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Kamener Stadtgeschichte: Das fünfte Viertel

am . Veröffentlicht in Stadtgeschichte

von Klaus Holzer

Als ich vor einigen Wochen eine Stadtführung machte, fragte mich eine Teilnehmerin: „Ich habe schon öfter vom Kamener 5. Viertel gehört. Was ist damit gemeint?“ Da ich es damals auch nicht wußte, habe ich sie mit den Worten vertröstet: „Schauen Sie in ein paar Wochen auf die Gästeführerseite im Internet, da werden Sie die Antwort finden.“ Hiermit also löse ich mein Versprechen ein:

Das fünfte ViertelDas fünfte Viertel

Eigentlich glaubt man es zu wissen: um ein Ganzes zu ergeben, braucht es vier Viertel. Und wenn es ein Viertel mehr gibt, dann bleibt etwas übrig. In Kamen gibt es ein solches fünftes Viertel. Wie ist es dazu gekommen?

In den 20er Jahren baute die Gelsenkirchener Bergwerksaktiengesellschaft ihre Zechenhäuser nördlich des heutigen kleinen Kreisels an der Lünener Straße, die bis zum ehemaligen Hause Recker reichten. Dafür wurde als Ausgleichsgelände der neue Park „Am Edelkirchenhof“ angelegt. Dieser war bis dahin eine Viehweide des Bauern Koepe gewesen (vgl. aber a. Artikel über Reckhof/Edelkirchenhof) . An diese Familie erinnert heute noch der Koepeplatz.

Hinter der nördlichen Häuserzeile an der Weststraße, westlich von Telgmann und der Versicherungsagentur Berg, war damals noch keine Bebauung. Dort wurden neue Häuser gebaut. Bei der Ausschachtung eines dieser Häuser entdeckte man auch Reste der Schutzmauer eines der Kamener Burgmannshöfe, des Haringhofes, später Edelkirchenhofes (so genannt, weil die letzten Besitzer die Familie von Edelkirchen war).  Im Zuge des Baues dieser neuen Häuser entstand die neue Straße „Am Reckhof“. Beide Maßnahmen waren Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, die extrem wichtig waren, da ganz Deutschland, und damit auch Kamen, durch die Inflation verarmt war. 1923 gab es kein Arbeitslosengeld, nur wer arbeitete, bekam Geld. Und wer aus der Zeit des Kaiserreiches Geld besaß, verarmte: ein Dollar kostete 4½ Milliarden Reichsmark!


Und es war hier, vor der Einfahrt zu Brumberg (auf dem Photo das Tor links neben dem heutigen Seniorchef von Brumberg), daß Rosa Luxemburg 1920 ihre Kamener Rede hielt, auf einem Leiterwagen stehend (vgl. a. Artikel zu Reckhof/Edelkirchenhof).  

Diese Bebauung wurde ausgedehnt bis zur Kämerstraße, zwischen dem Westen– und dem Kämertor. Sie lag auf dem Gelände der beiden ehemaligen Burgmannshöfe Reckhof und Haringhof und damit gerade noch innerhalb der mittelalterlichen Stadtmauer, des Teiles, der heute Westenmauer heißt, und Teilen der Nordenmauer. Das ehemalige Gelände des Haringhofes wurde zum Park umgestaltet, während der ehemalige Reck–Palandsche Hof bebaut wurde. Es war also ein ganz neues Viertel, das nicht mehr zur eigentlichen alten Stadt gehörte, die an der Rottstraße, heute Adenauerstraße, endete. Alle die, die hierher gezogen waren, fühlten sich sogleich zusammengehörig und trafen sich regelmäßig in der Gaststätte „Zur Platane“. Und da man nicht zum „alten“ Kamen gehörte, fühlte man sich wie das sprichwörtliche „fünfte Rad am Wagen“. Wilhelm Kemmer, der das alte Farben– und Tapetenhaus an der Platane gründete und den nur noch ganz alte Kamenser kennen, und der den Schalk im Nacken hatte, taufte es „fünftes Viertel“, und traf damit die Stimmung aller Anlieger.

Wo die Kämerstraße den Knick um die Platane macht, baute die Firma Brumberg schon 1904 das Haus, in das ihre Schlosserei einzog. Gleich dahinter stand das Haus, in das am 27. Juli 1874 die Städtische Rektoratsschule, unser heutiges Gymnasium, einzog, 1906 die Höhere Mädchenschule, und kurz nach dem Ersten Weltkrieg das Arbeitsamt. Später kaufte Brumberg dieses Gebäude und dehnte sein Geschäft dahin aus, bis er Anfang der 1970er Jahre den heutigen Bau errichtete.

Hier steht kaum noch etwas von der alten Kamener Bebauung. Im Zuge der Modernisierung der Stadt wurde Anfang der 1970er Jahre viel alte Bausubstanz abgerissen und durch Neubauten ersetzt. Gerade auf Photos erscheinen und diese alten Ackerbürgerhäuser heute so romantisch, daß wir ihren Verlust beklagen. Vergessen wir aber nicht, daß die Zeit eine Zeit des Aufbruchs war. Alle wollten Neues, das ja „modern“ erschien. Und seien wir ehrlich: viele der mittelalterlichen Ackerbürgerhäuser waren marode. Heute könnte niemand mehr in ihnen wohnen. Es wäre zu kalt, zu feucht und zugig. Ein heutigen Umweltmaßstäben genügender Umbau wäre wohl kaum zu bezahlen. Jede Zeit muß ihre Umwelt selber gestalten

Das fünfte Viertel Die im Zuge der Umbauarbeiten des Edelkirchen–/Reckhofgeländes neu entstandene Straße Am Reckhof, aus der Richtung des heutigen Parkplatzes aufgenommen. Links die lange Mauer umgab den Garten des Farben– und Tapetengeschäfts Kemmer. Er wurde für eine Erweiterung des Geschäfts überbaut. Heute ist KiK darin.

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