Mit und ohne Handicap auf dem Klangteppich abheben

von Katja Burgemeister

Kamen-Heeren. Sarah hat eigentlich keinen guten Tag erwischt. Sie ist aufgeregt, wirft den Kopf hin und her und knirscht laut mit den Zähnen. Als aber der erste Ton sanft durch die Luft im Haus Mühlbach schwingt, wird sie ganz ruhig und lauscht mit überraschtem Blick. Alle Anwesenden wenden jetzt die Köpfe und schauen fasziniert auf die Hände von Karin Potthoff. Darin vibriert die Klangschale noch immer und schickt einen dunklen Ton vibrierend in den Raum. Das Projekt Klangschalen hat begonnen.
Die meisten Teilnehmer sind Bewohner. Aber auch Angehörige haben sich im Haus Mühlbach des Ev. Pertheswerkesin Heeren-Werveversammelt. Entspannung verspricht das ungewöhnliche Projekt. Klangmeditationen und Phantasiereisen stehen an insgesamt vier Terminen auf dem Programm. Mitmachen kann jeder, der Lust auf ein Kennenlernen mit Klangschalen hat. Karin Potthoff kennt sich damit aus. Sie ist Klangexpertin, dabei auf Demenzerkrankungen spezialisiert und außerdem Heilpraktikerin. Warum also nicht sich einfach mal einlassen auf etwas Neues?

Tom war jedenfalls bereits mit Feuereifer dabei, als er das erste Mal von diesem neuen Projekt gehört hat. Mit einem breiten Lachen sitzt er in seinem Rollstuhl und ist voller Vorfreude. Schon als die Klangexpertin eine erste Kennenlern-Runde unternimmt, ist er völlig aus dem Häuschen. Auch er darf die Klangschale anfassen, während Karin Potthoff mit dem Klöppel an die bronzen schimmernde Wand schlägt und sanfte Vibrationen den Klang begleiten.

Claudia weiß dagegen nicht so genau, was sie eigentlich erwartet. Ihr Gesicht schaut etwas skeptisch aus dem Liegerollstuhl hervor. Fast ein wenig erschrocken blickt sie, als ihre sonst immer so verkrampften Hände in das warme Wasser der Schale getaucht werden. Dann erklingt wieder ein Ton und schlägt regelrecht Wellen, die durch die Fingerspitzen hinauf bis in den Kopf kriechen. Das ist der Moment, der Claudias Finger entspannen lässt und ihr ein breites Lachen auf die Lippen zaubert. „Das ist jetzt aber wirklich faszinierend“, flüstert eine Helferin und freut sich mindestens genauso.

Als nächstes steht Anspannen und Entspannen auf dem Programm. Die Zehen werden zusammengekrallt, die Füße zu den Knien gezogen, das Gesicht geknautscht und die Oberschenkel ausgeschüttelt. Jetzt sind alle entspannt genug, um mit auf eine klangvolle Reise zu gehen. Alle Klangschalen auf dem Boden, die großen und die kleinen, schicken wundervolle Musik in den Raum. Jeder darf auf einen Teppich steigen, in die Luft steigen und über das Meer hinweg an einen weißen und warmen Strand fliegen. Fast scheint der Sand aus den Füßen zu rieseln, als alle entspannt wieder im Haus Mühlbach ankommen. Mancher hat sogar ein ausgiebiges Schläfchen unterwegs genossen.

Ein wohliges Stöhnen entfleucht sogar Sarah, als zum Abschluss die Schildkröte Jola auf ihrem Bauch Platz nimmt und durch ihren weichen Körper die Vibrationen der Klangschale durch jede Nervenbahn zu schicken scheint. Selbst Günter ist überrascht. Er kennt die Klangschalen bereits aus der Werkstatt. Dass sie hier zu spannenden Ausflügen einladen und so entspannen, dass auch ihm die Augen zugefallen sind, hat er so nicht erwartet.

„Das war ganz großartig“, waren sich alle Teilnehmer einig. Sie werden wiederkommen, wenn Karin Potthoff wieder ihre Klangschalen aufbaut. Die nächsten Termine sind am 26. Februar um 16 Uhr, am 5. März um 16 Uhr und am 12. März um 10.30 Uhr. Eines ist jedenfalls jetzt schon garantiert: Es wird auch die nächsten Male einige Überraschungen geben – und wieder viele glückliche wie entspannte Gesichter.