-Anzeige-

Anzeige

Musikkritik: Zweites NPW-Sinfoniekonzert der Spielzeit 2022/23 - "Königinnen"

Geschrieben von Redaktion am . Veröffentlicht in Musik

Musik Datei176696959 Urheber abstract fotoliaDatei: #176696959 | Urheber: abstract | fotolia.comvon Dr. Götz Loos

Kamen. Bei diesem Programmnamen denkt man unwillkürlich an eines der zeitgeschichtlichen Ereignisse, das wir eben erst erlebt haben - den Tod der britischen Königin Elisabeth II. Und tatsächlich spielt gerade auch diese Monarchin beim Programm eine Rolle. Zu ihrer Krönung war Benjamin Britten mit der Komposition einer Oper beauftragt worden - "Gloriana" geheißen - die Elisabeth II. förmlich mit Elisabeth I. verband. Jene Epoche war dann maßgebend für das Werk - und was wir an diesem Konzertabend als erstes Stück hören durften, waren dann die "Courtley Dances" aus "Gloriana", op. 53a von Britten.

Dieses außergewöhnliche Werk einmal in Kamen zu hören, ist der Verdienst von GMD Rasmus Baumann, der sich wirklich stets um ein außergewöhnliches Programm für die Neue Philharmonie Westfalen bemüht. Und so war auch die Interpretation hervorragend erarbeitet, mit Sorgfalt zwischen Brittens Imitation der Tudor-Renaissance und seinen charakteristischen zeitlosen Elementen glücklich balancierend.

Einer der Gründe für meine leider verspätete Rezension liegt in der ausführlichen Beschäftigung mit dem zweiten Werk des Abends, das ich erst kennenlernen musste: Joseph Jongens Symphonie concertante für Orgel und Orchester op. 81 von 1926. Und hier kam dann eine andere Königin zum Vorschein, die "Königin der Instrumente", gespielt von dem Orgelvirtuosen Christian Schmitt, der auf internationalem Parkett äußerst gefragt und entsprechend prominent ist.
Das Werk selbst hat eine interessante Geschichte, die ich hier aber nicht weiter ausbreiten möchte. Die Vielschichtigkeit und der Abwechslungsreichtum insbesondere des praktisch durchgehenden und meist führenden Orgelparts, aber auch der orchestralen Anteile, sind spätromantischer Monumentalität geschuldet, wobei Jongen kompositionstechnisch dort nicht stehengeblieben war.

So war der erste Satz dominiert von barock-kirchenmusikalischer Struktur ("im dorischen Modus" war Vorgabe des Komponisten), gewandet in französischer Spätromantik, wo Orgelpunkte eine Rolle spielten; Fugato-Techniken reizte Jongen aber noch mehr aus. Der zweite Satz war mit Divertimento überschrieben, brachte zwar erst oft Taktwechsel, tänzerisch im Ausdruck, füjrte aber letztlich zu engem, teils sehr innigem und innehaltendem Orgel-Orchester-Dialog. Die himmlische Ruhe kam im "Molto lento", mit breiten, klangfarblich interessanten Passagen, impressionistisch verarbeitet - wie man sagt, was jedoch ist das eigentlich? Meiner Meinung nach hörte man in diesem dritten Satz den Komponisten und seinen persönlichen Ausdruck am besten heraus. Und schlussendlich ein vierter Satz, eine Toccata, äußerst dynamisch, manchmal sehr laut, die Orgel fechtend mit Blech und den Streichern und Holzbläsern widersprechend, nicht unversöhnlich, aber mit mächtigem Höhe- und Endpunkt. Zweifellos war es eine grandiose Interpretation, zumal Christian Schmitt ein intimer Kenner des Werkes ist und die Führungsrolle der Orgel erkennbar optimal ausspielte.

Für mich freilich war die Erwartungshaltung bezüglich des letzten Werkes, der so genannten "Orgelsinfonie" (eigentlich Sinfonie Nr. 3 c-moll op. 78, "mit Orgel") von Camille Saint-Saëns, am größten, weil es zu meinen (nicht wenigen...) Lieblingsstücken zählt. Ich hätte nie erwartet, es jemals in der Konzertaula zu hören, aber Christian Schmitts digitale Orgel machte es möglich. Allerdings möchte ich hier nichts beschönigen - der erste Teil des ersten Satzes (ohne Orgel - von der Anlage her eigentlich ein ganzer Satz) enttäuschte mich sehr. Ein zu schnelles Tempo wurde genommen, wodurch das Sehnen und Schluchzen, wie ich es als typisch für diese Sinfonie empfinde, kam nicht zum Vorschein, kein Ausdruck, eher ein fortwährendes Stolpern. Schade! Erst mit dem "Poco adagio" änderte sich die Stimmung. Ab da war ich ziemlich begeistert - und das hielt an bis zum Ende". Der majestätische Einsatz der Orgel zu Beginn des finalen Teils ließ mich positiv schaudern, das berühmte Thema (in Film und Popmusik verarbeitet) berührte - es wurde aber von Schmitt wie vom Orchester ein wenig mehr "kratzbürstiger" durch größere Markigkeit der letzten Akkorde herrübergebracht.

Natürlich gab es nach dem kraftvoll-üppigen Ende stehende Ovationen. Insgesamt war ich letztlich auch begeistert (von der Mehrzahl der Interpretationen), wobei für mich Jongens Werk am meisten fesselte. Dass die Leistungen von Christian Schmitt freilich von höchster Virtuosität waren, versteht sich fast von selbst.