André und Patricia Brust freuen sich jetzt schon auf den Einzug in ihr neues, hochindividuelles Eigenheim. Wie man sieht, steht bis dahin noch jede Menge Arbeit sprichwörtlich "ins Haus". Fotos: Alex Grün für KamenWeb.de
von Alex Grün
Nicht ohne Besitzerstolz blickt André Brust durch ein freigelegtes Holzgeflecht in der Wand, das den Blick zur ehemaligen Schuhmacherwerkstatt und späteren Küche freigibt. Diese Stelle in der Wand, die vor rund 350 Jahren entstanden sein dürfte, soll nach seiner Planung so bleiben wie sie ist. Drumherum kommen Lehmsteine.Kamen. Es soll ein wahres Kleinod von einem Baudenkmal werden, mitten im Herzen von Kamen und möglicherweise auch der Öffentlichkeit zugänglich: das Haus Markt 9, direkt an der Ecke zum Koepeplatz, ist noch wesentlich älter als das Zeitalter der Renaissance - nun steht es sozusagen vor seiner eigenen, auch wenn der Weg dahin noch weit ist.
Erstmals urkundlich erwähnt wurde das Gebäude 1736, der Zeitpunkt seiner Errichtung dürfte allerdings um einiges früher, so um 1670, liegen, räumt sein neuer Besitzer André Brust ein, der gemeinsam mit seiner Familie mittlerweile seit März mit der Mammutsanierung beschäftigt ist. Damit dürfte es nicht nur das älteste Haus im Markt-Ensemble, sondern eines der ältesten in Kamen überhaupt sein. Die Jahrhunderte haben ihre Spuren hinterlassen, immer wieder wurde umgebaut, erweitert und teilweise mehr oder weniger fachgerecht ausgebessert, was teils zu skurrilen Notbehelfen geführt hat, an denen über Dekaden hinweg nichts verändert wurde - Provisorien halten bekanntlich am längsten. Die Stromleitungen, die im Zuge der Übernahme des Hauses sozusagen als "erste Amtshandlung" entfernt wurden, sind das beste Beispiel dafür. Das sei schon eine "abenteuerliche Konstruktion" gewesen, schmunzelt Brust - und auch nicht ganz ungefährlich, wobei er nicht ins Detail gehen will. Der größte Restaurationsbrocken dürfte indessen die Wiederherstellung der Außenwände sein. Die Fachungen bestanden Eine längst vergessene Tür im Obergeschoss war irgendwann zugemauert worden und verbarg sich hinter einem Wandschrank. Die unsachgemäß gesetzte Türzarge verrät, wie viel im Laufe der Jahrhunderte in diesem Haus improvisiert wurde - gehalten hat's trotzdem bis zum heutigen Tag.überwiegend aus hellen Feldbrandsteinen, die nach Jahrhunderten durch Frost und Wärme zerbröselt sind. Sie werden durch Lehmsteine ersetzt. Das eichenhölzerne Balken-Skelett des Hauses wird von den neuen Eigentümern eigenhändig Stück für Stück mit eigens von einem Fachbetrieb angefertigten Lehmsteinen zugemauert. Das entspricht nicht nur den Denkmalschutzvorschriften, sondern ist gleichzeitig praktisch. Lehm reguliert nämlich die Feuchtigkeit, wodurch die Holzbalken trocken bleiben. "Lehm kann Unmengen von Wasser speichern, ohne dass sich die Steine bei Feuchtigkeit nicht aus", erklärt Brust. Allerdings könne man erst nach zwei Wintern den Außenputz anbringen und dann sicher sein, dass er nicht durch das Trocknen von Holz und Lehm reißt. So wird das Haus in den nächsten beiden Jahren also noch in seinem puren Lehmfarbton dastehen, bevor es mit Kalkputz in ein neues, weißes Gewand gehüllt wird - bislang war es dunkelgrün. Der alte Lehmputz der Innenwände wird, mit frischem gemischt, wiederverwendet. Dies ist ebenso Teil der angestrebten Erhaltung der ursprünglichen Bausubstanz, wie etwa die Weiterverwendung der alten Frontfenster im hinteren Bereich des Anwesens, die durch baugleiche, aber moderne Exemplare ersetzt werden. Ähnliches soll mit den Fenstern zur Ostseite geschehen - der Denkmalschutz sieht's gerne.
