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Gedicht der Woche: Maulwurf (Tierchen im Coronajahr)

Geschrieben von Redaktion am . Veröffentlicht in Wort & Buch

gedicht der woche20KW fiedels adstock 96941854Enthält Datei #96941854 | © Fiedels | Adobe Stock
 
Das Vorwort
 
Kamen ist eine Stadt der Literatur, gleich mehrere, auch überregional bekannte Schriftsteller wohnen hier. KamenWeb.de möchte darauf durch die Reihe "Gedicht der Woche" hinweisen.
 

Maulwurf (Tierchen im Coronajahr)

Blind wie ein Maulwurf, heißt es
Herablassend, gemein, woher sollte
Denn dein Sehvermögen kommen
Bei dauernder Dunkelheit
In endlosen Gängen, Tage wie Nächte
Ein kurzes Leben, schwarzes Kerlchen
Wenn es hoch kommt drei, vier Jahre

Deine Äuglein stecknadelkopfklein
Dein weiches Fell wie Samt
Und Seide, die Vorderpfötchen
prächtige Baggerschaufeln
Seitwärts gerichtet, ideal zum Graben
Und Wühlen wie dein walzenförmiger
Rumpf, also grab weiter, kleiner Kerl

Bis mal wieder ein kleines gelbbraunes
Erdhäufchen fällig ist auf grünem Rasen
Bis dahin makellos, penibel gepflegt oder
Welche auf der Koppel, der Kuhweide
Womöglich, ach nein, wir halten
Die Viecher zu unserem Nutzen
doch längst im Stall auf engstem Raum

Du aber hast Auslauf satt in deinen Gängen
Gräbst unsichtbar im Untergrund, schaufelst
Emsig und bleibst unentdeckt, verborgen
Unseren Augen, was führst du im Schilde
Was heckst du diesmal Schlimmes aus
Sag, wohin führt dich deine dunkle Röhre
Doch nur zu einem Maulwurfshaufen

Auf grüner Wiese, sichtbar für alle
Eine Eruption, gewaltige Erhebung
Einem Vulkanausbruch gleich
Doch nur ein bisschen Lehm, womöglich
Eine üble Stolperfalle, dass sich der Gaul
Den Huf verrenkt, unsere Einförmigkeit
Jedenfalls hast du empfindlich gestört

Im alten Rom die Katakomben
Zufluchtsstätte für Verfolgte
Vor den Häschern auf der Flucht
Auch du sollst nicht im Zirkus enden
Gottes Geschöpf den Löwen zum Fraß
Gekreuzigt und zur Schau gestellt
Und dann, bevor ich es vergesse

Weil es längst zum Alltag gehört
Schon wieder haben sie einen Acker
Eine schöne Maulwurfwiese
Weggeschoben und zubetoniert
Zack...und deine Gänge zugedeckelt
Über Nacht, und deine Plackerei
Hat ein für alle Mal ein Ende

Nur im Kinderbuch bist du noch
Hoch angesehen, Grabowski und Pauli
Lustige Gesellen. hingegen du gemeiner
Maulwurf, schuftest nur in finsterem Gang
Wie Kohlenkumpel in der Grube, schwarze
Sklaven auf Baumwoll- und Tabakfeldern
In Alabama, Tennessee, Virginia

Untergrund hier tief im Süden
Sklaven zu befreien, Fluchtweg
In den freien Norden, wo immer
Das sein mag, Bluthunde stets
Auf eurer Spur, euer Leben nichts wert
Sie fangen und verschleppen euch
Zu verkaufen euer geschundenes Fell

Wie eh und je beten sie von der Kanzel
Alle Menschen sind Brüder, Herr
Doch erlöse uns von den Niggern
Wir schießen sofort, Gettos in Flammen
Was für ein Land, was für ein Frieden
In dem Menschen Ihr eigenes Haus anzünden
Sag selbst, Maulwurf, putziger Gesell

So gemein die Menschen und blinder
Als einer von euch schwarzen Kerlchen
Es jemals war, sei auf der Hut, pass auf
Und tapp in deinen dunklen Gängen
Nicht blindlings in ganz üble Fallen, sonst
Bist du ausgeliefert blindem Hass
Und sie haun dich mit der Schüppe platt

Gerd Puls