Musikkritik: "Tänzerisch" im neuen Jahr - Schwung mit wenig Walzerseligkeit
5. Konzert der Sinfonischen Reihe der Neuen Philharmonie Westfalen
von Dr. Götz Loos
Das Neujahrskonzert mit einem auswärtigen Orchester fiel aus, jedoch nicht das erste reguläre Konzert im neuen Jahr der NPW - und das brachte dann Tänze wie in den Neujahrskonzerten. Aber doch anders, die unvermeidlichen Walzer wurden auf ein Werk beschränkt. Ursprünglich war es sogar noch anders geplant: das eigentlich vorgesehene Programm enthielt Ravels "La Valse", ein Zerpflücken der Walzerseligkeit unter dem Eindruck des Ersten Weltkrieges. Laut Roland Vesper im Einführungsvortrag wäre das Werk an sich eine Genugtuung für die NPW, die ihre Neujahrskonzertreihe eben erst abgeschlossen und nun genug von der ganzen Walzerei hatte. Aber die Bestimmungen im Zuge der Pandemie ließen die dafür nötige sehr große Orchesterbesetzung nicht zu. Also stattdessen Webers "Aufforderung zum Tanz". Auch wenn vom großartigen Berlioz orchestriert, für mich zu "zuckersüß". Die Interpretation unter der Leitung von Gastdirigent Benjamin Reiners gelang allerdings angenehm transparent und über dem Standard. Mein persönlicher Favorit des Abends folgte danach, Tschaikowskijs "Variationen über ein Rokoko-Thema für Violoncello und Orchester" op. 33. Das in neun Sätze gegliederte Werk ist eine Reminiszenz an Mozart, den Tschaikowskij verehrte - und doch ist schon das Thema so entfernt vom typischen Amadeus. Und das gilt erst recht für die zunehmend komplexeren Variationen, die für das Cellosolo nicht ohne Mühe sind. Alban Gerhardt, als wohlklingender Virtuose auf seinem Instrument bekannt, übernahm hier diese Position. Und es war nicht nur die gelobte "virtuose Rasanz", die ihn auszeichnete, sondern eine wunderbare Einheit mit Dirigent und Orchester, die wahrlich keine Wünsche offen ließ und einen einvernehmlichen musikalischen Dialog erzeugte, eine beglückende Harmonie. Statt einer Solozugabe spielten Gerhardt und die NPW ein weiteres Werk für Violoncello und Orchester von Tschaikowskij, das "Pezzo capriccioso" op. 62. Bei der Ankündigung witzelten Reiners und Gerhardt ein wenig, vor allem, indem letzterer darauf hinwies, dass er auch noch was Schönes von Schönberg habe, aber letztlich gab es dann das genannte Stück - und interpretativ eine Fortsetzung des beeindruckenden Dialogs und der Fertigkeit des Solisten; das Tempo Gerhardts im Solospiel bei klarer Durchsichtigkeit lässt die Zuhörerschaft nur staunen - schade, dass keine weitere Zugabe folgte. Nach der Pause erklang Bartóks Tanzsuite, eine klangliche "Verbrüderung" der Völker wider Krieg und Phobien. Volksmusik aus Osteuropa und dem Orient sind hier strukturell verarbeitet und verwoben - manchmal derb und kräftig, manchmal zart. Eine Meisterleistung der NPW unter dem engagierten, energiegeladenen Dirigat von Benjamin Reiners. Und so nicht anders das letzte Werk, die "Gazebo Dances" von John Corigliano. Hier wurden bewusste "Reißer" für die in den USA verbreiteten Musikpavillons komponiert, die Musik entspricht in Vielem der nordamerikanischen Tradition in Spätromantik und "Neuerzeitlichem". Ein besonderer Clou ist es sicherlich, den Abschluss mit einer sich fast überschlagenden Tarantella zu wagen. Aber genau dadurch wird das Publikum, so auch hier, zu einem tosenden Applaus animiert - nach einer Interpretation, die über jeden Zweifel erhaben war und alle Ansprüche auf das Höchste erfüllte.