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Wenn Worte eine Herberge geben: Grandioses Literaturprojekt feiert mit eindringlicher Poesie Premiere in der Heerener Schlosskirche

Geschrieben von Redaktion am . Veröffentlicht in Wort & Buch

PML 1021 1KBStarke Gefühle trug auch Barbara Krohn vor. Fotos: Katja Burgemeister für KamenWeb.de

von Katja Burgemeister

PML 1021 3KBBilitis Naujoks, Geschäftsführerin und Vorstandsvorsitzende ProMensch Kamen e. V. Kamen-Heeren-Werve. Es war eine Premiere in der Heerener Schlosskirche für alle Beteiligten. Pro Mensch e. V. hat noch nie eine „Veranstaltung dieser Art“ durchgeführt. Eine ganze Veranstaltungsreihe mit Literaten, die aus ihren Werken vorlesen. In drei Lesenachmittagen erzählen sie, die aus den unterschiedlichsten Kulturkreisen kommen, vom Fremdsein und von der Suche nach Obdach und Heimat. Wie es sich der Verein schon seit sechs Jahren zum Ziel setzt und bei rund 1.000 Hilfesuchenden umgesetzt hat. Wie es in der Bibel so oft betont wird: „Ich war fremd und ihr habt mich beherbergt“. Deshalb sind drei Kamener Kirchen wohl der beste Ort, und mit Literatur diesem Gleichnis auf die Spur zu gehen.

Bernhard Büscher gab den Anstoß dafür. Er schreibt selbst seit Jahren, kennt als ehemaliger „Ortsscheriff“ alles und jeden und engagiert sich schon lange für Pro Mensch. „Ich saß eines abends mit Heinrich Peuckmann zusammen, wir unterhielten uns und dabei entstand die Idee.“ Denn: „In jeder Situation sind Fremde immer zu uns gekommen und haben uns viel mitgebracht.“ Damit war PEN mit im Boot. Für Heinrich Peuckmann ist das Mitgebrachte auch Literatur für eine Stadt, „die viel mit Literatur zu tun hat und es lange nicht gemerkt hat“. Sinnbildlich dafür war für ihn die spontane Besucherin Petra Reski, gebürtige Kamenerin, Journalistin und preisgekrönte Buchautorin. Sie saß in der ersten Reihe und hörte fasziniert zu.

PML 1021 4KBGerd PulsDenn alle ihre Kollegen hatten an diesem Nachmittag viel zu sagen. Allen voran Gerd Puls. In Kamen geboren, in der Schlosskirche mit „Sesekewasser“ getauft und konfirmiert nahm er die Zuhörer mit auf eine besondere Reise. Die ging in den hohen Norden, begleitet vom Schatten eines Fotos von einem toten Soldaten. Das zeigte ihm einst der früh gestorbene, aus dem Krieg „mit halbwegs heiler Haut davongekommenen“ Vater, als er sich als Kind ein Holzgewehr wünschte. Bei der Reise durch Finnland, als Teil des vom Massentourismus beflügelten Weltenbürgertums mit „redlich verdientem“ Urlaubsanspruch kommen sie zurück, die Fragmente der Erinnerung, als „schwarz-weiße Schnipsel im Kopfkino“. Wo heute Urlaub zelebriert wird mit Idyll und Touristenritualen, hat sich einst ein Krieg abgespielt, der Leben zerstört hat, Heimat entrissen, Menschen getötet hat. Sein Vater war als Soldat ein Teil davon, an gleicher Stelle.

PML 1021 5KBSchriftsteller Umar Abdul NasserWas Krieg und Heimatlosigkeit bedeuten, führte der irakische Schriftsteller Umar Abdul Nasser eindrucksvoll vor Augen. Seit 2014 versteckt er sich vor dem IS, weil seine Worte dort wenig gut ankommen. Auf Arabisch trug er eindrucksvoll vor, dass Hoffnung auch dort noch sprießt, wo die Verzweiflung fast unmenschlich groß ist. „Seit Anbeginn frei und frei bis zum Ende“ mit einer „Sehnsucht ohne Hafen, Zauber ohne Zauberer“. Halb Vogel, halb Baum ist er zerrissen von der Notwendigkeit, die Freiheit zu suchen und vom Bedürfnis, verwurzelt zu bleiben in der Heimat. „Die ganze Welt als Zuhause oder zuhause in der ganzen Welt?“ ist eine seiner Kernfragen dort, „wo der Tod aus dem Nichts erscheint“ und „Marionetten im Krieg“ an Fäden bewegt werden „umgeben von all dem Tod“ und Lügen. Er fordert dazu auf, sich in diese Situation hineinzuversetzen: „Beurteile mich als Individuum“, nicht als Nationalität oder Hautfarbe oder sonst was.

PML 1021 6KBLütfiye GüzelZerrissenheit drang auch aus den Worten von Lütfiye Güzel, die mehr als nur Krankheitsvertretung an diesem Nachmittag war. Mit ihr flüchteten die Zuhörer in die Fremde, „damit sich das Leben wie eine warme Decke um einen legt“. Der Bus fährt, der Klebstoff löst sich vielleicht eines Tages von Heimweh, Heimat, Erinnerungen. „Es ist erstaunlich, wie stark man fühlt, wenn man nichts mehr fühlt.“ Starke Gefühle trug auch Barbara Krohn vor. Die Regensburger Autorin, ebenfalls ausgezeichnet, erzählt in ihren Gedichten vom Reisen und der plötzlichen Einsamkeit: „Im nächsten Moment kennt du dich nicht mehr aus“. Vom Heimgehen und fremd sein, von der Ohnmacht bei der Lektüre der täglich verordneten Zeitungsmeldungen über Flüchtlinge und Kriegsgemetzel und von kleinen Alltagsrettungen wie Schlüsselsammlungen, die zwar längst kein Schloss mehr besitzen, aber immer noch „alte Türen“ aufschließen „zu Räumen, die noch niemand betreten hat“.  Oder von der Sehnsucht, „einmal nur die in die Landschaft zu passen“.

Ein poetischer, nachdenklicher, schmerzlicher und hoffnungsvoller Auftakt einer ganz besonderen Literaturreihe, die am 31.10. in der Margaretenkirche Methler und am 7.11. im Johannes-Buxtorf-Haus in Südkamen jeweils um 15 Uhr eine nicht weniger spannende Fortsetzung finden wird. Nicht verpassen!

Archiv: Lesereihe mit PEN-Autoren in den Stadtteilen

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