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Zum Namensjubiläum – 100 Jahre „Pauluskirche“

Geschrieben von Redaktion am . Veröffentlicht in Stadtgeschichte

KH Paulus TurmAbb. 1: Der Turm der Pauluskirchevon Klaus Holzer

Kamen. Der Turm der Pauluskirche mit seinem Buckel auf der Ostseite ist das Wahrzeichen der Stadt Kamen und das letzte Gebäude aus Kamens Anfangszeit, stand er doch schon etwa 100 Jahre, bevor Kamen Stadt wurde. Erbaut wurde er aus Anröchter Sandstein etwa zwischen 1100 und 1130 im romanischen Baustil. Daher sind die Mauern an der stärksten Stelle knapp unter drei Meter dick, um den Turmhelm tragen zu können. Zu diesem Stil passend trug der Turmstapel einen kurzen Stummelhelm, wie ihn z.B. die Methleraner Margaretenkirche heute noch hat.

Auf dem Platz zwischen Dunkler Straße und dem östlichen Ende des Kirchplatzes befand sich vor 1100 die Grafen- oder Funkenburg, der Anfang Kamens als eines besiedelten Ortes. Der Burgherr ließ die Kirche als „ecclesia propria“, als Eigenkirche bauen, weil es zwar Bedarf an geistlicher Lenkung, aber keine wirksamen kirchlichen Strukturen gab. Der erste Name dieser Kirche war St. Severinskirche, er blieb bis in die 1590er Jahre.

Die heutige Kirche, das Langhaus, ist die vierte an dieser Stelle: die erste war wohl eine Holzkirche, die zur Zeit Karls d. Gr. auf einer ehemaligen germanischen Opferstätte errichtet wurde. Nach etwa 300 Jahren war das Holz verrottet und es wurde eine romanische Steinkirche gebaut, deren Dachansatz noch heute im Dachstuhl des Kirchenschiffs zu erkennen ist. Die romanische Kirche brannte 1376 ab und wurde, da inzwischen die Gotik von Frankreich nach Kamen gekommen war, entsprechend den neuen architektonischen und statischen Möglichkeiten als gotisches Langhaus viel größer neu errichtet (die dritte Kirche). Dank dieser neuen Bauweise konnten die Wände schlanker, die Fenster größer sein, und das Dach erhielt auf jeder Seite vier Zwerchhäuser (eine Art Gaube), je eines über einem der großen Fenster. Als das Gebäude fertig war, wurde deutlich, daß der romanische Turmhelm in den Proportionen nicht mehr zur jetzt viel größeren Kirche paßte. So baute man den heutigen Turmhelm auf den alten Turmstapel. Jeder Turmteil ist ca. 30 m hoch.

KH Paulus Gotische KircheAbb. 2: Die gotische KircheDie Legende will wissen, daß der Baumeister, als er den Buckel seines Turms auf der Ostseite entdeckte, sich einen Strick nahm und aus Verzweiflung aufhängte. Wer aber einmal bei einer Turmführung einen Blick in das Dachgebälk geworfen hat, weiß: hier war kein Stümper, sondern ein Meister seines Fachs am Werk. Der Sinn dieser Konstruktion dürfte zweifach begründet sein: zum einen braucht solch ein Gebäude Verwindungssteife gegen sehr starken Wind, der bei uns meist aus westlicher Richtung kommt und zweitens fällt der Turm, sollte ein Blitz ihn in Brand gesetzt haben, nicht auf das Langhaus und zerstört dieses auch noch.

Am Trinitatissonntag 1553 hielt Pfarrer Hermann Hamelmann zum ersten Mal in St. Severin einen Gottesdienst nach der Lehre Luthers ab, wurde aber umgehend vom Drosten von der Recke der Stadt verwiesen. Erst gegen Ende der 1550er Jahre setzte sich die Reformation in Kamen durch. Da jedoch wurden die Menschen auf eine harte Probe gestellt: die kleine Eiszeit brach aus. In den folgenden ca. 60 Jahren gab es nur zwei normale Ernten. Mangels naturwissenschaftlichen Wissens um die Gründe schlossen sich die Kamener daraufhin der viel strengeren Lehre Calvins an und hofften auf Gottes Gnade. 1589 kam Heinrich Bock, der erste Reformierte (d.h. calvinistische) Prediger in die Stadt. Es gab nur noch wenige Lutheraner. Das änderte sich erst, als in das mittlerweile preußische Kamen eine Abteilung preußischer Soldaten verlegt wurde. 1744 erhielten die Lutheraner ihre eigene kleine Kirche in der Lutherischen Kirchstraße (heute Kampstraße), die Lutherkirche.

