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Musikkritik: 4. Konzert der Sinfonischen Reihe der Neuen Philharmonie Westfalen - "Antipoden" - nein, echte Gegenspieler

Geschrieben von Redaktion am . Veröffentlicht in Musik

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von Dr. Götz Loos

Klassifikationen gibt es viele: Traditionalisten versus Neudeutsche, Neudeutsche Schule I versus Neudeutsche Schule II, Romantiker versus Spätromantiker etc. Tatsache ist, dass ordentlich Sand im Getriebe knirschte, als einige Komponisten von der Linie, die sich als Beethoven-Nachfolger verstanden (dabei nicht immer im Hinblick darauf mit guten Gefühlen), abwichen und musikalische Wege gingen wie in Frankreich Berlioz. Dies gipfelte teilweise in öffentlichen Anfeindungen, wobei auch die Musikkritik häufig genug keine ruhmreichen Dienste leistete. Toleranz war seinerzeit nur wenig zu finden. Insofern war die Überschreibung dieses Sinfoniekonzertes mit "Antipoden" zutreffend: Liszt auf der einen, Bruch und Brahms auf der anderen Seite. Gut, Brahms war gegen alles und jeden kritisch eingenommen, seine Parteinahme im Falle eines Falles galt jedoch den traditioneller Orientierten. Dabei ist es aber eindeutig Unsinn, z.B. bei Brahms' 1. Sinfonie von "Beethovens Zehnter" zu reden, denn Brahms hatte eine eigene Tonsprache gefunden, auch meist abgehoben von den anderen Romantikern. Davon konnte man sich ebenso hier überzeugen - denn der Abend schloss mit der Sinfonie Nr. 3 von Brahms, sehr populär schon zu Lebzeiten des Komponisten. Hier ersann er Themen und Melodiefolgen mit hohem Wiedererkennungswert, so vor allem das 1. Thema des dritten Satzes. Die Neue Philharmonie Westfalen unter Gastdirigent Constantin Trinks fand am Mittwochabend in der Konzertaula mit einer durchaus betonenden, mitunter ergreifende Melodien hervorhebenden Interpretation dennoch oder vielleicht deswegen besonders die melancholische Grundstimmung, die alle Brahmsschen Sinfonien durchzieht. Also: Äußerst gelungen. Und das, obwohl die Dirigierweise des Gastleiters bei einzelnen Einsätzen offenbar ein bisschen Asynchronizität provozierte - doch das fiel im Gesamtbild kaum auf.

Der Abend begann mit "Les Préludes" von Liszt, einem selbst unverschuldet belasteten Werk - wie oft bei Spätromantikern, bei denen sich die Nationalsozialisten hemmungslos bedienten. Nun, es werden immer weniger, die das Fanfarenthema mit Pauken und lautem Blech aus dem Werk als Erkennungs-"Jingle" der Radio-Sondermeldungen und Wochenschauberichte aus dem alle Menschen- und Kriegsrechte brechenden Russlandfeldzug ab 1941 kannten. Insofern ist eigentlich keine "Ehrenrettung" nötig, die Roland Vesper im Einführungsvortrag ankündigte. Ich zähle "Les Préludes" zu meinen Lieblingsstücken, auch weil das Werk mehr bietet als die Fanfare und Akkordfolgen, auf die man damals die Worte "Führer befiel, wir folgen Dir" (samt zugehörigem Soldatenlied) einpasste. Deshalb war ich auf die Interpretation gespannt. Sie fiel sehr markig und kantig aus, an einigen Stellen das Tempo drosselnd, fast innehaltend; ja, durchaus gut hörbar - obwohl ich eine "Entzauberung" anders vornehmen würde, nämlich mit erhöhtem Tempo (was vor allem Walerij Gergijew in seinen Interpretationen glänzend umsetzt).

Das Mittelstück war das Konzert für Violine und Orchester Nr. 1 von Max Bruch, das der Komponist als sein einzig breit überdauerndes Werk voraussah. Bruch war Brahms-Anhänger und -Neider, aber extremer konservativ eingestellt - musikalisch wie politisch - und wurde mit zunehmendem Alter leider immer mehr antisemitisch. Andererseits schnitten die Nazis seine Werke und dadurch gerieten gute Kompositionen bis heute weitgehend in Vergessenheit. Bruchs Violinkonzert blieb hingegen vergleichsweise populär - virtuos angelegt und mit gefälligen Melodien. Der Virtuose hier an der Violine war Linus Roth, hochverdient nicht nur an seinem Instrument, sondern auch als Festivalleiter, Hochschullehrer und Wiederaufführer vergessener Komponisten. Lässig im ersten Eindruck, wird er beim Spiel jedoch hochkonzentriert und liefert im Solo wie im Dialog mit dem Orchester einzigartige Klänge auf der ihm auf Dauer zur Verfügung gestellten Stradivari "Dancla". Die von Bruch ausdrücklich betonten Passagen schafft Roth im Vordergrund mit tiefem Ausdruck zu halten, auch wenn das Orchester zum Crescendo ansetzt. Ein wahrer Hörgenuss! Und bei der Zugabe (Gavotte E-Dur von Bach) bewies er zudem seine barocke Werkkenntnis in äußerst angenehmer Weise.

Kurzum, es war ein sehr hörbarer Abend, auch bei der teilweisen Gegensätzlichkeit der Werke. Die Souveränität der NPW bleibt dauerbetont. Constantin Trinks sorgte für beeindruckende Interpretationen, in der Stimmigkeit mit dem Orchester weitestgehend harmonierend, wenn auch an einzelnen Stellen vielleicht noch eine günstigere gemeinsame Einfühlsamkeit entwickelt werden sollte.