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Was macht Mendelssohns "Elias" zu einem Gedenkzeit-Oratorium?

am . Veröffentlicht in Musik

elias1118GLGedanken und Kritikernotizen anlässlich einer kürzlichen Aufführung in der Konzertaula

von Dr. Götz Loos

Kamen. In der Tradition der großen geistlichen Oratorien Händels stehen die großen christlichen Gesangswerke von Felix Mendelssohn-Bartholdy. Unter deren sticht an Beliebtheit und Originalität der "Elias" besonders heraus. Dieses Werk wurde in Kamen mehrfach aufgeführt, zuletzt am 18. November in der Konzertaula. Es musizierte die bewährte Gemeinschaft aus dem Chor der Konzertgesellschaft Schwerte und dem Oratorienchor der Stadt Kamen gemeinsam mit der Neuen Philharmonie Westfalen unter Gesamtleitung von Franz-Leo Matzerath. Nach langer Überlegung, wie dazu eine Rezension aussehen könnte, kam der Gedanke, das Werk an sich anzuschauen, was seine Aussagen ausmacht und warum es an den Gedenksonntagen im November besonders geeignet scheint. Bei diesen Ausführungen soll stets ein Bezug zu dieser Aufführung hergestellt werden, ein bisschen Rezension - dies umso mehr als ich der Kritik des Kollegen Ehmanns im "Hellweger Anzeiger" teilweise widersprechen möchte.

Eigentlich ist "Elias" kein jahreszeitlich gebundenes Oratorium. Die Uraufführung in London (englische Originalfassung!) fand im August (1846) statt, übrigens mit überragender Resonanz beim Publikum. Die Geschichte ist in der Bibel nachzulesen, wenngleich der Librettist weitere Bibelstellen eingebaut hat und mit der Himmelfahrt des Elias noch nicht Schluß ist, sondern Lobpreisungen folgen und ein Ausblick auf das Erscheinen des Messias gegeben wird. Der Anfang kann in einen Bezug gebracht werden, wie er angesichts der Sommerdürre in diesem Jahr aktueller kaum sein könnte: Elias prophezeit eine tödliche Dürre, mit dem das Volk Israel bestraft werden soll, weil es sich vom Gott Jahwe oder Jehova angewendet hat und den Propheten Baals vertraut. Auf dieses unerwartete Eingangsrezitativ folgt die Ouvertüre, in der Mendelssohn meisterhaft die Dürre hörbar macht. Nun kann man sich über das Tempo streiten, in dem die Ouvertüre vorgetragen wird. Mir war der Anfang bei dieser Aufführung zu schnell; die öde, vertrocknete Landschaft sollte schleppender, breiter sein. Erst wenn aus der trockenen Landschaft die panische Verzweiflung der Menschen wird, sollte das Tempo zulegen. Insofern war der einsetzende Chor "Hilf, Herr!" dann zu langsam in dieser Interpretation. Aber bei den anderen Chorpartien waren keine Schwachheiten auszumachen, anders als es Rainer Ehmanns in seiner Kritik schreibt. Die Anrufung Baals war völlig angemessen vorgetragen - vor allem "Gib uns Antwort, Baal!" ging dynamisch und ausdrucksstark durch Mark und Bein, die schiere Verzweiflung bestens ausdrückend. Eine wichtige, bekannte Chorpartie ist das Acapella-Terzett "Hebe Deine Augen auf zu den Bergen" - der Chorteil, der hier sang, war mittig platziert und agierte in einer sagenhaften Geschlossenheit. Ganz ähnlich zuvor das "Denn er hat seinen Engeln befohlen" - die Süße dieser Nummer ist zwar kompositorisch angelegt, war aber auch in dieser Interpretation beeindruckend in ihrer Klarheit und Sanftheit. Und um ein letztes Beispiel zu nennen: "Aber der Herr sieht es nicht", in der Anlage hoch dramatisch, verlangt nach einem kräftigen, wechselweise verzweifelten, drohenden und fast blindwütigen bis wahnsinnig wirkenden Chorgesang - was die Chorgemeinschaft glänzend meisterte.

Zurück zum Inhalt: Elias verlangt einen Gottesbeweis für Baal und bietet einen für Jahwe an. Zunächst wird Gott als liebevoll, fast neutestamentarisch, besungen, doch als die Baalspriester versagen und "geschlachtet" werden, wird Gott zum Rächer und Bestrafer. Ist das zeitgemäß? An dieser Stelle kann man fragen, ob "Elias" für die Kirche von heute geeignet ist? Oder ist das Werk von historischer, nicht liturgischer Bedeutung? Musikdramaturgisch ist hier sicherlich der Höhepunkt erreicht, aber darf dies auch von der "Take-Home-Message" der Gipfel sein? Blickt man einmal auf die Ebene über die erzählte "Elias"-Geschichte, dann geht es doch darum, gottesfürchtig zu sein - in dem Sinne, dass man unbedingt an Jahwe glauben soll. Das wird aber nicht drohend dargestellt, sondern die Mehrheit der Nummern des Oratoriums ist wie Werbung - für den "wahren Gott". Für mich als Nichtgläubigen, aber zugleich Bibelkenner, ist das keine sonderlich angenehme Vorstellung... Und doch gehört "Elias" für mich zu den besten Oratorien - aber eben als starkes Musikdrama.

Aber warum ist es für Gedenktage geeignet? Es ist kein Requiem und keine Beschreibung des Leidensweges Christi. Und doch scheint Leid auf: Ein Volk leidet, weil es gewissermaßen auf das falsche Pferd gesetzt hat. Und vor allem leidet der treueste Anhänger des "wahren" Gottes, der sich immer wieder bestraft sieht, obwohl er in seinen Augen doch nur Richtiges getan hat. Mut und Hoffnung, das zu tun, was man für richtig hält - das ist vielleicht die optimistische Aussicht, die dieses Werk im übertragenen Sinn vermittelt - jenseits von christlichem Fundamentalismus. Der Optimismus liegt - mehr noch - darin, auch in dunkler, trüber Zeit seine Ideale hochzuhalten und Gutes zu tun. Hier erwächst aus einem negativen Anfang durch Engagement Gutes, das man sich bewahren muss und als Positives für weiteres Engagement ausbauen sollte. Im Kern ist es das, was ich über die fantastische Musik hinaus aus dem Werk herausziehe.

Die Interpretation sehe ich insgesamt als sehr gelungen an, die Chorstimmen empfand ich - anders als Ehmanns - nicht als zu schwach, sondern im Rahmen dieser Interpretation als angemessen. Die vier Gesangssolisten - Johanna Isokoski (Sopran), Melanie Langs (Alt), Roman Payer (Tenor), Markus Volperts (Bariton) - waren, da pflichte ich dem Kollegen bei - herausragend. Ich hatte allerdings keine Probleme mit einer zu kraftvollen Stimme von Volperts, sondern der erste Einsatz Payers störte mich als zu "heldisch", was sich allerdings bei späteren Einsätzen angenehm relativierte.

Wahl des Werkes und Vortrag können also als glänzend betrachtet werden. Die Zuhörerschaft aber sollte zum Nachdenken angeregt werden; sie muss meine Analyse nicht teilen, aber dennoch nach Aussagen für heute zwischen den Zeilen suchen. Und sie sollte den historischen Wert wie auch die fantastische dramaturgische Anlage mit wirklich schöner Musik wertschätzen. Der große Beifall am Ende belegte, dass die Aufführung bestens ankam.