Musikkritik: Das 9. Sinfoniekonzert der Neuen Philharmonie Westfalen: Phänomenale Klänge, teilweise orientalisch
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Kamen. Was ist orientalische Musik und wie weit reicht ein musikalischer Orient überhaupt? Dieser Frage ging das letzte Sinfoniekonzert der Spielzeit 18/19 der Neuen Philharmonie Westfalen nach. Unter dem Motto "Exotische Legenden" spielte das Orchester unter Leitung von Generalmusikdirektor Rasmus Baumann Gustav Holsts "Indra", Pradeep Ratnayakes "Kuweni" und Nikolai Rimskij-Korsakows "Sheherazade".
Der Orient hier reichte jedenfalls von den Märchen aus 1001 Nacht bis nach Indien und Sri Lanka - scheinbar wenigstens. Denn, um der Reihe nach vorzugehen, der indische Gott des Regens und Donners, den Holst in seiner furiosen sinfonischen Dichtung "Indra" porträtierte, kommt sehr spät- bzw. postromantisch daher. Von authentischen indischen Klängen ist da nicht viel zu hören. Wie so oft ist es eben die europäische Vorstellung von einem exotischen Land und einer sagen- oder märchenhaften Szenerie, die die Romantik nachklingen lässt. Trotzdem ist das Werk durch die bunten Klangfarben, eine außergewöhnliche Notierung einiger Passagen und einen frischen Glanz etwas Bemerkenswertes und verdiente einen regelmäßigeren Platz in den Konzertprogrammen. Die Interpretation würdigte die besonderen Anlagen der Komposition nicht zuletzt durch maximale Transparenz bestens.
Mit "Kuweni" für Sitar, Violoncello und Orchester folgte nicht nur ein Werk mit authentischem Instrument und einer großen Erwartungshaltung gegenüber der eventuellen Verwendung indisch-ceylonesischer musikalischer Elemente, sondern der Komponist Pradeep Ratnayake spielte die Sitar zudem höchstpersönlich. Der "Ravi Shankar von Sri Lanka" - eine Zuweisung, die höchste Virtuosität auf der Sitar garantiert - hatte das Werk 2010 komponiert und dabei versucht, mit dem Cello als Gegenpart zwei musikalische Kulturen miteinander zu verbinden. Der orchestrale Rahmen kommt dabei erstaunlich europäisch-klassizistisch daher, mit barocker Motorik und kleinen, exotischer klingenden Intervallen. Der sehr dominante Klang der Sitar braucht also offenbar mehr als nur das Cello als Antwort. Aber ganz so war es dann doch nicht: Die Sitar zeigte sich sehr anschmiegsam gegenüber dem europäisch dominierten Rahmen und auch Cello und Sitar führten einen eher positiven Dialog als einen Widerstreit. Während sich die Solisten über die vier Sätze hinweg tranceartig steigerten und zum Ende hin furios fusionierten, erreichte der orchestrale Part erst zum Ende eine Einheit mit den Solisten. Insgesamt gesehen, waren die Exotismen hier auf die Sitar konzentriert, der Rest des Materials kam dann doch vertrauter herrüber. Dennoch ein spannendes Musikstück und eine grandiose Darbietung. Solocellist war übrigens der für seine unkonventionelle Arbeit bekannte Ramon Jaffé, weithin berühmt für sein Trio, das sich der Interpretation des Flamenco widmet. Es erscheint fast vermessen, die beiden Solisten zu loben - doch sie gehören zweifellos zu den Großmeistern ihrer Instrumente. Da sie sich lange nicht gesehen hatten, brachten sie als Zugabe ein neu komponiertes Duo, das die Freude des Wiedertreffens feierte. Wiederum grandios!
Das Abschlusswerk, Rimskij-Korsakows viersätzige Tondichtung "Sheherazade", war wiederum für mich schon allein deshalb großartig, weil es auf dem Programm stand. Als Jugendlicher hörte ich es zeitweilig pausenlos, da es mich vom ersten Mal an fasziniert und begeistert hat. Deshalb war ich freilich mit genauer Kenntnis, Vorstellungen und Erwartungshaltung voreingenommen - und wurde nicht enttäuscht! Diese Interpretation entsprach fast zu 100 Prozent genau dem, wie ich es mir erwünscht hätte. Und ging in einem Punkt noch darüber hinaus: Die Sturmwinde, die Holzbläser und Streicher im letzten Satz verkörpern - bevor Sindbads Schiff an den Klippen zerschellt - waren so außerordentlich gut herausgearbeitet, wie ich es bisher bei keiner anderen Interpretation des Werkes gehört habe! Wenn aber das Orchester bis ins letzte Glied besten Lob verdient, dann gebührt spezieller Dank den Stimmführern der einzelnen Gruppen, da sie deutlich mehr zu tun haben als bei anderen Werken. Ohne jemanden zurücksetzen zu wollen, sind besonders Konzertmeister Jinwoo Lee und Cellist Walter Gödde zu nennen. Besonders Lee musste die Erzählungen Sheherazades, die teilweise sehr virtuose Spielweise verlangen, umsetzen - und tat dies glanzvoll. So endete die Spielzeit mit einem erneuten Beweis der Erstrangigkeit der Neuen Philharmonie Westfalen.