Ein packender Kurzkrimi von Gerd Puls: Kalter Abriss

Geschrieben von Redaktion am . Veröffentlicht in Wort & Buch

gerdpulszeichnung1124Der olle Ott war stur. Hartnäckig, unflexibel, uneinsichtig, unbelehrbar. Der Alte sperrte sich, wollte  nicht raus aus seiner Bruchbude, dem maroden Zechenhaus. Gute Argumente zogen nicht, die  großzügige Abfindung, die der Chef zuletzt angeboten hatte, menschenfreundlich wie er war. Hansens Geduld war langsam am Ende, Siggi konnte ihn verstehen. Obwohl, der Chef nahm es locker, behielt die Ruhe. So etwas passierte, es würde Wege geben.

Ott verzögerte das gesamte Großbauprojekt, Hansens neuestes Prestigeobjekt. Vor Gericht hatte der alte Bergmann sogar Recht bekommen. Die Mitleidstour zog immer noch, der arme alte Mann, nach 70 Jahren vor die Tür gesetzt. Es war doch völlig normal. Dennoch, verdammte Hacke, dass sie sich damit herumschlagen mussten. Hans-Hansen-Haus, ungekrönter Immobilienking, stolzer Marktführer der Branche. Ha-Ha-Ha, sogar die örtliche Presse hatte sich auf Otts Seite geschlagen und Hansen als brutalen, rücksichtslosen Bauhai hingestellt. Lachhaft, auch damit konnte er leben. Nun wurden andere Seiten aufgezogen, Ott würde das Lachen schon vergehen. 

Zeit war Geld. Hans Hansen musste handeln, bevor die ersten Käufer absprangen und die schöne Rendite den Bach runter ging. Druck machen, sich etwas einfallen lassen. Den Alten in die Enge treiben, überzeugen, übertölpeln. Dafür war Siggi zuständig.

Auf die plumpe, massive, oder auf die feine, subtile Art, eine rasche Lösung musste her, bevor es sich hinzog über die Feiertage, womöglich hinein ins Neue Jahr. Siggi war sein bester Mann, besonders geeignet für hartnäckige Fälle. Der alte Ott blockierte sein Vorhaben, setzte ihm zu, vermieste ihm die Weihnachtstimmung. Seine mickrige Bude war längst abbruchreif,  immer noch wollte er mit Kohle heizen, die es längst nicht mehr gab. Sogar Braunkohlenbriketts waren ausverkauft in diesem Winter. Die Leute setzten auf Elektroheizungen und Gas.

Auf Siggi war Verlass. Prompt hatte er Otts Vertrauen erschlichen. Ein alter Mann, leicht zu überrumpeln. Und einen Weihnachtstick hatte der Alte auch.

„Deine gammelige Bude, Otti“, hatte Siggi getönt. „Schlecht isoliert. Wenn es kalt wird, stehst du da. Ich wüsste etwas, das hilft garantiert. Schon mal was von Pellets gehört, Otti? Ich hab dir mal eine Fuhre besorgt, war gar nicht leicht, da ran zu kommen. Kippst du einfach in deinen ollen gusseisernen Ofen, voll bis obenhin, das verkraftet der schon, brauchst dich um nichts weiter zu kümmern, anzünden, alles andere geht automatisch!

Siggi war begeistert, die Leute ließen sich leicht an der Nase herumführen. Man musste nur Ideen haben. Er tränkte den Pellethaufen mit seinem Spezialöl, schnupperte kurz. Völlig geruchlos, so musste es sein.

„Pellets sind easy, Otti! Heizen besser als deine Kohlen. Eignen sich bestens für deinen alten Ofen. Einfach vollschütten bis zum Rand!

