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Musikkritik: "Der Mikado" - vergnügliche und überragende Projekt-Aufführung der Kamener Musikschule

Geschrieben von Redaktion am . Veröffentlicht in Musik

von Dr. Götz Loos

Musik Datei176696959 Urheber abstract fotoliaKamen. An zwei Abenden brachte ein von Bettina Lecking geleitetes Projekt der Städtischen Musikschule Kamen die Operette "Der Mikado" von Gilbert und Sullivan auf die Bühne der Konzertaula. Der Zweiklang "Gilbert und Sullivan" ist hierzulande deutlich weniger ein Begriff als in Großbritannien und den USA. Der Dichter und Schriftsteller William Schwenk Gilbert und der Komponist Arthur Sullivan waren im guten letzten Viertel des 19. Jahrhunderts ein Team bei der Erarbeitung zahlreicher komischer Opern bzw. Operetten, wobei sie letztes Attribut nicht verwendeten, in der Konsequenz aber die Parallelen zu deutschen und österreichischen Operetten in Musik und Handlung naheliegen. Die Anforderungen in Gesang und szenischer Darstellung darf man dennoch nicht unterschätzen. Umso bewundernswerter, dass die Musikschule bzw. Bettina Lecking sich eines Projektes annahm, eines der entsprechenden Werke von Gilbert und Sullivan - eben "Der Mikado" (1885 in London uraufgeführt) - zu erarbeiten und letztlich aufzuführen. Mit Andreas Gilles als technischem Leiter und Regisseur wurde Professionalität angestrebt. Statt des kleinen im Original vorgesehenen Orchesters wurde Alexander Litowski mit dem instrumentellen Part als reine Klavierbearbeitung betraut. Die deutsche Fassung des Werkes von Walter Brandin und Arno Assmann wurde immer wieder etwas variiert und den heutigen Zeiten angepasst.

Durch Corona war die Musikschule praktisch zwei Jahre ziemlich kalt gestellt. Umso erfreulicher ist die Tatsache, dass man jetzt endlich wieder mit einer Aufführung an die Öffentlichkeit treten konnte - und das doppelt - und mit was für einer! Um die Gesamtbewertung voran zu stellen (ich besuchte die Aufführung am Sonntag): Das äußerst amüsant angelegte Werk wurde hervorragend umgesetzt. Mühe, Einsatz und Ernte der gewiss anstrengenden Einstudierung haben sich gelohnt. Die Intention, das Publikum vergnüglich zu unterhalten, wurde zum Allerbesten erreicht. Zweifellos gelang es, wenigstens für eine kleine Zeit die Nöte der Zeit hinter sich zu lassen.

Die Geschichte ist wirklich verwickelt und dennoch durchschaubar, auf zwei Akte aufgeteilt. Sie spielt in einer japanischen Stadt Titipu (Nebentitel des Werkes "Ein Tag in Titipu", original "The Town of Titipu"), die gehalten ist, reichlich unsinnige wie grausame Verordnungen und Gesetze des Kaisers, des Mikado, umzusetzen. Co-Co, der angesehene Scharfrichter der Stadt, ist dies nur geworden, weil er selbst zuvor ein Flirtverbot gebrochen hat und selbst zum Tode verurteilt war. Da er sich selbst schwerlich hinrichten kann, sind alle Vollstreckungen ausgesetzt. Co-Co möchte sein Mündel Yam-Yam heiraten, aber diese ist verliebt in Nanki-Poo, vorgeblich ein Musiker (in dieser Aufführung ein vierter Posaunist, was bei Orchestern bekanntlich selten ist). Nanki-Poo ist natürlich untröstlich über die Situation und gedenkt sich umzubringen. Da der Mikado über die fehlenden Hinrichtungen verärgert ist, macht Co-Co Nanki-Poo den Vorschlag, dass er Yam-Yam heiraten soll und nach einem Monat hingerichtet werden soll, aber er so wenigstens eine Zeitlang das Glück genießen könne. Dem stimmt Nanki-Poo zu. Doch jener ist eigentlich gar kein Wandermusiker, sondern der Sohn und Thronfolger des Mikado, der der herrischen und blutrünstigen Hofdame Katisha versprochen ist. Kurz: Der Mikado erscheint, erfährt, dass sein Sohn angeblich bereits hingerichtet sei und will dafür Co-Co exekutieren lassen. Letztlich lösen sich alle Verwicklungen auf, Nanki-Poo bekommt Yam-Yam und Katisha wird von Co-Co erfolgreich umgarnt - und in einer großen Finalszene wendet sich Alles zum Guten. Skurrilität und operettenhafte Süße scheinen hier gemischt, doch es ist viel mehr: Gilbert war ein Meister bissiger, ironischer, sarkastischer, grotesker Geschichten und Phrasen, mit viel Spott und Satire auf die herrschenden Verhältnisse. Die Übertragung der Kritik an den viktorianischen Verhältnissen in Politik und Verwaltung, in Korruption, Vetternwirtschaft, Bürokratismus, Ämterhäufung, Amtsmissbrauch, aufgesetzter Spießigkeit als Fassade etc. kann problemlos in die heutige Zeit übersetzt werden, auch für unsere Verhältnisse hierzulande. Sullivan hatte immer wieder versucht, durch die Musik manche Phrasen von Gilbert zu "entschärfen", dennoch sollte die Botschaft, wenn auch satirisch verpackt, stets deutlich werden.

Die Aufführung wäre natürlich nur halb so interessant, wenn die Protagonisten sich nicht ins Zeug gelegt hätten. Schauspielerisch-darstellerisch leisteten alle Beteiligten Großartiges - herrlich dabei auch die ständige Überzeichnung des Grotesken. Gesangsmäßig gab es freilich Qualitätsunterschiede, aber auch Unterschiede von Person zu Person auf hohem Niveau, die bestens passten. So brillierte Eva Redlin als Katisha mit einer kraftvollen Musical-gefälligen Stimme. Jan-Christian Oxe als Nanki-Poo hingegen sang sehr betont "kunstmusikalisch", ausdifferenziert und mit schönem Klang. Dem vergleichbar war die ausdrucksvolle Stimme von Luise Grünastel als Yam-Yam. Übergreifende Register zog Uwe Göritz, der Co-Co überragend darstellte, mit lyrischem Gesang bis stechendem Sprechgesang, auch die Übergänge von Gesang zu Sprech brillant meisterte. Beste Nuancen bewies auch der Mikado selbst, Josef Meinolf Opfermann. David Breuing beispielsweise war gesanglich nicht so stark, verkörperte jedoch schauspielerisch den gerissenen Ämterhäufer Poo-Bah in der schauspielerischen Darstellung so glänzend, dass das Publikum reichlich zu lachen hatte. Solche Momente erreichte auch Erzählerin Constanze Hünecke mit immer distanziertem, leicht arrogantem Unterton.

Wer diese Aufführungen nicht gesehen hat, sei attestiert, dass etwas in der Musikgeschichte Kamens verpasst wurde.