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Musikkritik: "Russisches Roulette": Das 4. Sinfoniekonzert der Neuen Philharmonie Westfalen - wieder ein Meilenstein der Professionalität

Geschrieben von Redaktion am . Veröffentlicht in Musik

Musik Datei176696959 Urheber abstract fotoliaDatei: #176696959 | Urheber: abstract | fotolia.comvon Dr. Götz Loos

Kamen. "Russisches Roulette" spielte die Neue Philharmonie Westfalen mitnichten am Abend des 4. Konzertes ihrer derzeitigen Spielzeit in der Konzertaula - es war vielmehr das Motto dieses Sinfoniekonzertes. Und das mit gutem Grund: Der Terror der Stalinzeit in der Sowjetunion spielte bei den ersten beiden Komponisten eine Rolle: Auf der einen Seite Dmitri Kabalewskij, der im staatlichen Musikbetrieb als Funktionär mitwirkte, als Komponist aber auch nicht immer gut gelitten war; andererseits Dmitri Schostakowitsch, der von Stalin und seinen Spießgesellen direkt angegriffen wurde. Als Dritter in der Runde kommt Tschaikowskij hinzu, der mit seinen persönlichen Damönen zu kämpfen hatte, inklusive Selbstmordversuch. Sein Schicksal spiegelt sich in seinen Sinfonien besonders ab der Vierten - und genau diese kam hier zu Gehör.

Von Kabalewskij, der bei uns sowieso relativ selten zu hören ist, hatte Generalmusikdirektor Rasmus Baumann die wirklich selten gespielte "Ouvertüre pathétique" ausgewählt. Sie zeugt von gewisser Schlichtheit, kommt aber angenehm hörbar herüber, regelrecht Filmmusik-artig, wie Kerstin Schüssler-Bach zurecht im Programmheft schreibt. Der Glanz des Werkes würde von der Neuen Philharmonie unter Gastdirigent Alexander Kalajdzic hervorragend herausgearbeitet. Er setzte mit relativ verhaltenen Gesten bei allen Werken eine tadellose Exaktheit und einfühlsame Interpretation.
 
Schostakowitsch war mit seinem Konzert für Violine und Orchester Nr. 1 a-moll op. 77 vertreten. Den Solopart spielte der Violinenvirtuose Jiří Vodička. Die Erstaufführung dieses 1947/48 komponierten Werkes gelang erst nach Stalins Tod im Jahre 1955, konzipiert für David Oistrach, der dann auch der Solist war. Jiří Vodička überzeugte in dieser Interpretation durch ein sehr engagiertes, furioses Spiel, wie ein "Teufelsgeiger", aber mit absoluter Präzision. Das machte Lust auf mehr. Als Zugabe gab es eine wirklich kleine Miniatur.
 
Tschaikowskijs Sinfonien, die ich sehr genau studiert habe, wecken entsprechend eine gewisse Erwartungshaltung in der Interpretation. 
 
Der Anfangseindruck bei der Schicksalsfanfare und den einleitenden Taktfolgen war etwas schleppend, doch das legte sich bald. Heraus kam insgesamt eine grandiose, angemessene Interpretation, die das Publikum begeisterte. Beispielsweise verlangt meiner Ansicht nach der zweite Satz am Anfang im Oboensolo nach einem stakkatoartigem Vortrag, was hier bestens eingelöst wurde. Und der dritte Satz, das Pizzicato, das Balalaikaklänge nachahmen soll, einen relativ schnellen, betonten Rhythmus, was hier ebenfalls bestens gelang.
 
Bei Gesprächen in Pausen und danach gelauscht, war ich enttäuscht zu hören, dass Schostakowitsch Werk schlecht davon kam. Natürlich, über Geschmack kann man kaum streiten. Aber dieses Violinkonzert verlangt nach Respekt schon allein wegen seines historischen Wertes. Und es verlangt deshalb nach einer Würdigung, die über den persönlichen Geschmack hinauszugehen hat.