KH Paulus KassettendeckeAbb. 3: Die Kassettendecke (Ausschnitt)Schlimm erging es der großen Reformierten Kirche im Jahre 1796, als napoleonische Soldaten in ihr wüteten, alle Kultgegenstände aus Edelmetall stahlen, in ihr Vorräte für sich und ihre Pferde lagerten, sogar die Pferde hineintrieben.

Bis zu dieser Zeit war der Turm mit Blei gedeckt gewesen, doch in diesem Jahr wurde das Blei verkauft und z.T. zu Munition verarbeitet, billigerer Schiefer deckte nun das Dach. 200 Jahre lang kannten die Kamener ihre Kirche nur schiefergedeckt. Ende der 1950er Jahre nannte sich eine Kamener Künstlergruppe „Schiefer Turm“, in ihrem Namen den Doppelsinn aufgreifend. Erst seit 1995 prägt wieder der mattsilbrige Glanz von 32.600 kg Blei das Bild des Turmhelms.

1824 treten die beiden Kamener evangelischen Kirchen der Preußischen Union bei. Im Alltag des Gemeindelebens änderte sich nichts, man blieb getrennt, die theologischen Unterschiede bestanden weiter. 1841 wurden starke Veränderungen am Mauerwerk, den Säulen und einigen Gewölben sichtbar und die sofortige Schließung der Kirche verfügt. Am 28. Nov. 1841 fand der letzte Gottesdienst in der gotischen Kirche „im Vertrauen auf den Schutz des Herrn“ statt. Die Lutheraner boten den Reformierten ihre Kirche für den sonntäglichen Gottesdienst an, doch war sie viel zu klein, um allen Sitzplatz zu bieten, weswegen viele Leute nicht mehr zur Kirche kamen, denn die größere (d.h. Reformierte) Gemeinde umfaßte damals Camen, Bergcamen, Overberge, Lerche, Rottum, Derne und Südcamen. Man mußte also sehr früh aufstehen, zu Fuß zur Kirche gehen, in der Kirche stehen und dann den langen Weg wieder zurückzugehen. Das schreckte eben viele ab.

Beim Neubau hatte Kamen zum zweiten Mal Glück. Konnte die gotische Kirche nur mit der großzügigen Hilfe erfolgreicher Kamener Hansekaufleute so groß und so prächtig – sie hatte 11 Seitenaltäre – entstehen, so kam 1846/47 die Köln-Mindener Eisenbahn als Retter. Die Kamener hatten Arbeit, verdienten gut und spendeten Geld. Am 22. März 1849 wurde die neue, klassizistische (also die vierte) Kirche geweiht. 200 Taler gab man für das neue große Altargemälde von Christian Zucchi aus, das heute wieder über dem Altar aufgehängt ist. Um rechtzeitig fertig zu werden, wurde am Ende wohl auch etwas geschludert. Jedenfalls beschwerten sich 10 Kamener Bürger beim „ehrwürdigen Kirchenvorstand“: „Durch die Klagen unserer Frauen und Töchter veranlaßt, teilen wir mit, daß die Kirchensitze der südlichen Seite unserer neuen Kirche, welche für Frauen bestimmt sind, einen so schlechten Anstrich erhielten, daß unsere Frauen und Töchter bei jedesmaligem Kirchgang ein Kleidungsstück durch nie trocken werdende Ölfarbe verderben. Der Anstrich klebt dermaßen an den Kleidern, daß sogar schon Stücke von Seidenzeug beim Aufstehen an den Bänken hängen geblieben sein sollen.“

1897 wurde der Innenraum vollständig neu gestaltet und u.a. die wunderbare Kassettendecke von zwei Kamener Handwerkern, dem Schreiner E. Starke und dem Maler J. Edelmann, nach dem Entwurf des Architekten Fischer aus Barmen angefertigt.