Und dann, Otti, mein Kompliment! Ein Mann in deinem Alter, der sich nicht unterkriegen lässt! Der Widerstand leistet, ausharrt in seinem schönen Heim bis zuletzt! Übrigens, wie alt bist du eigentlich?“

„Werd übermorgen 77. Kommste vorbei auf ein Pülleken Bier!“

„77, Donnerwetter, 77, meine Glückszahl, Otti! Danke für die Einlandung.“

Umgehend hatte sich Siggi an die Arbeit gemacht und 77 Teelichter eng an eng zu der Schnapszahl auf einem alten Kuchenblech arrangiert. Das ergab eine höllische Hitze. Er sah Otts Hütte bereits in hellen Flammen stehen.

„Herzlichen Glückwunsch, Otti! 77 Lichter dir zu Ehren! Nun genehmigen wir uns ein paar Bierchen!“

Doch der alte Bergmann hatte nur den Kopf geschüttelt und die Lichter ausgepustet.

„Willst wohl unbedingt mein schönes Häuschen abfackeln, Siggi! Die Dinger sind doch brandgefährlich!“

Verdammt, der Alte war nicht auf den Kopf gefallen. Doch nicht ganz so leicht zu überrumpeln. Siggi runzelte die Stirn, boß nicht locker lassen!                                                                                                                                               

„Lass uns anstoßen auf unsere wunderbare Freundschaft. 77, Otti, ein Grund zum Feiern! Ein paar kleine Geburtstagsüberraschungen nur für dich! Echte Kerzen für deinen Baum! Tropffreier Wachs, völlig gefahrlos, kannst du unbesorgt brennen lassen, wenn du mal außer Haus sein solltest. Und hier! Eine wunderschöne 77 aus lauter Lichtern eng an eng, damit es nach was aussieht. Guck, wie hell und leuchtend, die wärmen das Herz.“

Geballte Kreativität auf die sanfte Tour. Überzeugungsarbeit, es ging auch ohne Gewalt. Die Ideen lagen auf der Straße, oder auch im Internet, flogen ihm einfach zu. Die Sache mit dem Blumentopf-Ofen! Ein popeliger Tonblumentopf mit ein paar Teelichtern darunter.

„Tolles Öfchen! Im Nu hast du es muckelig warm, Otti, locker 250 Grad und mehr! Besser als 77 Teelichter auf dem Kuchentablett. Hattest Recht, war keine gute Idee. Aber hier! Kaum Kosten, kaum Aufwand! Hab ich aus dem Internet, absolut seriös, die Sache! Mit meinen Geburtstagslichtern kommst du da locker durch den Winter!“

Dass sich die Dinger später kaum löschen ließen, musste er dem Alten ja nicht auf die Nase binden. Siggi dachte nach, es musste reichen! Trotzdem, eine weitere Maßnahme, zusätzlich, für alle Fälle. Sicher war sicher. Todsicher. Siggi rieb sich die Hände.

„Mit Frieren ist Schluss, Otti! Ein für alle mal! Nur noch etwas für die Optik, Otti, fürs Gemüt, wenn du weißt, was ich meine! Ein alter Fuchs wie du! Sollst es gemütlich haben in deinem Bau, hast es dir redlich verdient. Hier, die schönen neuen Lichter! Supermodern, absolut zeitgemäß, wenn du weißt, was ich meine! Der letzte Schrei! Biste platt, Otti, was sachste nu? Geht dir das Herz auf, nich? Todschick! Lass einen Fachmann wie mich mal machen!“

Siggi zog die hübsche lange Lichterkette unter den niedrigen Holzbalken in Otts Wohnstube von der Deckenlampe zum Baum und wieder zurück. Verknotete sie am Wohnzimmerschrank, manipulierte die Steckdose, präparierte den Trafo. Ein Fachmann wie er!

„Otti, du wirst staunen, wie das funkelt und glitzert! Die schönen bunten  Lämpchen, Einmalige Festtagsstimmung! Gemütlich wie nie!“ Beim Einschalten Kurzschluss, ein normaler technischer Defekt. Gute Arbeit, das neue Jahr konnte kommen, Hansen würde zufrieden sein.