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Schwimmverein Kamen – Deutscher Meister ohne Winterbad

Geschrieben von Redaktion am . Veröffentlicht in Stadtgeschichte

von Heinrich Peuckmann

freibadKW2 21Es gibt Meistertitel im Sport, von denen man entweder gar nicht oder nur in Ausnahmefällen hört. Im Wasserball gab es viele Jahre lang die Deutsche Meisterschaft für Vereine ohne Winterbad (VoW), ein Titel, der dem Amateurmeister im Fußball vergleichbar ist. Es ist eine Meisterschaft, die der kleine, aber feine Schwimmverein Kamen 1891 gleich dreimal hintereinander gewonnen hat. 1962 fing diese Siegesserie an. Der SV Kamen war damals gerade in die II. Division aufgestiegen, der 3. Liga im Norden, als er in einem Ausscheidungsspiel den TV Werne knapp mit 6:5 besiegte. Im anschließenden Turnier gegen drei andere qualifizierte Teams blieb die Mannschaft ungeschlagen und errang den Titel. Die Stadt Kamen stand Kopf. Ein Deutscher Meister und das aus dieser kleinen Stadt! Rund 30 Autos, darunter Polizeiwagen, empfingen das Team bei der Rückreise schon an der Autobahnraststätte Hagen.  Die Stadt selbst war geschmückt, rund 2000 Menschen warteten auf dem Marktplatz und die Bergmannskapelle Monopol – wer sonst in dieser Stadt mit großer Bergbautradition – spielte zur Begrüßung. Trainer war Horst Erler, der den Kamener Wasserballsport in jenen Jahren deutlich nach vorn gebracht hat. Die Namen der Spieler sind bis heute in Kamen bekannt, da sie fast alle hierher stammten. Zwei von ihnen, Klaus Dieter „Claudia“ Herrmann und Ulrich Kaiser, waren Juniorennationalspieler.

Ein Jahr später war der SV Kamen als Titelverteidiger Ausrichter dieser Meisterschaft, und wieder gewann die Mannschaft vor gut 1000 begeisterten Zuschauern den Titel ungeschlagen. Inzwischen war sie in die Oberliga B, die zweithöchste Spielklasse, aufgestiegen. 1964 schaffte sie den Hattrick.

In diese Zeit fällt eine Anekdote, die jeder Sportbegeisterte in Kamen kennt und gerne erzählt. Für Meisterschaftsspiele musste die Beckentemperatur über 20 Grad liegen, die konnte das Kamener Freibad im Herbst aber nicht mehr bieten. Was tun? Guter Rat war teuer. Da fiel den Verantwortlichen auf, dass direkt vor dem Freibad die Zechenbahn vorbeifuhr. Und so stand schon Stunden vor Beginn der Spiele eine Dampflok vor dem Freibad. Über dicke Schläuche wurde Wasser aus dem Becken angesogen, aufgeheizt und zurück ins Bad geleitet. Bei Spielbeginn waren die erforderlichen 20 Grad erreicht. Der Bergbau hat damals eben das Bild der Stadt geprägt und gefördert, bis hinein in skurrile Einzelheiten.

Wie berechtigt der Titel „Verein ohne Winterbad“ war, merkt man auch an den Trainingszeiten der Mannschaft. In den Wintermonaten musste der SV nach Unna ausweichen und da hatte man eine Trainingsstunde am Sonntag von sieben bis acht Uhr morgens. Vereine aus Städten, die ein Hallenbad hatten, waren folglich entschieden im Vorteil.

1966 stieg die Mannschaft in die Oberliga A auf und wurde komplett als Westdeutsche Auswahl zu einem Länderspiel gegen Holland B nominiert.

Die beste Zeit des SV Kamen, allerdings ohne Titelgewinn, folgte ab 1970. Da wurde die zweigeteilte Bundesliga eingeführt und der SV Kamen qualifizierte sich für die Bundesliga Nord. Die besten Mannschaften Deutschlands spielten damals in Kamen und so manche von ihnen wurde besiegt. Gleich im ersten Jahr belegte der SV Kamen punktgleich mit Poseidon Hamburg den 3. Platz. Da sich die ersten drei für das Endrundenturnier qualifizierten, musste ein Entscheidungsspiel her, das der SV Kamen gegen Hamburg denkbar knapp mit 5:4 verlor. Andernfalls hätte der kleine Provinzverein nach den Sternen greifen können und um den Titel eines Deutschen Meisters mitgespielt.

Schon vorher hatte der SV Kamen erstklassige Trainer. Hans Schepers war Ende der sechziger Jahre Trainer, entwickelte die Mannschaft weiter und wurde anschließend Bundestrainer.

