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Kamener Stadtpflanzen - Folge 62: Stechend, nicht brennend: Hohlzähne

Geschrieben von Redaktion am . Veröffentlicht in Natur & Umwelt

von Dr. Götz Loos

SP62 1GLBestand des Stechenden Hohlzahns (Galeopsis tetrahit) am Unkeler WegKamen. Der Volksmund unterschied früher im Plattdeutschen nicht: Daunettel, Dauwnettel oder -n(i)ättel oder ähnliche Bildungen waren gleichfalls die Namen von Taubnesseln wie von Hohlzähnen, beides Lippenblütler mit typischen Lippenblüten. Und ohne Brennhaare. Und doch hatte man schon früher bemerkt, dass manche davon stechen und manche nicht.

Insgesamt habe ich innerhalb der Kamener Stadtgrenzen sechs Hohlzahn-Arten gefunden (zwei davon in Pflanzenkenner-Gärten gepflanzt und verwildert). Die richtig stechenden Pflanzen gehören zur hier häufigsten Sippe, nämlich dem Stechenden oder Gewöhnlichen ("Gemeinen") Hohlzahn (Galeopsis tetrahit). Seine langen, in Grannen auslaufende Kelchzähne an den Blüten sind derart starr und am Ende zugespitzt, dass sie stechen, wenn man die Pflanze ergreift - oder sie pieksen an den Beinen, wenn man einen Bestand streift. Durch das Gegendrücken auf die starren Kelche kann der Hohlzahn in Folge des Zurückschnellens, wenn der Druck nachlässt, die Samen fortschleudern.

Kelche wie Kronenfarbe sind übrigens veränderlich: bei den Kronen von reinweiß (mit gelber, violettstrichiger Zeichnung) über rosa, purpurn in Schattierungen, rot bis purpurviolett, bei den Kelchen von grün bis schwarzviolett. Alle Formen kann man in einem Bestand finden, es gibt aber auch komplett einheitliche Vorkommen. Weißkronige Bestände herrschen in Kamen-Mitte vor.

Der Stechende Hohlzahn ist keineswegs häufig in den Siedlungsgebieten von Kamen-Mitte zu entdecken. Deutlich häufiger wächst er in und an Kamens Wäldern auf Schlag- und Staudenfluren darin und an Waldwegen sowie an Wald-, Gebüsch- und Heckensäumen, sonst auch in Gräben. Im Siedlungsbereich ist er am ehesten auch an Gehölzsäumen aufzufinden, auch in meist älteren, halbschattig gelegenen Gärten. Die Staudenfluren an den alten Zechenbahnen sind ein Schwerpunkt.

Die Unterlippe der Krone ist beim Stechenden Hohlzahn am unteren Rande gestutzt und gerade oder unregelmäßig gezähnelt. Stößt man hingegen auf Exemplare mit meist deutlich kleineren, (hier) stets rosafarbenen Kronen mit weißlichen Partien sowie Kronen-Unterlippen, die in der Mitte einen Spalt besitzen, handelt es sich um den Zweispaltigen Hohlzahn (Galeopsis bifida). Er hat auch kürzere Kelche und ist dort weicher, nicht so pieksig.
Der Zweispaltige Hohlzahn ist in ganz Kamen sehr selten und eher auf sauren Böden des Sauerlandes verbreitet, daneben auch auf Sandböden des Münsterlandes. Im Siedlungsbereich Kamen-Mitte wurde er nur zweimal gefunden, vermutlich mit Torf oder Sand eingeschleppt in Vorgärten.

SP62 4GLWeichhaariger Hohlzahn (Galeopsis pubescens) aus Ansaat eingebürgert am GartenplatzEine dritte Art erinnert an die dunkel purpurkronigen Formen des Stechenden Hohlzahns, doch sticht sie nicht (die Kelchzähne sind kürzer und erst zur Fruchtzeit starrer) und die Kronen sind deutlich größer. Es ist der Weichhaarige Hohlzahn (Galeopsis pubescens). Er ist in NRW ausgesprochen selten, insgesamt eine östliche Art. Von einem sicherlich eingeschleppten Vorkommen in Lünen-Brambauer säte ich vor einigen Jahren Samen im Vorgarten aus; dort ist die Art inzwischen eingebürgert, auch in benachbarten Plattenfugen.

Der Begriff: Lippenblüte
Bei Lippenblüten handelt es sich um Blüten, bei denen die Kronblätter so verwachsen sind, dass eine meist kleinere "Oberlippe" (aus meist zwei Kronblättern) und eine größere "Unterlippe" (aus drei Kronblättern) ausgebildet werden. Am hinteren Ende der Krone ist eine Röhre entwickelt, die sich weitestgehend im ebenfalls verwachsenen Kelch verbirgt. Unter der Oberlippe sind die Geschlechtsorgane (Staubblätter und Griffel) der Blüte versteckt. Die Unterlippe dient als Landeplatz für bestäubende Insekten. Landen sie dort, wird ein Mechanismus ausgelöst, der Pollen vom Rücken der Insekten an die Narben am oberen Griffelende bringt und umgekehrt Pollenstaub auf den Insektenrücken abstreift. Um an Nektar zu gelangen, müssen Insekten tief in die Kronröhre hinein bzw. ihre Saugorgane entsprechend weit ausfahren. Hummeln machen es sich oft einfach und beißen von der Seite her Löcher in Kelch und Krone nahe ihrer hinteren Enden und kommen so direkter an den Nektar.
Typische Lippenblüten finden sich bei den allermeisten Gattungen der Familie Lippenblütler (Lamiaceae). Ähnliche Blütenformen existieren allerdings auch in anderen Familien.