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Zwischen Zechenstaub und Wortgeflüster – Gerd Puls' literarischer Weg

Geschrieben von Redaktion am . Veröffentlicht in Wort & Buch

Gerd Puls - Eine Wegbeschreibung  

Gerd PulsGerd PulsEwig her. Du warst keine 17 mehr. 20 bereits, zudem Spätentwickler, Spätzünder. 1970, als eure regionale Tageszeitung, das hiesige Blättchen erste Gedichte von dir abdruckte. Stolz wie Oskar, als paar Monate später im Juni 1971 im Westfalenspiegel Münster, der damals monatlich erschien und einen prima Literaturteil hatte, drei weitere kleine Gedichte von dir erschienen. Da warst du Lehrling,  arbeitetest in einer Dortmunder Werbeagentur. Der Westfalenspiegel lag überall rum, wenn du zu einem Kunden, einer Firma in der Innenstadt kamst und dir in irgendeinem Wartezimmer die Zeit vertriebst. Immer interessant, stets lesenswert, was die da schrieben.

Schreiben wolltest du auch, seit du mit 17 Kafka gelesen hattest oder Heinrich Bölls Wanderer kommst du nach Spa…. Einen weiteren Anlass lieferte dir ein komischer Kerl aus deinem Dorf. Hast du gesehen, von dem steht heute etwas in der Zeitung, Max von der Grün. Ist Bergmann, arbeitet hier auf dem Pütt. Hat einen Roman geschrieben. Gibt aber wohl Probleme, er muss vor Gericht...

Das war schon ein paar Jahre her, 1963, als die Beatles gerade ihren Durchbruch hatten. Überall auf Platz 1, jetzt auch in den USA. Na gut, da warst du 14 und wolltest wie der gleich alte Bruce Springsteen eher ein Beatle als ein Schriftsteller sein.

Doch dieser komische Kerl da, Max von der Grün aus der Siedlung am anderen Dorfende, war es dann, der neben Böll, Borchert, Lenz oder Kafka dafür sorgte, dass dir das Lesen und Schreiben wichtig wurden und seither blieb. Neben der Musik, und neben dem Zeichnen und dem Malen, das wolltest du dann plötzlich auch noch.

Zunächst das Lesen. Du hast alles verschlungen, was dir in die Finger kam. Und fingst selbst an zu schreiben. Harmlose kleine Gedichte oder ein Prosafragment, inspiriert von Kafka. Und das Verrückte, das Schöne war, dass diese kurzen Texte, kaum dass du sie mühsam in meine Gabriele getippt hattest, auch schon veröffentlicht wurden. Glück und Zufall, im heimischen Käseblatt oder in der Monatszeitung des Landschaftsverbandes Westfalen.

Und Max von der Grün war wichtig, nicht weil seine Bücher sich gut verkauften, nicht weil er nebenan wohnte, sondern weil er genau die Orte und Menschen beschrieb, die du gut kanntest, die deine Kindheit, dein Heranwachsen bestimmt und geprägt hatten. Unscheinbare Ecken im Dorf und nebenan wurden plötzlich zum Thema, wie die Kneipe neben der Kirche, die neuen Siedlungen, die Zechenbahnen, die staubigen und schlammigen schwarzen Wege daran entlang. Oder das mickrige Wäldchen vor deiner Haustür, wo ihr Kinder von Mittags bis Abends Indianer spieltet, Trapper und Cowboy. Oder den Weg durch die Felder, den von der Grüns Rentnergrüppchen entlang schlurften zur nahen Autobahnbrücke, den kanntest du auch. Orte, Wege, die dir vertraut waren, bekannt wie die meisten Leute nebenan.

Genau darüber hatte jemand geschrieben. Seine Erzählungen und Romane wurden gedruckt, wurden gelesen und verfilmt. Prima, dachtest du, ist doch spannend. Was es hier alles gibt, über was du alles schreiben kannst. Lohnt doch, macht Spaß, sieh nur Max, dieser komische Kerl. Als ihr neulich euren Ausflug gemacht habt mit der ganzen Schule, hat er die Schicht gewechselt, damit er mitgefahren konnte als Aufsichtsperson, weil er sich für alles interessierte, was es im Dorf so gab. Darüber lässt sich schreiben, wird er gedacht haben. Was die Blagen da treiben und anstellen auf der Zugfahrt ins Sauerland, auf dem tief verschneiten Rodelhang.

Dass Max einem Klassenkameraden beim Aussteigen, weil es ihm nicht schnell genug geht, kräftig in den Hintern tritt und deine Freunde antreibt, als sei er auf dem Pütt, an seine laute Stimme, sein Rumschnautzen und den rauhen Ton, daran erinnerst du dich. Ob er sich wichtig machen wollte oder weil er nicht anders kannte oder wollte, weil die Pauker es genau so machten? Ewig her, spielt längst keine Rolle mehr.

Auch nicht, dass der Durchbruch der Beatles mittlerweile über 60 Jahren zurück liegt. Die machten  kurze 8 Jahre weiter als Band, 1970 war schon Schluss. Und du in deinem Dorf schreibst und veröffentlichst nun schon seit 55 Jahren. Auch weil ein Bergmann, der 1951 aus Franken hierher gekommen war, es dir vorgemacht hat und weil du es plötzlich ebenfalls hochinteressant und nachahmenswert fandest. Ein schmaler schwarzer Weg entlang der Zechenbahn, im Sommer staubig, im Winter matschig. Und die kleine Welt ringsum. Für dich ein naheliegender Einstieg damals mit 20, und ein möglicher Weg in die Welt der Literatur. Mit kleinen Erstveröffentlichungen. Längst uralte Gedichte aus dem Westfalenspiegel, Juni 1971, hier eins davon: 

Nach Hause 

Ein Zweig

Von dir gebrochen

Wie er durch die Luft fliegt

Hoch springst du über einen schmalen Graben

Ziehst deine Füße durch wirbelndes Laub

Wind, wie angenehm drückt er dich weiter

In leichten Sprüngen

An den tiefen Trichtern eines großen Krieges entlang

Weit vor dir

 Unter dem gelben Laub hochaufgeschossener Bäume

Etwas Dunkles

Im fahlen Licht

Eines frühen Nachmittags

Wie schnell bist du nahe

Eine alte Frau auf dem Heimweg vom Friedhof

Und vorbei

 

Gerd Puls, geb. 1949 im Bergbau- und Bauerndorf Heeren im östlichen Ruhrgebiet, wo er seitdem wohnt. Arbeit als Lehrer, Maler, Schriftsteller. Seit 1970 Kunstausstellungen, zahlreiche Veröffentlichungen, etliche eigenständige Bücher sowie Herausgabe einiger Anthologien.

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