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Kamener Stadtpflanzen - Folge 43: Baldige Greise

Geschrieben von Redaktion am . Veröffentlicht in Natur & Umwelt

SP43 2GLKräftig blühendes Gewöhnliches Greiskraut.von Dr. Götz Loos | Fotostrecke >>>
 
Kamen. Kleine gelbe Alien-Augen schauen uns von unten durch das Grün an. Dies sind die Scheinblüten eines Korbblütlers: Viele Blüten zusammengefasst in einem Köpfchen, das eine Einzelblüte vortäuscht; diese stehen wiederum zusammen in einem doldentraubigen, verzweigten Gesamtblütenstand. Früher war diese Pflanze, das Gewöhnliche Greiskraut (Senecio vulgaris), einer der Schrecken der Gemüsebeete - und auch heute mögen viele Menschen diese Pflanze nicht besonders, denn sie breitet sich gern vor Ort aus, entfaltet aber darüber hinaus eine rege fernere Ausbreitung. 
 
Grund für diesen Erfolg ist eine bodennahe Keimfähigkeit, die Früchte müssen nicht tief in den Boden gelangen, um Nachkommen aufwachsen zu lassen. Ein zweiter hier anzuführender Aspekt sind feine, weithin flugfähige Früchte, die zu diesem Zweck mit Haaren (dem so genannten Pappus) ausgestattet sind - ähnlich wie die Fallschirme beim Löwenzahn, aber ohne Stiel, was bedeutet, dass die Haare strahlig oben auf der Frucht stehen. Diese weißen Haare erscheinen sehr schnell nach der Blüte (selbst beim Pressen bilden blühend gesammelte Exemplare beim Trocknen noch die Pappushaare aus) und stehen kugelig über dem Fruchtstand - von oben betrachtet wie ein Greisenhaupt, weshalb die Art wie andere aus dieser und ähnlichen Gattungen früher "Baldgreis" genannt wurde. Heute spricht man allgemein von Greiskraut. Alternativ gibt es den Namen Kreuzkraut, den ich jedoch für die Arten mit kreuzförmig angeordneten Zungenblüten reserviert sehen möchte. Es gibt allerdings auch die Deutung, dass kreuzförmig angeordnete Blattlappen gemeint sein könnten - was auf unsere Art nur teilweise zutrifft.
 
Damit sind wir bei den Blättern, die erstaunlich vielgestaltig in Spreitenform und -breite sein können: von seichter gelappt bis hin zu tiefer eingeschnitten, mit vorwärts gerichteten oder senkrecht abstehenden Lappen. Grund für diese Veränderlichkeit dürfte die neben der durch Schwebfliegen und Bienen vorgenommenen Fremdbefruchtung wohl gleichrangig auftretende Selbstbefruchtung sein, die Merkmale erblich fixieren kann. Ob man deshalb mehrere Arten innerhalb einer Gruppe Gewöhnliches Greiskraut unterscheiden sollte, steht noch auf dem Prüfstand. Die Blüten sitzen in Form von fruchtbaren Röhrenblüten zusammen, deren randliche oft etwas ausgefranst wirken. Nur ziemlich selten treten Exemplare mit Zungenblüten am Rand auf, wobei davon zwei Typen bestehen: einer mit kurzen, recht unscheinbaren Strahlen sowie einer mit größeren, deutlicher entwickelten. Solche Pflanzen habe ich jahrelang im Bereich Nordstraße studiert; inzwischen tritt dort aber kaum noch ein entsprechendes Individuum auf (weggejätet?).
 
Dass die Pflanze in Gemüsebeeten hartnäckig verfolgt wurde, hatte noch einen zweiten, früher jedoch wahrscheinlich unbewussten Zweck: Sie ist giftig, da sie Pyrollizidinalkaloide enthält, welche die Leber angreifen und zerstören können und ebenfalls - bei dauernder Zufuhr - krebserregend wirken. Mit Gemüse zusammen geerntet und nicht aussortiert (die Blätter sind vornehmlich Rucola ähnlich) also nicht angenehm, wenn auch ab und zu in kleinen Mengen mitgegessen kein wirklich spürbarer Effekt wahrscheinlich ist.
Trotz der Verfolgung ist das Gewöhnliche Greiskraut in Kamens Siedlungsbereich Mitte noch häufig aufzufinden und gedeiht ab den unterschiedlichsten, mehr offenen (ruderalen) Standorten.
 
Werfen wir den Blick noch auf eine zweite Art der Gattung, die sich zunächst durch stets ausgeprägte Zungenblüten, weniger tief gelappte Blätter und einen mitunter höheren Wuchs unterscheidet - das Frühlings-Greiskraut (Senecio vernalis). Diese Art wanderte zuerst von Osten her nach Westfalen bis in den Soester Raum zu. Ganz selten erschien es einmal - weiter bis zu uns verschleppt - in dieser Zeit seit Mitte bis Ende des 19. Jahrhunderts. 
 
Dann aber, in den 1990er Jahren, setzte eine weitere Ausbreitungswelle ein, die zuerst entlang der Bahnlinien stattfand. Von dort erfolgte teilweise eine Ausdehnung der Bestände zuerst in Bahnnähe, dann auch weiter entfernt - allerdings nicht überall. Im Stadtgebiet kann man diese Form der Ausbreitung vor allem entlang der Königstraße in Höhe der Bahn feststellen. Auch am Bahnhof kam dieses Greiskraut an und breitete sich in den Gleisen aus - durch Austausch von Gleisschotter jüngst jedoch zurückgegangen. Abseits davon sieht man es im Kamener Siedlungsbereich Mitte nur sehr selten und vereinzelt. Fotostrecke >>>