Musikkritik: Chor- und Orgelkonzert des Evangelischen Kammerchors und Orgelimprovisationen: Aus dem Vollen geschöpft
von Dr. Götz Heinrich Loos
Kamen. Zugegeben, es ist schon ein paar Tage her, der Tag der Deutschen Einheit. Nichtsdestotrotz war das "Reisekonzert" des Evangelischen Kammerchors in der Pauluskirche zu bedeutsam, als dass man es ganz "schlabbern" sollte. Aber neben passender Zeit zur Niederschrift brauchte ich auch einige Tage Besinnung, um den Nachklang auf mich wirken zu lassen. Denn die Auswahl der Werke in dieser Zusammenstellung war ziemlich außergewöhnlich - und Improvisationen über die Werke in drei Blöcken durch den gefeierten Organisten der katholischen Kirche Lukas Borgschulte setzte dem noch die Krone auf.
Der erste Chorblock umfasste "Exultate justi" von Ludovico Viadana aus dem 16./17. Jahrhundert, gefolgt vom großen zeitgenössischen Kirchenmusikkomponisten John Rutter: "God be in my head". Schließlich wieder ein Sprung rückwärts: Der nicht minder große Komponist der englischen Reformationszeit Thomas Tallis überschnitt sich zeitlich mit Viadana zwanzig Jahre, starb aber dann 1585: "O nata lux". Allen drei Werken gemeinsam ist eine gewisse Strahlkraft, mal stärker, mal schwächer - aber insgesamt mit einer bejahenden Aussage, die die Musik unterstützt. Der Evangelische Kammerchor Kamen unter Leitung von Kirsten Schweimler-Kreienbrink meisterte alle drei Werke mit Perfektion und kraftvoll-warmem Ausdruck. Bei den Improvisationen setzte Lukas Borgschulte prinzipiell genau beim letzten Lied ein und verarbeitete das musikalische Material aller drei Chorstücke in einer Weise, dass daraus eine Orgelfantasie entstand, bei der letztlich Bruchstücke aller Werke miteinander verwoben und variiert wurden. Daraus entstand zeitweise ein scheinbares Kontinuum mit leichten "Minimal Music"-Anklängen. Sehr interessant und ansprechend gestaltet!
Ein zweiter Block galt zwei norwegischen Komponisten: Der Spätromantiker Edvard Grieg mit "Wie bist du doch schön" und dann der (lebende) noch ziemlich junge Ola Gjeilo mit "Ubi caritas" und seinen schon weiter bekannt gewordenen "Northern lights" bzw. "Pulchra es, amica mea". Auch hier handelt es sich um - förmlich - ausgesucht schöne Lieder, die die Liebe zu Jesus und der Tochter Jerusalems inniglich beschreiben, manchmal fast glühend. Dem Kammerchor gelangen diese süßen Herausforderungen; ja, sie schöpften aus dem Vollen und brauchten gesanglich keine Bedenken haben - nun gut, der Sopran schrappte in den hohen Lagen vereinzelt hart am Rande des Tonhaltens, letztlich gelang es ihneen aber dann meistens doch. Und wieder Orgelimprovisationen, mit manchmal fast dramatischem Duktus, aber wieder ein Reigen von Melodien beider Werke.
Es folgten drei Lieder aus Schweden, von denen das erste auch sonst bei Chören etwas bekannter ist: "Limu, limu lima", sonst noch "Ljusa kvällar om varen" und "Österlensvisan (Ge mig en dag)". Natürlich gut für die Schwedenreise des Chores und auch in schönen, stabilen Interpretationen. Nochmals eine Orgelimprovisation, etwas collagenhafter als die vorigen, aber ebenfalls sehr reizvoll und gelungen.
Dann schließlich drei (von vier) Motetten des US-"Nationalkomponisten" Aaron Copland (der sich selbst eine solche Bezeichnung wohl verbeten hätte). Diese wieder sehr prachtvoll, in der Anlage her fast von orchestralem Charakter in der Stimmverteilung. Darüber hinaus haben Coplands Motetten, die man als Kirchenwerke ernst nehmen sollte, einen "Schmelz", der sehnsuchtsvoll ist, jedenfalls spätromantisch. Der Evangelische Kammerchor ließ sich darauf gänzlich ein, schöpfte wieder aus den Vollen und lieferte drei kraftvoll-glänzende Interpretationen ab, die so gefällig waren, dass zurecht eine Zugabe verlangt wurde. Es kann nicht oft genug wiederholt werden: Fördert die Kirchenmusik! Diejenige des Evangelischen Kammerchores Kamen verdient es definitiv!