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Bildung oder Biotop? Geteilte Meinungen zum Schulgarten des Gymnasiums

Geschrieben von Redaktion am . Veröffentlicht in Kommunalpolitik

schulgarten22KWDas Schulgarten-Biotop am Gymnasium ist ein Hemmschuh für den Bau des aus Platzgründen dringend benötigten Anbaus auf der Nordostflanke des Gebäudes. Foto: Archiv KamenWeb.de

von Alex Grün

Kamen. Wasch mich, aber mach' mich nicht nass - so ungefähr könnte das Fazit der letzten Sitzung des Schul- und Sportausschusses des Rates der Stadt Kamen lauten, an der auch rund 50 interessierte Bürger und Bürgerinnen im Zuschauerbereich der Stadthalle teilnahmen. Beim Thema Gymnasiums-Schulgarten, das den Großteil der zweieinhalbstündigen Sitzung beanspruchte, kollidieren die beiden prestigeträchtigen Schlüsselthemen Umwelt und Bildung in den Meinungen innerhalb der Kamener Schullandschaft schon seit Monaten und sorgten auch im Ausschuss für ein argumentatives Patt, aus dem sich letztlich auch die Grünen-Fraktion nicht herausreden konnte. Ein erweitertes Artenschutzgutachten soll hoffentlich bald bei der Entscheidungsfindung für die Umsetzung von Anbau und Sanierung helfen.

Bildung oder Biotop? Beides auf dem Gelände des Gymnasiums übereinzubringen, gestaltet sich schwierig. Bei allem Zwiespalt, was den Erhalt des Schulgartens betrifft, sind sich die Ratsfraktionen zumindest in einer Sache einig: Eine Sanierung und Modernisierung des Schulgebäudes ist alternativlos. Und eins ist schon aus sicherheitstechnischen Gründen auch klar: "Wir müssen an die Fassade", wie Bürgermeisterin Elke Kappen im Ausschuss mehrfach betonte. Daran gehe kein Weg vorbei, denn ansonsten könne demnächst ohnehin niemand mehr den Schulgarten betreten, so Kappen. Der Sichtbeton am Gebäudeteil E müsse auf jeden Fall abgetragen werden, das gehe aber nur mit schwerem Gerät, das auf das Gelände des Schulgarten-Biotops geschafft werden müsse und damit wahrscheinlich zu dessen weitgehendem Niedergang führen werde. "Ansonsten müsste schon mit Hubschraubern gearbeitet werden", erläutert die zuständige Architektin Henrike Thiemann vom Büro G&W. Alternativen seien auch mit Blick auf den Erhalt des Biotops reichlich erörtert worden, eine Gebäudeaufstockung sei aus statischen wie finanziellen Gründen praktisch unmöglich. Und der Anbau muss her - denn spätestens, wenn das Gymnasium im Schuljahr 2023/2024 seine Klassenzüge von G8 auf G9 herauffährt, wird dringend zusätzlicher Platz gebraucht. Die Fertigstellung des Anbauprojekts ist indessen erst für 2027 vorgesehen - die Zeit drängt also sozusagen doppelt, denn auch die Baukosten werden mit Blick auf die galoppierende Inflation im Bauwesen absehbar sicherlich nicht geringer.

