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Musikkritik: 3. Sinfoniekonzert: „Ein deutsches Requiem“ mit Tiefgang und Gefühl

am . Veröffentlicht in Musik

Pixabay.comvon Dr. Götz Heinrich Loos

Kamen. Die Popularität des „deutschen Requiems“ von Johannes Brahms ist enorm. Andreas Kosinski, Bratscher der Neuen Philharmonie Westfalen und Vertretung von Roland Vesper im Einführungsvortrag, las am gestrigen Sonntag in der Konzertaula eine Kritik vor, die anlässlich einer der ersten Aufführung entstand – und die brachte es schon in allen Facetten so hervorragend auf den Punkt, dass es keiner weiteren Ergänzung bedarf. Der Rezensent kann lediglich seine eigene Wertschätzung des Werkes ausdrücken, ein echtes „Lieblingsstück“. Die Zielrichtung des „deutschen Requiems“ beeindruckt nicht minder: Brahms, der hier als geborener Protestant schon sich immer weiter von der Kirche entfernt hatte, bediente sich doch Bibeltexten für sein Werk, allerdings selbst gewählten (nicht denen der katholischen Requien) in deutscher Sprache – um damit die Hinterbliebenen zu trösten. Seine Textauswahl war genial und ist verbunden mit einer nicht minder genialen Musik. So darf es nicht verwundern, dass das „deutsche Requiem“ in mehr oder weniger geringen Abständen in Kamen aufgeführt wird.

Das Novemberkonzert der Neuen Philharmonie Westfalen in Kamen wird traditionellerweise ergänzt durch den Oratorienchor der Stadt Kamen und den Chor der Konzertgesellschaft Schwerte, stets unter Leitung ihres musikalischen Chefs Franz-Leo Matzerath. Schon am Vortag gab es deshalb eine Aufführung im „Freischütz“ in Schwerte – wie es eben auch bereits lange Tradition ist. Die große Chorgemeinschaft nimmt auf der Bühne beeindruckend viel Raum ein – damit war klar, dass man große und mächtige Klänge erwarten konnte. Als Solisten kamen noch Anja Eichhorn (Sopran) und Michael Dahmen (Bariton) hinzu.

Man kann es sich einfach machen und schon vorab für die gesamte Aufführung schreiben: Überwältigend! Alle Beteiligten gaben zweifellos ihr Bestes und hinsichtlich der großen Chorgemeinschaft: Sie verband Ausdrucksfülle, musikalisch-gesanglichen Tiefgang, war sehr ansprechend für Emotionales und professionell dynamisch. Beim Auseinandernehmen der einzelnen sieben Teile lassen sich aber doch noch Unterschiede ausmachen. So ist über die Teile I („Selig sind, die da Leid tragen“) und II („Denn alles Fleisch, es ist wie Gras“) fast nur Lobendes zu sagen – ja ein Lob wird dieser Professionalität, mit der die Chöre überzeugten, wieder einmal nicht gerecht. Diese Melodien und ihre Ausführung, ihre Wiedergabe mit Worten zu beschreiben, ist eine unangemessene Technokratie.

Zwei Ansatzpunkte für Kritik gibt es aber doch noch: 1.: Die Orchesterbesetzung, im Besonderen die tiefen Streicherstimmen (Celli, Kontrabässe); sie konnten in dieser kleinen Besetzung oft nur wenig Gegengewicht zu den hellen Klängen der Violinen und der mittleren Lage der Bratschen bieten – schade! Denn der Klang wäre anderenfalls noch vollkommener geworden. Jedoch wiederum zugegeben: Der Klang war trotzdem meist mehr als ansprechend; nur kleinere Abschnitte litten an der Celli-Bass-Unterbesetzung.  2.: „Die Erlöseten des Herrn…“, der letzte Abschnitt von Teil II, war etwas unbändig, temporeich – zwar sehr gut, ausgesprochen gut, hervorragend! – aber doch fehlte etwas, um die einzelnen Passagen runder, anschmiegsamer zu gestalten.

Teil III („Herr, lehre doch mich“) brachte erneut einen herausragenden Michael Dahmen, der seine Partien kraftvoll und angemessen dramatisch vortrug. Auch Chorgemeinschaft und Orchester waren zweifellos gut, aber das Orchester hätte etwas zurückgenommen werden sollen; mitunter gab es Übertönungen von Solist und Chören, wo es nicht angemessen erscheint. Teil IV („Wie lieblich sind deine Wohnungen“) andererseits war gänzlich überzeugend und anrührend. Mit Teil V („Ihr habt nun Traurigkeit“) kam Anja Eichhorn mit ihrer Sopranpartie nach vorn auf die Bühne. Dieser Gesangspart wird oft mit sehr lieblich-weichen Stimmen besetzt, die den zwischen heiter und melancholisch schwankenden Satz so berührend präsentieren, dass fast die Tränen fließen. Anja Eichhorn sang anders: voller Kraft, eher etwas schmetternd, oft wie durch Trauer flatternd, dann kräftigst flehend. Ob dieses oder jenes angemessener ist, vermag ich nicht zu beurteilen – beides kann angemessen sein, wenn man es hört und in jeweils einer oder einer anderen Stimmung ist. Es passte jedenfalls und Anja Eichhorns Stimme passte für die eher traurige, hoffend-flehende Gemütslage – aber in dieser Hinsicht jedenfalls ausgezeichnet.

Teil VI („Denn wir haben hie keine bleibende Statt“) wäre ich anders angegangen; wie in einer früheren Besprechung des Werkes wiederhole ich hier, dass ich diesbezüglich eine Aufführung unter Karajan für maßstabsgebend halte, bei der der Chor langsam-murmelnd schreitet, viel mysteriöser als das marschartige Tempo, das Matzerath hier vorgab – aber auch das regelte sich: die Strophen nach der ersten Einschaltung des Baritons wurden schon entscheidend langsamer und entsprechend mysteriöser, beeindruckender gestaltet. Im VII. Teil wird abschließend ganz deutlich, dass die Toten ruhen und ihre Werke ihnen nachfolgen (Offenbarung 14, 13) und so Trost für die Hinterbliebenen gefunden werden kann. Und dieser Teil wurde genauso gebracht, wie ich ihn für angemessen halte: Mit Sanftheit, Gütigkeit ausstrahlend, dabei strahlend und hoffnungsvoll (dies aber nicht übertrieben!) – auch wenn ein ewiges Leben nicht unbedingt in Aussicht steht. Da kann man nur höchste Anerkennung zollen und den beiden Chören und ihrem Leiter – sowie natürlich auch der Neuen Philharmonie Westfalen – ein professionelles Niveau bescheinigen, das den Applaus am Ende mehr als verdient hatte. Einziger Nadelstich: Fast ganz zum Schluss gerieten die Soprane etwas aus den Fugen und starben in den höchsten Lagen etwas ab; das war aber schnell bereinigt und das grandiose Finale war fast geschafft.