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Musikkritik: Drittes NPW-Konzert der Spielzeit 2022/23 - mit einem glänzenden Oratorienchor "The Apostles"

Geschrieben von Redaktion am . Veröffentlicht in Musik

von Dr. Götz Loos

Musik Datei176696959 Urheber abstract fotoliaMusik Datei176696959 Urheber abstract fotoliaEdward Elgars Oratorium "The Apostles" ist ein wahres Monumentalwerk. 1903 uraufgeführt, ist es nicht sehr häufig in Kontinentaleuropa zu hören, während es in Großbritannien wie das gesamte Schaffen Elgars beliebt ist. Daher kann man Franz-Leo Matzerath und seine Chöre nur bewundern, dass sie sich dieses Werk für die Konzerte an diesem Wochenende vorgenommen haben - am Samstag in Schwerte, am Sonntag in der Konzertaula Kamen. Gefördert wurde das Konzert nicht nur vom Landesmusikrat NRW, sondern auch von "The Elgar Society", die sich der Förderung eines breiteren Interesses für Elgars Leben und Musik verschrieben hat. Die Neue Philharmonie Westfalen spielte, die Chorgemeinschaft bestand gewohnt aus dem Oratorienchor der Stadt Kamen und dem Chor der Konzertgesellschaft Schwerte, zu denen sich hier der Evangelische Kammerchor Kamen hinzugesellte. Als solistisch Singende traten Simone Krampe (Sopran), Michaela Unsinn (Mezzosopran), Gustavo Martin Sanchez (Tenor), Michael Adair, Florian Dengler und Markus Volpert (alle Bass) auf.

Die Leistungen der Ausführenden seien bereits vorweg bewertet: Eine grandiose und bombastische Meisterleistung! Und das gilt für alle Beteiligten! Die Professionalität gerade der Chorgemeinschaft, so meine ich, hat hier einen neuen Höhepunkt erreicht - und ich habe da sicherlich besonders genau hingehört. Sowohl im Gemeinschaftsklang wie auch in den jeweils geforderten Stimmengruppen war die Darstellung praktisch makellos und mit größtem Wohlklang ausgeführt. Beeindruckend war auch das Klangvolumen der Chöre - groß, rund und absolut synchron. Man sagt ja immer, man sollte distanzierter kritisieren - aber wenn man begeistert ist, warum mit der Begeisterung hinter dem Berg halten...?! Die Interpretation als Ganzes war entsprechend bestens gelungen und die von Elgar vorgesehene Dramaturgie erkannt und umgesetzt. Erfreulich zudem, dass das Oratorium im englischen Original interpretiert wurde - auch das gelang glänzend.

Die Dramaturgie war durch die kompositorische Anlage ebenfalls nachvollziehbar, aber nicht ununterbrochen von beeindruckender Güte - und deshalb kann ich mir - ohne den Inhalt zu vertiefen - etwas (nicht durchgehend sehr positive) Werkkritik nicht verkneifen. Also dann: Nach einem sanften und feierlichen kurzen Vorspiel des Orchesters, bei dem ein Motiv erscheint, das später immer wieder einmal auftritt, setzt der Chor ein mit einem Prolog, der berührend endet.

Danach beginnt der erste Teil mit der Szene 1, der Berufung der Apostel. Auch hier gibt es Berührendes, vereinzelt werden Motive eingeführt, die beizeiten - aber selten - wiederkehren. Hier wie in der Szene 2 (Am Wege) sind allerdings weite Abschnitte durch ein "Durchhangeln" oder "Vorwärtsstreben" gekennzeichnet, mit kompositorisch bedingt langen flachen Passagen ohne großes Wiedererkennungsvermögen, in Taktänderungen meist wenige Überraschungen. Man hat den Eindruck, gerade weil Elgar lange an dem Werk gearbeitet hat, aber es mit der Textvorlage Probleme gab und am Ende Schreibblockaden und Zeitdruck vorherrschten, fehlten Einfälle "schönerer", einprägsamerer Melodien - und so sind Längen entstanden. Deshalb ist "The Apostles" nicht mein Elgar-Lieblingswerk, obgleich ich ihn ähnlich schätze wie Franz-Leo Matzerath.

Der erste Teil des Werkes umfasst noch zwei weitere Szenen (3a und 3b). Kompositorische Stärken sehe ich im ersten Teil in einigen Chorstücken (Szene 1: "The Lord hath chosen them...", Szene 2: "The work of righteousness shall be peace", Szene 3b: "Proclaim unto them..." - hier eine starke Dynamik hin zu einer Art Zwischenhöhepunkt), fast szenisch-metaphorisch die Musik, als Maria Magdalena in 3b singt: "And they that are in the ship...".

Der zweite Teil, beginnend mit Szene 4 (Der Verrat), setzt mit einem breit wehklagenden Intro ein. In dieser Szene voller Dramatik existieren mehr Wechsel in Tempo und Dynamik, stakkatohaftes Rufen, viele Punktierungen, scharf marschhaftes Fortschreiten, maximal dynamisch bei Judas' Eingeständnis des Verrates, zum Ruf nach der Kreuzigung Jesus' sehr starke Blechbläser- und Schlagwerk-Dynamik und Trauermarschschritt. Hier also mehr Theatralisches, jedoch bleiben auch Melodien singulär und wenig einprägsam.

Die kurze Golgatha-Szene (5) fällt hingegen vergleichsweise sanft in den Klängen aus. Es folgt "Am Grabe" (Szene 6), am Ende mit einem schönen Chor der Engel. Die Frauenstimmen (Sopran und Alt) der Chorgemeinschaft waren hier absolut fantastisch in ihrer Ausdrucks- und Vortragskraft. Kombiniert mit einem versöhnlichen instrumentalen Ende der Szene gehört dieser Teil für mich zum kompositorisch Besten des Oratoriums.

Bleibt noch Szene 7, die Himmelfahrt. Auch hier tauchen einige beeindruckende Chorstücke auf, die der "Mystische Chor" vorträgt. Die Apostel und die "Heiligen Frauen" gehen nahe mit "All the ends of the world". Die Kreuzigung ist hier explizit "eingebaut", eher zart und doch dramatisch, musikalisch am Ende mit einer Wendung ins Positive. Und die abschließenden Teile beeindrucken mit einer Dynamik und Ausdrucksstärke, die man mit Mahlers "Sinfonie der Tausend" vergleichen möchte. Als Resümee möchte man sagen: Je inhaltlich dramatischer, desto günstiger komponiert.

Trotz der Längen ist also viel zu entdecken und man kann sich in manchen Teilen beeindrucken und berühren lassen. Die Tonsprache hat Elgar übrigens nicht selten an Mendelssohns Kompositionen, insbesondere seinen biblischen Oratorien orientiert. Das fällt bei diesem Werk deutlicher aus als bei anderen.

In jedem Fall war das Konzert ein Erlebnis, das eine Menge an Höreindrücken hinterließ und die Chorgemeinschaft in Bestform zeigte.