-Anzeige-

GSW

Reinhard Fehlings Musik

Geschrieben von Redaktion am . Veröffentlicht in Musik

Antriebe und Intentionen des Kamener Komponisten

von Dr. Götz Loos

RFehling 1022JPReinhard Fehling - Foto: Jörg ProchnowKamen. "Ein bisschen Musik gefällig?" Diese Frage stellt sich kaum angesichts der Weise, wie man ungefragt beschallt wird. "Gebrauchsmusik" hier, HipHop aus dem Auto, Schlager durch das offene Fenster usw. Die so genannte "Gebrauchsmusik", die früher häufiger als heute z.B. in Läden, Geschäften, eingesetzt wurde, ist oft anhand von simplen Mustern in der Komposition gestrickt - ähnlich wie Schlager und vergleichbare Musikformen.

"Diese Form der musikalischen Simplifizierung ist nicht nötig, weil die Menschen nicht so dumm sind", sagt Dr. Reinhard Fehling, bekannter Kamener Komponist, Chorleiter und 28 Jahre Gesamtschullehrer, danach 15 Jahre tätig als Oberstudienrat im Hochschuldienst an der TU Dortmund, dabei Leiter des Dortmunder Universitätschores. Seine kompositorische Tätigkeit geht jedoch weiter, die Arbeit an musikalischen Projekten sowie nachfolgend die Aufführungen - vor allem mit den "Letzten Heulern", dem von ihm 1988 an der Gesamtschule gegründeten Chor, der traditionell ehemalige Schüler/-innen wie auch auswärtige Freunde und -innen umfasst.

Fehlings Aufführungen sind stets große Erfolge, Wiederholungen werden ebenso gut besucht wie Premieren. Seine Arbeit ist konzentriert auf Chor- bzw. Gesangswerke. Bei seinen Kompositionen, Arrangements, seinen Aufführungen, Programmen, ist die Verbindung von Wort und Musik entscheidend. Was treibt Fehling an - was sind seine Ideen, Vorstellungen, Intentionen von Musik, von seiner Musik? Dieser Frage soll hier nachgegangen werden.

"Musik an, Welt aus" - mit dieser Gegensatz-Formel sind viele musikalische Angebote gestrickt. Mit anderen Worten, mit Musik aus der Realität fliehen - in eine Traumwelt, eine Illusion. Der Musik wird eine entlastende Funktion zugeschrieben. Aber kann das wirklich die Aufgabe der Musik sein, das Angebot des Ausblendens des Ist-Zustandes von Leben und Welt? Das Schlagergenre ist wegen Widerspiegelung einer heilen Welt sehr beliebt - bewusst weg von der "unheilen" wirklichen Welt.

Dies sieht Fehling nicht als Ziel. Seine Werke folgen der Devise: "Wir wollen nicht über die Zeit hinweg singen, sondern durch die Zeit hindurch". Der Ist-Zustand wird bei Fehling nicht ausgeblendet: "Musik an ist gleich Welt an" - kein Gegensatzpaar, nicht einmal ein nebeneinander stehendes "Gleichsatzpaar", sondern Musik und Welt sind eng ineinander verflochten. Seine Arbeit ist nicht von der Schaffung einer Illusion gekennzeichnet, sondern von einer Utopie. Nicht die "heile Welt" wird angestrebt, sondern eine bessere Welt. "Der Traum einer besseren Welt bleibt, auch wenn dorthin zielende Versuche immer wieder gescheitert sind".

Reinhard Fehling denkt nicht kommerziell. Seine Intention ist  Hörerfreundlichkeit. Diese impliziert zugleich die Eigenschaften demokratisch, humanistisch und partizipativ. Eine dogmatische Verengung darf nicht einsetzen, weil sonst eine Utopie nicht denkbar und wirkliche Verbesserungen des Lebens der Menschen nicht erzielbar seien. Und Hörerfreundlichkeit bemisst sich bei Fehling nicht an Zeit: Das in Pop und Schlager übliche Zeitlimit aufgrund einer Vorgabe, weshalb ein Lied nur wenige Minuten dauern darf, ist für Fehling bedeutungslos - bei ihm dauert ein Lied eben so lange, wie es dauert. Gleichwohl muss der Anstoß für die Menschen, zentrale Aussagen, zeitlich schnell innerhalb eines Werkes kommen.

Fehlings Schaffen dreht sich, wie gesagt, um wortgebundene Musik als Ausgangspunkt und Zentrum - oft in der Erscheinungsform des Liedes. Dabei werden verschiedenste Liedgestalten unter Berücksichtigung verschiedenster musikalischer Genres, Typen und Formen verwendet, erweitert und bis an ihre Grenzen gebracht, besonders augenfällig bei sinfonischen Formaten. Ohne einfache, dennoch originelle liedtypische Bindungen abzuwerten oder zu ignorieren, versucht Fehling, besonders bei längeren zusammenhängenden Abschnitten bzw. Werken, die durch den Strophentypus nicht gefüllt werden können, Reihungen und Entwicklungen zu verbinden bzw. Reibungsformen zugunsten von Entwicklungsformen zu vermeiden. Ein gutes Beispiel liegt darin, dass bei einer dichten Entwicklung einer Geschichte ein Refrain erst ganz am Ende erscheinen kann.