Der Garten des rund 500 Quadratmeter umfassenden Anwesens, das zum Koepeplatz mit einer mächtigen Mauer abgegrenzt wird, wirkt zurzeit noch ziemlich "verwunschen" - auch wenn er auf der To-Do-Liste relativ weit hinten steht, wird auch hier demnächst "Meister Propper" einziehen. Auch ein großzügig angelegter Swimmingpool, in dem schon seit Ewigkeiten keine Bahnen mehr gezogen wurden, wartet am Rande auf seine Wiederinbetriebnahme.Die nächste große "Baustelle in der Baustelle" ist die Deele, beziehungsweise deren Tor, das an der Ostseite des Gebäudes nach Hunderten von Jahren erstmals wieder zum repräsentativen Dreh- und Angelpunkt des einstigen Ackerbürgerhauses werden soll. Denn wo einst ein stolzes Deelentor bis zum Abschluss des ersten Deckenbalkens ragte, ist seit Ewigkeiten eine schlichte Eingangstür eingebaut, die möglichst durch ein verglastes Tor ersetzt werden soll. Hinter dem noch unscheinbaren Eingang verbirgt sich ein Raum, der vor ziemlich genau 176 Jahren angebaut worden sein muss und einst von der Schuhmacher- und Ackerbürgerfamilie Münstermann (später Benninghofen), in deren Besitz das Gebäude über sieben Generationen hinweg war, als Werkstatt, Lager und Viehstall genutzt wurde - die gut erhaltene Inschrift im Gebälk gibt deutliche Hinweise auf diesen Teil der langen Geschichte der Immobilie. Dieser Raum wurde zwischenzeitlich mit Innenwänden unterteilt, André Brust freut sich als frischgebackener Baudenkmalbesitzer jetzt schon auf die Inbetriebnahme der antiken Pumpe im Garten - auch sie muss erst einmal generalüberholt werden. Im Hintergrund ein Anbau, der als Werkstatt genutzt werden soll. Direkt nebenan: ein Wintergarten aus den Neunzigern - ein Wohnobjekt, zusammengewürfelt aus dreieinhalb Jahrhunderten...die demnächst entfernt werden, ebenso wie die Decke. Nur deren Trägerbalken bleiben, wo sie sind, um darauf später möglicherweise eine Galerie über dem rund 30 Quadratmeter großen Raum zu installieren. Von dort aus könnte demnächst sogar Publikum nach unten auf die Deele schauen, denn André Brust und seine Familie, die sich für Kunsthandwerk und Musik aus dem Mittelalter begeistern, planen, diesen Raum - wenn er denn irgendwann fertig ist - als offene Werkstatt und Veranstaltungsstätte zu nutzen. Als Entree soll das neue Deelentor erstrahlen, das zwar in den letzten 150 Jahren nicht vorhanden war, aber aus denkmaltechnischer Sicht trotzdem passt: der Denkmalschutz trägt in diesem Fall mehreren Epochen Rechnung, die das Haus seit Ende des 17. Jahrhunderts miterlebt hat. Für den Ausbau der Deele wird ein Antrag auf eine entsprechende Landesförderung gestellt. Doch das ist noch Zukunftsmusik. Die Brusts sind erst einmal froh, wenn sie im kommenden Frühsommer in die vorderen Räumlichkeiten ihrer neuen Residenz einziehen können. Bis dahin gibt es noch alle Hände voll zu tun, denn jeder einzelne Raum hat es sprichwörtlich in sich. Allein schon die Überreste von Zeitungen, die anno Tobak als Haftfläche für Tapeten auf den Lehmputz innen aufgetragen wurden, sprechen in ihrer Sütterlin-Schrift Bände davon, welch ungeheuren historischen Hintergrund das Gebäude in sich birgt - und entsprechende bauliche Überraschungen.
Professionellen Hintergrund im Bauwesen bringen der Physiker und die Finanzbuchhalterin, die mit Sohn Christopher im nächsten Jahr einziehen wollen, nicht mit, wohl aber einiges an Fachwissen, das sie sich als Liebhaber von Fachwerkhäusern im Laufe der Jahre angeeignet haben. Das allermeiste an dem "Feierabend- und Wochenend-Projekt" wird - auch abhängig von der Wetterlage - sozusagen als "Familien-Kolonne" erledigt, vom Teilabriss von Außen- und Innenwänden über das Mauern bis hin zur Verlegung der Wandheizungen und Aufbringen des Lehmputzes. Auch die älteren, schon erwachsenen, Kinder helfen mitunter tatkräftig mit. Einzig Elektrik, Heizung, Sanitärbereich und Gebälk werden Fachfirmen überlassen, zu denen die Familie mittlerweile einen genauso guten Draht hat, wie zu den Denkmalbehörden in Kamen und in Münster. "Viele Erwerber von Baudenkmälern haben Bedenken vor Auflagen seitens des Denkmalschutzes", so Patricia Brust. Sie selbst hätten genau das Gegenteil erlebt, schwärmt sie von der konstruktiven Zusammenarbeit mit den Denkmalschutzbehörden. Von einigen Plänen hätten sie gar nicht erwartet, sie überhaupt umsetzen zu dürfen. Statt Knüppel zwischen die Beine seien von der Aufsichtsbehörde Verständnis und Beratung gekommen. Die bisher in Dortmund ansässigen Fachwerkhaus-Fanatiker erwarben das Objekt nach längerer Suche über befreundete Kontakte zu einem erschwinglichen Preis, allerdings verschlinge die Sanierung schätzungsweise noch einmal drei Viertel der Summe des Kaufpreises, kalkuliert André Brust. Aber nicht nur er und seine Familie, sondern auch Denkmalschutzinstanzen und Nachbarn gehen schwer davon aus, dass sich diese Investition lohnen wird und die Marktkulisse künftig auch auf der östlichen Südseite an Chic gewinnt. Eines ist den Wohn-Individualisten allerdings jetzt schon klar: "Fertig wird das hier nie", lacht Patricia Brust. Denn ein Haus dieser Altersklasse ist und bleibt eine Dauerbaustelle, die aber mit einem guten Draht zu den lokalen Fachfirmen und viel Tatendrang zu bewältigen sei - und an beidem mangelt es den neuen Denkmalbesitzern nicht.
Ein Blick aus der ersten Etage auf den Markt. Im ersten Stockwerk muss noch die komplette Wand hochgezogen werden. Diese wird, ebenso wie in den letzten dreieinhalb Jahrhunderten, aus Lehmsteinen bestehen.