auf deren Seite gestellt, mit der Folge, dass Joachim nicht mehr mit ihm sprach. Mit diesem Konzert versuchte Brahms die Freundschaft wiederzubeleben. Die Solisten waren keine Freunde, sondern Brüder: Sebastian Schmidt an der Violine, Bernhard Schmidt am Violoncello – ein eingespieltes Team (im wahrsten Sinne des Wortes!). Bernhard Schmidt überraschte gleich zu Beginn mit einer sehr markigen, kantigen Interpretation, erfrischend anders als viele Einspielungen dieses Werkes. Ihre perfekte Abstimmung besonders im Andante war glasklar. Und das Orchester hielt kräftig mit, teils auch dagegen – klanglich ebenfalls weniger weich als bei diesem Werk üblich, ja, der Streit war hörbar! Aber in bester Form! Dazu trug freilich auch der Dirigent bei, an diesem Abend ein Gast: Marc Piollet, ein Hüne mit langen Händen, der beileibe keinen Taktstock benötigte (und auch wirklich keinen benutzte). Mit engagierten Bewegungen trieb er das Orchester an, aber nicht tyrannisch, sondern frisch und verschmitzt lächelnd, eben mühelos. Die NPW machte alles mit, ohne Missklänge oder Patzer, alles zu ihrer professionellen Ehre gereichend.

Dann Albert Roussels „Bacchus et Ariane“, op. 43, Suite Nr. 2. Roussel war sehr von Ravel beeinflusst und spielte sehr stark mit den Klangfarben. Im Wesentlichen ist diese zweite Suite auf die Begegnung Arianes (oder besser Ariadnes) mit Bacchus zugespitzt, eine schnell zur Sache kommende rauschhafte Angelegenheit, die sich weiter steigert zur Dauerekstase, einem wilden Bacchanal. Musiktypologisch sind fast von Anfang an viele marschartige Rhythmen vorhanden, teilweise verspielt, teilweise irrsinnig… Aber mit großem Orchester nicht schlecht!

Und schließlich César Francks Sinfonische Dichtung „Psyché“: „Klassischer“ als Roussel? Ja! Aber doch gewaltig spätromantisch. Zurückgenommener als Roussel zweifelsohne, dafür mit Franck-typischen Akzenten, z. B. die mir sehr angenehme Eigenständigkeit der tieferen und tiefen Streicher, überhaupt tiefe Stimmen in oft deutlichem Kontrast zu den höheren Stimmen. Irgendwo zwischen Wagners „Tristan“ und dem Impressionismus verortet Kerstin Schüssler-Bach das Werk im Programmheft. Und doch ist Francks Ausdruck zu eigenständig, dieser Hybride entwachsen. Jedenfalls malt das Werk die Annäherung zwischen Eros/Amor und Psyche sehr eindringlich nach. Die Apotheose endet erstaunlich sanft, nach einem Trubel und einem Gefühls-Wechselbad, mit großen Spitzen und – eben auch zum Ende – großer Zurückgenommenheit; eigentlich kein Magnet, um Klatschen beim Publikum zu animieren. Aber der künstlerische Gedanke ist natürlich wichtiger. Für mich ein sehr interessantes Werk, das ich vernachlässigt habe – ohne Grund. Und die Motivation zur Beschäftigung damit lieferte wieder ein herausragendes Orchester mit einem hervorragenden Dirigenten.