Dies gelingt, indem Fehling die Möglichkeiten, die ein Lied bietet, nach vielen Seiten hin ausschreitet - oft auch und gerade in Liederzyklen. Jede Komposition wird als Unikat angelegt. Lieder untermalen bei Fehling musikalisch nicht nur den Text, sondern interpretieren ihn in engem Wort-Ton-Verhältnis. Zugleich wird in aller Regel ein spezifisch musikalisches "Problem" be- und verhandelt. Dieses "Verhandeln" kann im musikalisch motivisch-thematischen Bereich stattfinden oder in Montageformen, die unterschiedliches Material zusammenführen.

Ein gutes Beispiel für diese Methode ist die Vertonung von Robert Gilberts "Abschied von Berlin", das er 1933 angesichts des Antritts seines Exils geschrieben hatte und darin beschreibt, wie er durch und durch deutsch war, das aber nun hinter sich lassen musste. Fehling schafft hier mit der Hineinmontage von Zitaten deutscher Lieder (Volkslied, Schlager, Kunstlied, selbst national-martialisch usw.) verschiedenster Genres die Spürbarkeit einer "kulturellen Heimat" oder "kulturellen Identität" - die Gilbert freilich als "Gepäck" mit sich trägt. Die Struktur des Liedes wirkt dennoch wie "aus einem Guss"; die Liedzitate sind integrale Bestandteile dieser Komposition.

Im Zusammenspiel der Textorientierung einerseits und der musikalischen Eigenständigkeit andererseits entsteht eine kompositorische "Handschrift" - Fehlings "Handschrift". Diese ist am sinnvollsten als deklamationsorientiert, gestisch, vielstimmig, auf Liedtraditionen fußend, aber zu neuen Ufern führend, zu bezeichnen. Der Impuls der Musik geht oft über das Lied hinaus, sein Schluss ist gewöhnlich nicht affirmativ, effekthaschend, sondern meist verhalten und offen. Die Musik ist so gehalten, dass sie auch rein instrumental funktionieren würde.

Die Musik Fehlings verlangt keine "Bildungseintrittskarte". Sie setzt auf das Weiterdenken der Zuhörenden. Auf Seiten der Mitwirkenden wird ein ähnlicher Effekt erreicht bzw. angestrebt.
In seinen Ensembles singen Profis und  Laien - alle Menschen singen gemeinsam (in gewisser Weise vergleichbar mit dem heutzutage so beliebten "Rudelsingen"). Dabei ist das Ziel, einen nicht hörbaren Unterschied auf professionellem Niveau sowie eine eine gegenseitige Bereicherung zu erlangen. Die "musikalischen Maßnahmen" zum Erreichen dieses Ziels sind in der Anlage der Kompositionen vorgegeben. Es existieren aber auch unterschiedliche Schwierigkeitsgrade, wobei entsprechend schwierige Partien von den Profis übernommen werden.

Fehlings Kompositionen und die Ausgestaltung der Arrangements sind pädagogische Elemente, bei denen alle mitmachen können, jede und jeder mit der Bereitschaft, neue Erfahrungen zu machen. Die entsprechenden Partien werden teils regelrecht auf den Leib geschrieben. Darin steckt eine humanistische Intention, politisch im weitesten Sinne, mit progressiver Ausrichtung. Der Mensch soll in Wort und Musik ernst genommen werden und nicht mit "Schundware" abgespeist werden. Utopie statt Illusion -  Verbesserung des Lebens statt vorübergehender Ausblendung und dann "weiter so".

Politisch von Bedeutung ist auch, dass die Stimme nicht nur ein Element in einer Hierarchie (von oben nach unten, also vertikal), sondern horizontales Element ist: Jede Stimme hat etwas zu sagen, wodurch die Kompositionen im wahrsten Wortsinn demokratische Werke darstellen. Jede Stimme wird ernst genommen. Durch den Anspruch an Zusammenhang, an Kohärenz der Musik und der Texte werden z.B. extreme Intervallsprünge vermieden. Die Chorsätze sind dabei meist in klassischer Weise vierstimmig angelegt.

Den beschriebenen Prinzipien folgend – hat Reinhard Fehling hunderte Vokalwerke in allen Formaten innerhalb von 60 Jahren geschaffen. Mittlerweile werden etliche seiner Kompositionen deutschlandweit und im benachbarten Ausland aufgeführt; kleinere Chorwerke finden Übernahme durch andere Chöre. Größer dimensionierte Werke erfuhren Aufführungen in Paris, Salzburg (Mozarteum), Innsbruck etc.; zuletzt wurde in der Essener Philharmonie Fehlings Orchesterfassung „Szene aus Faust II“ von Fanny Hensel einem begeisterten Publikum präsentiert.

Anzeigen

kamenlogo stiftung23