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Stadtgeschichte: Die Benennung von Kamener Straßennamen

am . Veröffentlicht in Stadtgeschichte

KamenLuft090314 RH 017von Klaus Holzer

Kamen. Südlich der Südkamener Straße, zwischen der Bückeburger Straße und Schulze Berge, heißen viele Straße nach Philosophen: Schopenhauer, Schelling, Feuerbach, Hegel, Fichte, Nietzsche. Doch stößt der Spaziergänger auf „Auf den Kämpen“, „Lütge Heide“, „Siegeroth“. Und die südlich angrenzende Flur heißt „Auf der Heide“. Wie paßt das zusammen?
Große Städte wie Köln hatten auch im Mittelalter schon Straßennamen, da selbst ihre Einwohner sonst in ihnen die Orientierung verloren hätten. Kleine Städte wie Kamen hatten das nicht nötig, hier kannte praktisch jeder jeden. Daher genügte eine bloße Numerierung, die in Kamen bis 1771 Bestand hatte. Danach gab es eine neue durchlaufende Numerierung. Und erst 1885 erhielt Kamen offizielle Straßennamen mit Hausnummern. Meist orientierte man sich bei der Namengebung an den typischen Gegebenheiten einer Straße. Straßen waren die großen Verkehrsadern, die die Verbindung zur Welt durch die Stadttore herstellten. Entsprechend gab es die Nord–, West– und Oststraße, das erste „Kamener Kreuz“. Eine „Südstraße“ brauchte es nicht, hier gab es die städtische Mühle als Orientierungspunkt. Zu ihr führte die Mühlenstraße. Und gleich hinter dem Mühlentor hieß die Straße Steinweg bzw. –straße, da sie als erste in Kamen gepflastert war. Sie war besonders wichtig geworden, weil sie den direkten Zugang zum Hellweg ermöglichte, der damals wichtigsten Handelsstraße.
Die Straßen innerhalb der Stadt, die den Verkehr der Bürger und Einwohner untereinander  ermöglichten, hießen Gassen. Und da Handwerke und Gewerbe sich bevorzugt in direkter Nachbarschaft miteinander ansiedelten, hießen solche Gassen z.B. Lämmergasse, Färbergasse, Gänsemarkt.

In den Randgebieten dieser kleinen Städte wie auch in Dörfern dienten oft alte Flurnamen der Orientierung. Solche Namen waren Gebrauchsnamen, die nur lokal bekannt waren und Sinn ergaben. So erwähnt der Kamener Konrektor Craemer 1929 in der „Zechenzeitung der Schachtanlagen Grillo und Grimberg“ ein „Ziegenröttchen“ bzw. „Siggenröttchen“. Ein „roth/rodt oder röttchen“ (es gibt viele verschiedene Schreibweisen) ist ein Stück gerodetes Land. Alle Rodungsnamen sind sehr alt, da sie auf die Zeit zurückgehen, als man in ganz Europa in großem Stile daranging, bewaldetes Land für die Landwirtschaft nutzbar zu machen, also nach der Zeit der Völkerwanderung, etwa ab dem 7. Jh. AD.
Zusammen mit dem ersten Bestandteil (Ziegen, Siggen) ergibt sich somit die wahrscheinliche Bedeutung: „gerodetes Land, auf dem Ziegen weideten“. Die Südkamener Ortsheimatpflegerin Ursula Schulze Berge bestätigt diesen Gebrauch: „So haben mein Mann und ich immer darüber gesprochen.“
Nun ist ein Flurname selbst in heutiger Zeit an sich nichts Ungewöhnliches. Die Flur heißt „Auf der Heide“, ein Indiz für die Richtigkeit der Annahme, da eine „Heide“ immer ein sehr karges Stück Land ist und Ziegen selbst dort noch etwas zu fressen finden; Lintgehr - Keilstück auf einer Anhöhe; Lehmberge - wo einmal eine Ziegelei war; Op de Worth - erhöhte Hausstätte usw. Auffällig wird er erst, wenn er in einer ihm völlig fremden Umgebung auftaucht.
Straßennamen waren in Deutschland immer von der politischen und gesellschaftlichen Großwetterlage abhängig. Während der Zeit des Absolutismus erhielten Straße oft den Namen von Monarchen: Wilhelm, Friedrich usw. In der Gründerzeit, d.h., zwischen dem Beginn der Industrialisierung um 1850 und dem Börsenkrach von 1873, manche sagen, bis zum Beginn der Ersten Weltkriegs, als Städte besonders schnell wuchsen, weil die Industrie Arbeiter anwarb und diese immer mobiler wurden (Eisenbahn), begann man, ganze Viertel nach der Herkunft der Zugezogenen zu benennen: Bayern, Schlesier usw., meist aus den armen Gegenden Deutschlands. Die Nazis benutzten Straßennamen zur politischen Propaganda: in vielen Städten gab es Adolf-Hitler-Straßen, in Kamen die Horst-Wessel-Straße (heute Koppel–) und die Hermann–Göring–Straße (heute Borsig–) (H.G. war von 1933 bis 1979 auch Kamener Ehrenbürger).
Nach dem Kriege wurden alle Nazi-Namen getilgt, dafür tauchten die Namen von Nazi-Opfern auf: Tucholsky, Scheidemann, von Gewerkschafts– und Kirchenführern und anderen Widerstandskämpfern. Hinzu kamen oft Namen von Städten, die in den durch den Krieg verlorenen Ostgebieten lagen: Königsberg, Breslau, Pillau usw.
Vor allem aber wurde es beliebt, unverfängliche Namen in einheitlichen Systemen zu vergeben: Bäume, Blumen, Vögel, Maler, Komponisten usw. Und im Zuge der politischen Entwicklung wurden Frauen Namenpatinnen: Gertrud Bäumer, Helene Lange, Elsa Brändström.     
So erzählen uns Straßennamen immer viel über die Zeit, aus der sie stammen und sind damit eine reiche Quelle für den Heimatforscher, manchmal angeregt durch die Beobachtung, daß Straßennamen offensichtlich nicht zusammenpassen.