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Musikkritik: 8. Sinfoniekonzert: "Tränen und Flammen" - und genau das war es auch!

am . Veröffentlicht in Musik

aula19kwvon Dr. Götz Loos

Der Chef Rasmus Baumann stand beim 8. Konzert der Sinfonischen Reihe dieser Spielzeit wieder einmal vor der Neuen Philharmonie Westfalen am Mittwochabend in der Konzertaula. Im Einführungsvortrag holte Roland Vesper weit aus, um das persönliche Leben von Robert und Clara Schumann zu erläutern - und dessen Einfluss auf Schumanns Musik und seine Psyche. "Tränen und Flammen" wollte er seiner späteren Frau widmen. Um seinen bipolaren Charakter in eine "milde" und eine "wilde" Seite zu kanalisieren, erfand er in diesem Zusammenhang zwei Identitäten für sich namens Florestan und Eusebius. Um dieses Wechselbad der Identitäten geht es in Enjott Schneiders gleichnamigem Werk, Untertitel: "Robert-Schumann-Gedanken für Orchester". Durch ein abwechselnd laut tönendes, unheimlich murmelndes, sanft-zärtliches, aufbrausendes und dann alles verwebendes Klanggefüge werden die Wechselspiele in Schumanns Kopf nachgezeichnet, während Zitate aus prominenten Werken des Komponisten die Zuhörerschaft immer wieder daran erinnert, um wen es hier geht. Grandios interpretiert von Baumann und der NPW - also hohe "Flammen"!

Dann Robert Schumann selber: Das Konzert für Klavier und Orchester a-moll op. 54, eines der bekanntesten überhaupt. Clara war hier eindeutig Muse für das hochromantische Werk. Aber weil es oft gespielt wird, erwartet man kaum Neues darin zu entdecken. Doch mit Lise de la Salle am Flügel ergaben sich neue Einblicke in Interpretationsmöglichkeiten. Wesentlicher Aspekt dabei war die fast sezierende, übermäßige Betonung der Akkorde der Melodien im ersten Satz. Durch diese Art des Ausdrucks wurden die Melodien transparenter, anschaulicher - und einfach mit neuem Geschmack genießbar. In den schnellen Partien wirkten die Klänge hingegen organisch, fließend, eher von der Virtuosin ausgehaucht als technisch umgesetzt. Und in der Bach-Zugabe verstellte sie sich nicht und setzte Bach durch die romantische Schulbrille um. Lise de la Salle möchte ich als eine der interessantesten Klaviersolisten und -innen der letzten Jahre ansehen. Ganz große "Flammen"!

Doch so fantastisch der erste Teil des Konzertes war, umso bitterer enttäuschend war der zweite - "Tränen", Tränen! Ich gebe zu: weil Brahms' 1. Sinfonie zu meinen Lieblingsstücken erster Garnitur gehört, lege ich hier hohe Ansprüche und Maßstäbe an - und als Referenz eine Interpretation von Karajan und den Berliner Philharmonikern - absolutes Nonplusultra unter den vielen dutzend Interpretationen, die ich von dieser Sinfonie kenne. Viele Interpretationen heute neigen zu einem zu schnellen Tempo - und Karajan war gewiss auch nicht langsam - und deshalb wirkt z.B. der erste Satz überhastet. Das war hier zwar nicht der Fall, dafür wurden Taktenden verschluckt und "Bremsen" eingebaut, die ich in der Partitur nicht finde. Wenn man etwas loben möchte, dann doch die Interpretation des dritten Satzes (der mir besonders am Herzen liegt), die abgesehen von wiederum einer "Bremse" doch gut war - und im vierten Satz das (Clara besonders zugeeignete) Hornthema samt nachfolgender Melodie. Apropos Horn: Die Hörner waren des öfteren im Verhältnis zum Restorchester zu laut. Wirklich schlimm gestaltete sich aber der zweite Satz: Das Tempo war gerade für ein "Andante sostenuto" nicht nur gefühlt zu schnell. Dadurch misslang der gesamte Satz, aber der beste Messfühler dafür war die in Takt 38 einsetzende Oboenmelodie, die von der Klarinette in eine andere Richtung weitergeführt wird - gut interpretiert herzzerreißend; hier allerdings lieblos herunter gehetzt (ja, hier klang es tatsächlich nur so!).

So ist das Konzert - dem überschwänglichen Applaus zum Trotz - nur als durchwachsen zu bewerten: Erst majestätische Flammen, dann unendlich bittere Tränen...