Dietmar Bär alias Tatortkommissar Freddy Schenk las Bölls Weihnachtsgeschichte in der Konzertaula.
Kamen. (wol) Eigentlich wurde ja nur eine mehr als 70 Jahre alte Weihnachtsgeschichte vorgelesen. Wie Dietmar Bär und Stefan Weinzierl die Satire „Nicht nur zur Weihnachtszeit“ von Heinrich Böll präsentieren, das aber ist einfach grandios und wurde zu Recht bei der Premiere in der Kamener Konzertaula vom Publikum gefeiert.
Morgenmantel und Kerze: Dietmar Bär glänzte als Vorleser.Natürlich hat Dietmar Bär eine starke Stimme und ist ein eindrucksvoller Vorleser. Den Vergleich mit Freddy Schenk kann man ihm nicht ersparen, auch wenn seine Weihnachtstournee eigentlich nichts zu tun hat mit seiner von Fans geliebten Tatortfigur. Wie Dietmar Bär im edlen Morgenmantel mit roten Socken und schwarz glänzenden Schuhen im Lesesessel auf der Konzertaula-Bühne Platz nimmt, da steckt aber doch etwas vom gern eleganten Freddy drin, wie er sonst neben seinem eher leicht verknautschten Kommissar-Kollegen agiert.
Ohne große Theatralik präsentiert Dietmar Bär die Zeilen von Heinrich Böll, die der kurz nach dem zweiten Weltkrieg niedergeschrieben hat und lässt diese umso mehr wirken. Klar müssen die Zuhörer erst einmal den familiären Rahmen von Tante Milla aufnehmen. Schnell aber erreicht die Satire das Publikum. Da entschuldigen sich Autor und Vorleser dafür, dass man bei einer Erzählung über jene Zeit an Unerfreuliches erinnern muss, wie Bomben, Hunger und Tod. Tante Millas Sein aber konzentriert sich trotzdem auf einen Weihnachtsbaum, dessen Engel selbst im Kriegsgeschehen „Frieden, Frieden“ flüstert.
Stefan Weinzierl untermalt Bölls Text und Bärs Stimme musikalisch perfekt als Ein-Mann-Orchester. Da klingen Weihnachtslieder an, gern mal leicht zugespitzt bis zur Imitation eines quälenden weihnachtlichen Blockflötenspiels. Als dann Tante Milla ihre Familie zwingt, über Monate täglich für sie Heiligabend zu zelebrieren, steuert Weinzierl virtuos mit vielfältigen Klängen musikalische Abwege bei bis zu „Wann wird es mal endlich wieder Sommer?“
Längst ist es schließlich Sommer geworden, Schreiattacken von Tante Milla sobald jemand die Weihnachtszeit beenden will, lassen das aber gar nicht zu. Nur die „Weihnachtsbaumtherapie“ hilft, Tag für Tag und Monat für Monat. Dietmar Bär schafft es mühelos mit kleinen Gesten das Konzertaula-Publikum mit ihm vom Tannenbaum singen zu lassen. Eingebaut wird die Weihnachtsroutine in Bölls Text in die satirische Aufarbeitung von Nachkriegsmentalität und familiärem Verfall. Nach und nach löst sich das Schauspiel auf, Familienmitglieder werden durch Schauspieler ersetzt, Kinder durch Wachspuppen. Spekulatius-Trauma greift um sich. Akteure fliehen in Auswanderung oder Kloster. Der Schein aber bleibt.
Da wir selbst alle auf eine Weihnacht zusteuern während in der Ukraine, in Libanon und Gaza geschossen und gestorben wird, holen Bär und Weinzierl Bölls Erzählung ganz ohne Verweis darauf in die Gegenwart. Das Aberwitzige der Dauerweihnacht bei Böll macht vor diesem Hintergrund um so mehr nachdenklich.
Für das Duo auf der Bühne gab es am Ende den verdienten starken Beifall. Natürlich machte Dietmar Bär Lust auf mehr Dietmar Bär oder auch auf ein wenig Freddy Schenk als Zugabe. Die eindringlichen Zeilen von Heinrich Böll aber hätten wohl einen Nachklapp gar nicht zugelassen. Toll, dass die Kamener Kulturverwaltung hier tatsächlich eine Premiere in die Stadt holte. Wer mehr will, muss dem Duo hinterher reisen.
Stefan Weinzierl begeisterte als Ein-Mann-Orchester in der Kamener Konzertaula.