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Musikkritik: "Alla Polacca" - Benefizkonzert mit beeindruckenden polnisch "gestylten" Werken

Geschrieben von Redaktion am . Veröffentlicht in Musik

8. Konzert der Sinfonischen Reihe der Neuen Philharmonie Westfalen 

von Dr. Götz Loos 

Musik Datei176696959 Urheber abstract fotoliaErst einmal ging etwas schief: Die Programmprospekte waren nicht nach Kamen mitgekommen, so dass dem Publikum dreimal das Programm vorzitiert wurde: von Roland Vesper im Einführungsvortrag, vom NPW-Geschäftsführer Jörg Hillebrand und vom Dirigenten Christopher Ward. Entscheidender bei allen Ansagen war jedoch, dass dieses Konzert angesichts der aktuellen politischen Situation als Benefizkonzert eingerichtet wurde. Die Einnahmen sollen der polnischen Stadt Nowy Saçz zu Gute kommen, um die Hilfe für ukrainische Flüchtlinge dort zu unterstützen. Insofern passte das Programm freilich mehr als gut: "Alla Polacca" - im Stil einer Polonaise oder sagen wir hier besser: im polnischen Stil. Es standen Werke der polnischen Komponisten Karol Szymanowski und Fryderyk (Frédéric) Chopin und die so genannte "Polnische" (Sinfonie) Tschaikowskijs auf dem Programm.


Die Neue Philharmonie Westfalen wurde vom Gastdirigenten Christopher Ward geleitet, der sehr unaufgeregt und mit einiger Lässigkeit das Orchester anleitete, dabei aber mit großer Präzision. 


Vorweg gab es noch ein zuvor nicht angekündigtes Werk: Valentin Silvestrovs "Gebet für die Ukraine", in der Orchesterfassung von Andreas Gies. Dieses Werk war im Eindruck der Majdan-Unruhen in Kiew vor Jahren entstanden und wird zur Zeit häufig bei Konzerten zur Unterstützung der Ukraine gespielt, sehr prominent kürzlich unter Christoph Eschenbach im Konzerthaus Berlin. Tief bewegt von der melancholischen, elegischen Musik des Stückes musste sich das Publikum bis zum Applaus einige Momente abringen.


Szymanowski, eigentlich hin- und hergerissen zwischen einer polnischen Nationalmusik und schrankenlosen Kompositionen mit raumunabhängiger Gültigkeit, zeigt im frühen Opus seiner Konzertouvertüre E-Dur op. 12 noch deutlich die Prägung durch Richard Strauss in der großen Orchesterbesetzung, den warmen Klangfarben sowie den Melodien und ihren Effekten, vor allem in den breiten Streicherkantilenen mit Windungen und Zügen. Die Interpretation war makellos und ein pures Vergnügen für die Zuhörendenschaft. 


Das zweite planmäßige Werk war Chopins Konzert für Klavier und Orchester e-moll, in der üblichen Zählung das erste seiner beiden. Beide sind wenig auf Dialoge zwischen Klavier und Orchester ausgerichtet, vielmehr ist das charakteristische Element ein abwechselndes Spiel. Aber auch dabei sind sie Meisterwerke und vermitteln den wunderbaren "Chopin-Stil", der (leider) nur wenig in Werken mit Orchester Niederschlag gefunden hat. Zur Souveränität der NPW braucht nichts gesagt werden. Sophie Pacini, die Solistin, Virtuosin des Abends fand ein feuriges, zupackendes, wo nötig betontes und wo nötig beiläufiges Spiel am Piano in den Ecksätzen, dann jedoch eine tiefe Melancholie und Zärtlichkeit im zweiten Satz, der Romanze. Diese hinterließ, wie sie anschließend betonte, bei ihr selbst große emotionale Berührung, so dass ihr die Tränen kamen. Menschlich und sehr verständlich in der jetzigen Zeit.


Zum Schluss erklang die Sinfonie Nr. 3 D-Dur op. 29 von Tschaikowskij, als "Polnische" bekannt, eigentlich ein Marketinggag wegen der Polonaise im letzten Satz. Dieses an sich sehr freudestrahlende, beschwingte, in vielerlei Hinsicht von Tschaikowskijs sonstigen Sinfonien abweichende Werk (u.a. in der fünfsätzigen Anlage) beginnt allerdings düster oder besser "zäh", nämlich mit einer Art Trauermarsch, den ich jedoch eher als Stapfen im tiefen Schnee bei trübem Winterwetter empfinde. Und da war mir die Interpretation zu schnell. Dieses Anfangsthema hätte meines Erachtens deutlich langsamer gespielt werden sollen; Christopher Ward fand aber ein Tempo, das er von Anfang bis Ende fast gleichmäßig durchhielt - bis auf erwähntes Thema sonst auch unzweifelhaft angemessen. Von diesem Abstrich abgesehen, eine furios-wohlklingende Interpretation. So kann das Gesamtfazit nur lauten: ein mehr als hörenswerter, in Vielem berührender Konzertabend.