KH Paulus PaulusglockeAbb. 4: Die PaulusglockeAls 1919 das Kirchenwesen in Deutschland grundsätzlich neu geregelt wurde – und die heute noch bestehende Kirchensteuer eingeführt wurde – bildete sich auch hier eine unierte Gemeinde, die gemeinsam die größere Kirche benutzen wollte. Doch welchen Namen sollte man ihr nun geben? Die Lutheraner hätten auch den Namen eines Heiligen akzeptiert, doch war das mit den Reformierten nicht möglich. So einigte man sich auf den Namen eines Apostels. Am 1. Mai 1920, vor 100 Jahren, erhielt das Kamener Wahrzeichen seinen heutigen Namen, „Pauluskirche“.

Jedem fällt sogleich die kleine Glocke außen am Turmhelm auf, die eine ganz besondere Geschichte hat. Sie wurde im Jahre 1343 bei einem Raubzug des Grafen von der Mark zusammen mit dem Grafen von Arnsberg in Menden, das lag im „Ausland“, nämlich in Kurköln, erbeutet und überlebte die Jahrhunderte wohl vor allem deshalb, weil sie so unzugänglich hoch am Turm hängt. Da sie die Jahreszahl 1537 trägt, ist sie nicht das Original, sondern vermutlich ein Umguß aus dem Jahr.

1917 wurden zwei der drei aus dem 17. Jh. stammenden wertvollen Bronzeglocken zur Finanzierung des Ersten Weltkriegs („Gold gab ich für Eisen“) requiriert und eingeschmolzen, die dritte überlebte, wurde verkauft und der Betrag für den Kauf des neuen Geläuts verwendet. Im Mai 1922 wurden die drei neuen Stahlglocken aus Apolda in Thüringen in den Turm gehoben. Sie heißen: Johannesglocke, 1.253 kg, Glückaufglocke, 2.044 kg (um den Bergleuten zu danken, ohne deren Hilfe man die Glocken nicht in den Turm bekommen hätte) und Paulusglocke, 3.275 kg.

KH Paulus Pauluskirche kriegsbeschAbb. 5: KriegsschädenAm 25. Feb. 1945 fielen zwei Bomben auf die Südwestecke des Turmhelms und richteten dort schweren Schaden an.

Alle Fenster wurden zerstört. Die Reparaturarbeiten dauerten bis 1953. Die neuen Chorfenster gestaltete der Düsseldorfer Kunstmaler und Restaurateur Puttfarken, die Fenster des Langhauses stammen vom Unnaer Künstler Wilhelm Buschulte. Über dem Altar hängt seit einiger Zeit wieder das Zucchi-Gemälde statt des Altarkreuzes, das vorher die Sicht auch auf das Mittelfenster gestattet hatte. 1986 wurde endlich der schon 1849 geplante Putz des Langhauses nachgeholt, 2014 wurde es auch gestrichen. Schon 2007 war die Sanierung des Turms beendet worden, die den porösen Sandstein schützende Kunststoffaußenhaut zeigt heute bereits Wasserschäden, eine Feuchtigkeitssperre gab es vor 900 Jahren noch nicht. Im Februar/März 2020 mußte das Gebälk des Turms einer Wärmebehandlung unterzogen werden, um dem Holzwurm (Totenuhr bzw. Bunter Pochkäfer) den Garaus zu machen. Die neue Orgel der Firma Führer aus Wilhelmshaven wurde am 26. Sept. 1982 eingeweiht. 1986 wurde vor dem Turm das Kunstwerk „Steinzeichen“ von Werner Ratering aufgestellt.

Der Turm der Pauluskirche steht seit 900 Jahren an seiner Stelle, war immer eine Baustelle und wird immer eine bleiben. Hoffentlich. Aber Baustellen kosten Geld, daher sind Spenden für den Erhalt des Turmes auf Konto DE55 4435 0060 1800 0070 70 immer willkommen.

Für diesen Artikel schulde ich großen Dank dem unlängst verstorbenen Kamener Kirchenhistoriker Wilhelm Wieschhoff.
Eine ausführlichere Geschichte unserer Pauluskirche finden Sie unter www.kulturkreiskamen.de

Bilder: Klaus Holzer und Stadtarchiv Kamen