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Musikkritik: Philosophie und Anarchie (?) in Musik gesetzt - 5. und 6. Sinfoniekonzert der Neuen Philharmonie Westfalen

Geschrieben von Redaktion am . Veröffentlicht in Musik

Musik Datei176696959 Urheber abstract fotoliaDatei: #176696959 | Urheber: abstract | fotolia.comvon Dr. Götz Loos

Das 5. und 6. Konzert der Sinfonischen Reihe der Neuen Philharmonie Westfalen in der Konzertaula waren vom Motto her zwar nicht gegensätzlich (fünf: "Philosophie"; sechs: "Anarchie?"), aber ergänzten sich, wenn man Anarchie als politisch-philosophisches Konzept wissenschaftlich betrachtet.  Zunächst zur "puren" Philosophie", dirigiert von Generalmusikdirektor Rasmus Baumann: Haydns 22. Sinfonie trägt den Beinamen "Der Philosoph", also ganz getreu dem Motiv des Abends. Ganz so leicht das Philosophieren in dem Werk zu finden, wie es das Programmheft suggeriert, ist es freilich nicht und den Spaziergang zwischen Meister und Schüler im ersten Satz zu finden, dazu gehört Fantasie. Gleichzeitig ist es aber ein bemerkenswertes Werk, allein schon wegen der Besetzung von zwei Englischhörnern, eine Reminiszenz auf die Barockzeit. Die Interpretation war makellos und sehr hörsam, mit Geschwindigkeit wurde in den Presto-Sätzen nicht gespart. Vielleicht war aber auch manches etwas zu glatt dargeboten, wenn man im Vergleich dazu Aufnahmen mit Originalinstrumenten hört... Aber wir wollen nicht unzufrieden sein!
 
Für das Hören sehr viel anspruchsvoller dann Leonard Bernsteins Serenade für Violine und Orchester nach Platons "Symposion". Hier also ein Werk, das unmittelbar durch ein philosophisches Werk beeinflusst wurde. Dabei ist es immer eine Frage des Komponisten, wie er seine Gedanken zu einem schriftlichen Werk in Musik umsetzt. Bernstein gelingt es wie niemandem sonst, ein für die 1950er Jahre modern-klassikmusikalisches Klangbild mit Jazz zu verknüpfen, nein, er baut die Jazzelemente mit ein, im Gewand der modernen klassischen Musik - ein Geniestreich, der hier so realisiert ist wie fast nirgendwo sonst und vergleichsweise wenig Beachtung findet. Die Violine spielte hier Akiko Suwanai. Auf ihrer "Dolphin"-Stradivari zauberte sie pikante, teils sanfte, teils schwungvoll kräftige Melodien und setzte sehr eigenständig interessante, sehr einzig- und großartige Akzente.
 
Die Einleitung von Richard Strauss' "Also sprach Zarathustra" nach Nietzsches philosophischer Dichtung gehört seit der Verwendung im Film "2001" zu den bekanntesten Stücken der populären klassischen Musik. Bombastisch würde sie hier umgesetzt - ganz so, wie man es erwartet. Dass danach noch ein ganzes "Rest"-Werk folgt, ist Vielen nicht bewusst, zumindest aber weniger bekannt. Strauss-typische Klänge so auch umzusetzen, erfordert ein wenig Feingefühl. Das gab es hier in anrührender Weise. Ein rundum gelungener Konzertabend der Spitzenklasse - also wie gewohnt, aber nie gewöhnlich.
 
Und dann "Anarchie?" im 6. Konzert - aber anscheinend weniger philosophisch konzeptionell gemeint, sondern als revolutionärer Durchbruch. Das betraf insbesondere die 1. Sinfonie in C-Dur op. 21 von Beethoven, die die NPW im unbedingt erforderlichen Tempo, aber mit den ebenso geforderten Emotionen verschiedener Art unter Gastdirigent Andreas Hotz in bester Qualität meisterte. Den anderen beiden Werken des Abends mutete dann aber doch Philosophisches an. Bernd Alois Zimmermanns "Musique pour les soupers du Roi Ubu" ist nicht nur eine lustig-satirische Verarbeitung von Schnipseln diverser bekannter Melodien, sondern auch Gesellschaftskritik in sozialphilosophischer Manier. Dieses fast streicherlose Werk (bis auf vier Kontrabässe) wird viel zu selten gespielt, trotz seiner Vergnüglichkeit und relativ guter Zugänglichkeit. Hier bestens interpretiert, beim Publikum nahezu Begeisterungsstürme hervorrufend. Das Gleiche betraf schließlich Friedrich Guldas Konzert für Violoncello und Blasorchester. Auch hier gab es an Streichern nur Kontrabässe. Und die Musik schwankte von Big Band- und Rock-Sounds bis zu alpinen Bläserklängen. Dazwischen bewegte sich das Cello, gespielt von Raphaela Gromes,  mit sanften Kantilenen bis hin zu tanzhaften Ausbrüchen. Ein wahrer Ohrenschmaus, mit viel Schwung und Spaß. Philosophisch dabei das großartige Crossover: Verschmelzung oder Dialog verschiedener Musikwelten, mit imposantem Kompromiss. 
 
Der Abend wurde conférenciert von dem vor allem im WDR tätigen bekannten Moderator Matthias Bongard, mit vergnüglichen Hintergrundgeschichten. Für Zimmermanns "Ubu" schlüpfte er in die Rolle des Autors Alfred Jarry, aus dessen Feder die literarische Vorlage stammte und kommentierte und ironisierte jeweils vor den Sätzen. Und dabei wurde ebenfalls reichlich philosophiert.