Sein Nachfolger war dann ein ganz besonderer Wasserballer. Ingulf Nosseck kam aus Esslingen und wurde Sportlehrer an der Kamener Gesamtschule. Nosseck war damals der beste deutsche Spieler, weit über 100 Länderspiele hat er bestritten, nahm auch an der Olympiade 1972 teil, wo die deutsche Mannschaft den undankbaren 4. Platz belegte. Nosseck aber, Spieler des SV Kamen, wurde Torschützenkönig des Turniers.

Er starb schon früh mit 59 Jahren. So hat er die Karriere seines Sohnes Heiko nur in den Anfängen miterlebt. Heiko Nosseck bestritt über 300 Länderspiele für Deutschland und nahm an allen großen Turnieren teil. Allerdings spielte er für den SSV Esslingen, nie für den SV Kamen.

Der Deutsche Schwimmverband hatte sich für das olympische Turnier 1972 etwas ganz Besonderes einfallen lassen. Man ließ einfach die Meisterschaftsrunde ausfallen, damit Bundestrainer Schepers in aller Ruhe und Gründlichkeit das Team für die Münchner Spiele vorbereiten konnte. Der berief zuerst 24 Spieler in den erweiterten Kader, reduzierte dann nach einigen Länderspielen auf 18, um schließlich die  12 Besten zum Turnier mitzunehmen.  In diesem Auswahlkader spielten zwei weitere Kamener eine Rolle. Heino Seiffert gehörte dem großen Aufgebot an, machte auch ein allerdings unglückliches Länderspiel und schied früh als Kandidat aus. Ulrich Huth war aber lange ein Kandidat für Olympia und bestritt eine ganze Reihe Länderspiele. Als noch 13 Spieler übrig blieben, war „Uli“ Huth vom SV Kamen immer noch dabei. Seine Freunde drückten ihm fest die Daumen, aber als letzter Spieler wurde er aus dem Aufgebot gestrichen und verpasste denkbar knapp die Olympiateilnahme. Von ihm sagt Lothar „Lollo“ Reek, viele Jahre lang Torwart des SV und ebenfalls Juniorennationalspieler, seine Würfe wären mit solcher Wucht aufs Tor gekommen, dass immer blaue Flecken zurückgeblieben seien, obwohl er doch schon genügend abgehärtet war.

Mit dem SV Kamen ging es danach langsam aber sicher bergab. Noch zwei Jahre hielt sich der Verein in der Bundesliga, wurde sechster, dann siebter, aber 1975 war es so weit. Mit dem 8. Platz stieg der SV Kamen aus der Bundesliga ab.

Viele Jahre blieb er von nun an zweitklassig, nicht schlecht für einen so kleinen Verein und 1996 schaffte er tatsächlich noch einmal den Aufstieg, diesmal in die einteilige erste Bundesliga. Wieder spielte der Verein aus der Provinz gegen die ganz Großen in seinem Sport, konnte aber nicht wirklich mithalten. Nach dem Aufstieg folgte schon ein Jahr später der Abstieg.

In dieser Zeit hatte der SV Kamen abermals einen ganz Großen dieses Sports in seinen Reihen, Dirk Jakobi nämlich, der in seiner Kamener Zeit Jugend- und Juniorennationalspieler wurde, dann aber nach Duisburg wechselte, wo er zum Nationalspieler mit über 150 Länderspielen wurde und bei Europameisterschaften die Bronzemedaille gewann.

Ganz gradlinig nach unten ging es für den SV Kamen aber auch jetzt noch nicht. Bei einem Qualifikationsturnier im heimischen Freibad schaffte der Verein noch mal den Aufstieg in die zweite Bundesliga, aber auch dies blieb Episode. Danach begann ein tiefer Absturz, der den Verein sehr weit nach unten führte. Lollo Reek meint, dass das harte Training daran einen großen Anteil hat. Wasserballer müssen schnell schwimmen können, glaublich viel Krafttraining betreiben und bekommen dafür keinen müden Euro. Jugendliche, die sich für Fußball entscheiden, sind da deutlich im Vorteil. Das Training ist weniger hart, schon in unteren Klasse wird Geld gezahlt, wer will da noch Wasserballer werden? Immerhin hat sich der SV Kamen nach vielen Rückschlägen inzwischen wieder bekrabbelt. In der Verbandsliga, der vierten Klasse, spielt er inzwischen und da wieder gegen Mannschaften mit großen Namen. Blauweiß Bochum ist dabei, Duisburg 98, wenn auch mit ihren zweiten und dritten Mannschaften.

Immerhin, der Abwärtstrend ist gestoppt, sagt Klaus Kreuzmann, nacheinander Spieler, Trainer und Vorsitzender des Vereins. Und so oft, wie sich der Schwimmverein Kamen erholt hat, kann man gespannt sein, was noch folgen wird.

Archiv: Kamener Traditionsverein verabschiedet sich vom Freibad