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Musikkritik: Geistliche Abendmusik: Überirdische Gesänge und virtuose Klavierdarbietung

am . Veröffentlicht in Musik

Pixabay.comvon Dr. Götz Heinrich Loos

Kamen. Am Ende des Kirchenjahres gibt es in der Pauluskirche stets eine musikalische Andacht, die für Liebhaber geistlicher Musik mit mancherlei interessanten Werken aufwartet - so auch an diesem Ewigkeitssonntag, als die Evangelische Kantorei, die Jugendkantorei und ein Projektsingekreis unter Leitung von Kirsten Schweimler-Kreienbrink ein solches Programm vortrugen. Begleitet wurde die Chorgemeinschaft am Klavier von Svetlana Svoroba, die auch einige Werke solistisch spielte. Neben Werken von Romantikern (Mendelssohn, Mussorgskij, Tschaikowskij, Chopin, Debussy) waren es solche von Kirchenmusikkomponisten unserer Zeit (Wallrath, Quigley, Nagel, Christill, Klever) sowie Gesänge aus Taizé, die zu hören waren. Zwischendrin gab es Lesungen von Pfarrer Andreas Dietrich und fast abschließend einen Segen.
Das erste Chorwerk war schon zutiefst beeindruckend: Klaus Wallraths Kanon „Herr, erhöre mein Gebet“ wurde äußerst professionell interpretiert; von seiner Anlage her ist es schon ein tief beeindruckendes, sehr emotional ansprechendes, tiefgehendes  Werk mit etwas konservativer Strukturierung, das die Chorgemeinschaft – alle drei oben erwähnten Chorgruppen – hier mit Perfektion, absoluter Synchronizität und beeindruckender Dynamik meisterte. Nicht minder beeindruckend, aber völlig anders in Struktur und Ausdruck, war Anne Quigleys „Da wohnt ein Sehnen tief in uns“ – abweichend durch eine größere, auf die Passung für die Stimmen ausgerichtete Freiheit in der Gestaltung – man könnte sagen, ein echtes Kirchenlied, auch für das Singen in Zeltlagern und dergleichen; dennoch sehr anrührend. Und hier interpretiert durch die vier jungen Damen der Jugendkantorei – die ihre Sache herausragend machten in Technik und Ausdruck, da war nichts Unsauberes zu hören, sondern eine bestens gelungene Einstudierung.
Alle drei Chöre meisterten dann den Taizé-Gesang „In te confido“ („Jesus Christus, auf dich vertraue ich“). Die Musik aus Taizé ist durch ihre multiple Motivwiederholung gekennzeichnet, die oft den Charakter eines in seinen einzelnen Parts schnell hintereinander folgenden Kanons hat und erzeugt dabei wunderbare, überirdische Klänge, die hier in bester Perfektion und Eindrücklichkeit vorgetragen wurden.
Svetlana Svoroba, Pianistin, die als Musikpädagogin sehr viele Projekte gemacht hat und macht (aber – das sei hier nicht verschwiegen – als „Tastenfachkraft“ der „Bullemänner“ wohl am bekanntesten ist), spielte Mussorgskijs „Une larme“ (= eine Träne) op. posth. 70/18 mit der gebotenen Melancholie, ebenso danach Tschaikowskijs „Chanson triste“ op. 40,2 mit der dem Komponisten eigenen Verzweifelungs-Traurigkeit, technisch perfekt und so gefühlvoll wie nötig.
Matthias Nagels „Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen“ zum Psalm 121 wird als „Ballade“ bezeichnet – und tatsächlich ist es das auch: Zart, aber nicht unbelebt, wird die Musik dem Inhalt angepasst, anders als Mendelssohns entsprechendes Terzett aus dem „Elias“ (allerdings mit der Aufforderung „hebe deine Augen auf…“), aber doch auch mit der Berührung einer Zurückgenommenheit und stilleren Bewegtheit. Wiederum gelang es, hier dem Singkreis (einem gelungenen Projekt, wie es schien!), mit bester Aufführungswürdigkeit und musikalischer Perfektion. Die Kantorei folgte mit „Wirf dein Anliegen auf den Herrn“ von Mendelssohn (aus „Elias“); es gelang den Vortragenden hier bestens die feinen Nuancen und Schattierungen herauszuarbeiten, die der Komponist gesetzt und an denen er ohrenscheinlich bei Blick auf sein Gesamt-Chorwerk reizvolle Freude hatte.
Noch ein Gesang aus Taizé: „Confitemini Domino“ („Vertraut dem Herrn, denn er ist gütig. Halleluja“) – keine Abstriche gegenüber den bereits getätigten Ausführungen, eher noch etwas Positives hinzu: hierbei fiel die sehr gute Verständlichkeit der Worte im Gesangsvortrag auf, was grundsätzlich beim Singen eine große Rolle spielen sollte, aber meist in der Realität nicht spielt.
Svetlana Svoroba interpretierte dann Debussys „Clair de lune“ – mit atemberaubender technischer Vollkommenheit und hier nun auch mit einer sehr ansprechenden emotionalen Ausdrucksfülle, was gewiss teilweise an der impressionistischen Anlage des Werkes lag (hier so stark wie in nur wenigen anderen Werken Debussys – ob die Interpretationen deshalb alle komponistengemäß sind, ist fraglich, aber bei „Clair de lune“ ist es so offensichtlich…).
Nochmals sehr die Gefühle ansprechend: Horst Christills „In deinen Händen steht die Zeit“ (mit Text von Eugen Eckert), vorgetragen von der Jugendkantorei – und nochmals bewies der Nachwuchs hier, dass er in Professionalität kaum den „Älteren“ nachsteht. Mendelssohn Bartholdy war noch zweimal zu hören: „Auf Gott allein will hoffen ich“ (Kantorei) und ganz zum Ende hin „Verleih uns Frieden“ (noch einmal alle drei Chöre). Dazwischen noch Peter Klevers (bzw. Text von Lothar Zenetti) „Sei unser Gott“, ein etwas beschwingtes Werk (so angemessen vom Singkreis interpretiert) – und nochmals Svetana Svoroba mit Chopins Nocturne Es-Dur op. 9,2 (einem breiten Kreis bekannt geworden ab den späten Achtzigern als Titelmelodie der „Nachtgedanken“ mit Hans Joachim Kulenkampff; daran muss zumindest ich immer denken – für einen Freund der Musik fast schon „blasphemisch“ ----), bestens!
Was bleibt also: Viel Lob und Anerkennung für alle Beteiligten; die Darbietungsprofessionalität der Kamener Kirchenchöre wurde erneut bestätigt (und ihnen bescheinigt, dass sie hinsichtlich der kirchenmusikalischen Aufführungsqualität sicherlich mit zu den besten in der Umgebung zählen); schließlich ein Extralob an die dezent kleine (aber hoffentlich ausbaufähige) Jugendkantorei, die bereits im Niveau den „ausgewachsenen“ Chören entspricht, was auch keine Selbstverständlichkeit ist.