Trotzdem dauerte die Diskussion um den Erhalt des Schulgartens fast zwei Stunden, der, wie Gymnasiumsleiter Lars Wollny nach Rücksprache mit allen Kollegen und dem Schulamt versichert, nach den Ansprüchen der aktuellen Lehrpläne nicht nutzbar sei, da dort keinerlei zur Ernte tauglichen Pflanzen wachsen und es daher definitionsgemäß kein Schulgarten sei, sondern ein Biotop. Man könne diese Begrifflichkeiten nicht voneinander trennen, ist sich Hans-Joachim Haupt sicher, der eben dieses Biotop bis vor sieben Jahren noch als Biologie-Pauker am Gymnasium hegte und pflegte. Er sehe durchaus den pädagogischen Wert der 54 Jahre alten Anlage die, wie der Kamener Artenschutzexperte Dr. Götz Heinrich Loos im Ausschuss betonte, mehr als 600 Pflanzenarten beherberge, von denen einige kreisweit nur an dieser Stelle gediehen. Haupt könne sich vorstellen, den benötigten Anbau daher weiter südlich zur Nordenmauer hin zu verlagern. Schließlich habe sich die Stadt im Zuge des Stadtentwicklungskonzepts zum Erhalt biodiverser Flächen verpflichtet - "wo bleibt diese Verpflichtung, wenn es konkret drauf ankommt?", fragt der promovierte Biologe Loos. Ein weiterer Artenschutzexperte aus den Reihen der Bürgerschaft, Wilfried Loos, erklärte, er erwarte eine massive und überregionale öffentliche Debatte, die Stadt habe mit dieser Disskussion "in ein Wespennest" gestochen. SPD-Ratsherr Gökcen Kuru wies indessen auf die Möglichkeit hin, rettbare Pflanzen auf dem Gelände der Gesamtschule unterzubringen beziehungsweise zu "parken", Schulleiterin Nicole Ludwig habe bereits ein entsprechendes Angebot signalisiert. Auf diese Weise könne das Biotop nicht nur in Teilen gerettet, sondern auch in der Heimatstadt verbleiben, statt etwa in den Botanischen Garten in Münster verbracht zu werden.

Gewartet wird jetzt zunächst auf die Ergebnisse eines unabhängigen, erweiterten Artenschutzgutachtens, das die Stadt im Zuge der Planung in Auftrag gegeben hat und das sich explizit auf das Schulgarten-Biotop beziehen soll. Bis dahin ist für SPD-Fraktionschef Daniel Heidler erst einmal klar, dass es bei der bisherigen Planung bleiben soll: "Alle Fraktionen sprechen sich letztlich für die Notwendigkeit des Anbau- und Sanierungsprojektes aus, insofern ist der Auftrag an die Verwaltung klar", fasste Heidler die Gesamtsituation zusammen - und bekam dafür noch nicht einmal von der Grünen-Fraktion Widerspruch.

Der geplante Anbau am Gymnasium, der die Gebäudeteile E und C auf der Nordflanke mit einem sogenannten Ringschluss verbinden soll, soll eine zusätzliche Fläche von 1800 Quadratmetern bringen, verteilt auf zwei Bio-Räume und einen Sammlungsraum im Erdgeschoss, zwei Physikräume plus Sammlung im ersten Stock und das gleiche noch einmal im zweiten. Auch die bislang im Außenbereich angesiedelten Schülertoiletten für diesen Bereich sollen aus Sicherheits- und Komfortgründen künftig im Inneren des Anbaus zu finden sein. Vom Erdgeschoss des Anbaus aus soll es durch einen Gang weiter in den Bauteil E auf der Südost-Seite gehen, wo auf insgesamt knapp 1000 Quadratmetern im Erdgeschoss eine neue und moderne Schulbücherei und im Obergeschoss eine "Lehrerlandschaft" mit acht komfortablen Räumen und zwei WC-Anlagen entstehen sollen - nicht zuletzt, um Anreize für dringend benötigte neue Kollegen zu schaffen. Ein sogenanntes "Knie" auf der südwestlichen Flanke, das auch diesen Teil des Gebäudes sozusagen von der Außenwelt absperren und das Gelände damit vandalensicher machen würde, ist von den Architekten als Option vorgesehen, die allerdings entsprechend kostet: 26,8 Millionen Euro teuer ist die aktuelle Planungsvariante, im Falle eines "Knie"-Anbaus wäre jedoch eine Umlagerung des Schulbetriebs in eine Containerlandschaft nötig. Alles in allem würde diese Variante insgesamt 47,6 Millionen Euro kosten, von denen allein acht Millionen für die naturwissenschaftlich ausgelegten Spezialcontainer draufgehen würden - die nach der Fertigstellung des Gebäudes keinerlei Mehrwert mehr hätten. Nicht zuletzt deshalb habe sich die Verwaltung an die Vorschläge der Architekten gehalten, erklärte Bürgermeisterin Elke Kappen.