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Stadtgeschichte: Antonius Praetorius, der vor 430 Jahren zum ersten Rektor der Kamener Lateinschule ernannt wurde

am . Veröffentlicht in Stadtgeschichte

Titelseite Praetorius Bericht Zauberey 1602 (Quelle: Wikipedia)Antonius Praetorius  1560 – 6.12.1613

Ein öffentliches Schulwesen oder gar die allgemeine Schulpflicht gab es im 16. Jh. nicht. Das tägliche Leben eines Bauern oder Handwerkers zu meistern, brauchte es nicht vordringlich Lesen und Schreiben, dafür gab es die städtischen Schreiber. Die Schulen, die es gab, waren kirchliche oder Klosterschulen, in denen die „septem artes liberales“ (das Trivium: Grammatik, Rhetorik und Dialektik und das Quadrivium: Arithmetik, Geometrie, Astronomie und Musik) gelehrt wurden. Umso höher ist die Tatsache einzustufen, daß Camen bereits seit 1418 eine Bürgerschule hatte, auch wenn diese klein war, in einem alten, teilweise baufälligen Gebäude untergebracht, das nur aus einem Klassenraum unten und der Lehrerwohnung oben bestand. Das Dach war undicht, es regnete hinein. Heizen konnte man nur manchmal, es mangelte an Geld, an Lehrmaterial, es fehlte an allem. Buschmann berichtet in seiner Stadtgeschichte von 1841, daß „die Schule allhier etliche Jahre mit fleißigen, erbaren Schuldienern nit fast woll versehen gewesen“. Das sollte sich 1580 ändern.

In diesem Jahr kommt ein gewisser Anton Schulze, gebürtig aus Lippstadt, als Lehrer nach Kamen, nennt sich aber, der mittelalterlichen Tradition folgend, lateinisch Antonius Praetorius. Hier heiratet er 1584 Maria, eine Kamenerin, die ihm 1585 den Sohn Johannes gebiert. Offenbar ist er ein guter Lehrer, er erwirbt sich bald Ansehen. Schon 1586 wird er zum Rektor der Kamener Lateinschule bestellt – dem Vorläufer des heutigen Städtischen Gymnasiums – was durch eine Urkunde vom 28. April 1586 im Kamener Stadtarchiv belegt ist. Er ist wohl ein sehr guter Lehrer, denn man traut ihm zu, die „übel erzogenen wilden Rangen“ zu „Gottesfurcht, Zucht und Tugend“ (Stadtchronist Pröbsting) erziehen zu können. Um die Erziehung ihrer Kinder zu verbessern und diesen guten Lehrer halten zu können, stiften 14 prominente Kamener Bürger 1520 Taler und 72 Taler Rente pro Jahr, woraus Praetorius und zwei weitere Lehrer bezahlt werden sollen.

Trotz dieses Vertrauensbeweises hält es Praetorius hier nicht mehr lange. Hartmut Hegeler, Unnaer Pfarrer, hat sich am ausführlichsten mit Praetorius befaßt und seinen Lebenslauf nachgezeichnet. 1587 ist er bereits lutherischer Diakon in Worms, bekennt sich danach zum Calvinismus, für den er missionarisch tätig wird. Mehrfach wechselt er seine Stellung, als er 1593 ein entscheidendes Erlebnis hat, zum zweiten Mal nach 1573. Er wird Zeuge des Dalberger Hexenprozesses und empört sich dermaßen über „schändliche, närrische und greiflich lügenhafte Dinge von teuflischer Gemeinschaft“, daß er zum ersten Mal eine Schrift gegen Hexenprozesse verfaßt.

Die zweite Hälfte des 16. Jh. ist geprägt von Pestepidemien und Mißernten, die von den Menschen mangels naturwissenschaftlicher Erklärungen als Gottes Strafe für menschliches Fehlverhalten verstanden werden. Dann suchte man die Schuld bei einem „Sündenbock“ und führte allen Schaden auf „Schadenszauber“ zurück. Unter Folter sollten die Beschuldigten gestehen, mit dem Teufel im Bunde zu sein. Das Geständnis war nach der kaiserlichen Halsgerichtsordnung wichtig, denn nur dann konnte man die Todesstrafe verhängen.

Als er 1597 von seinem neuen Dienstherrn, dem Grafen von Büdingen und Birstein, als Mitglied des Hexengerichts gegen vier Frauen berufen wird – „Hexen“ wurden übrigens nicht, wie gemeinhin unterstellt wird, von der Kirche verfolgt, sondern meist von anderen Bewohnern des Ortes – und erlebt, wie grausam die Folter gegen vermeintliche Hexen angewandt wird, gerät er außer sich vor Zorn und nennt die Richter „Totschläger“, die „zur Ungerechtigkeit Lust haben und unschuldiges Blut vergießen“. Sie werden „sich selbst in die unterste Hölle abstürzen“. Nachdem drei der Frauen zu Tode gekommen sind, verlangt Praetorius die sofortige Freilassung der Überlebenden. Und hat Erfolg! Es ist kein weiterer Fall bekannt, daß ein Pfarrer während eines Hexenprozesses die Unmenschlichkeit der Folter erkennt und eine Gefangene befreien kann.

Natürlich verliert er seine Stelle als Hofprediger des Grafen, doch läßt ihn sein Birsteiner Erlebnis nicht mehr los. 1598 schreibt er das erste Buch in der Geschichte gegen Hexenprozesse, „Gründlicher Bericht von Zauberey und Zauberern …“, in dem er, strikt der Bibel folgend, schlüssig alle Argumente gegen Hexenprozesse aufführt und vehement die Abschaffung der Folter fordert. Damit stellt er sich auch gegen Luther und Calvin. Sein Buch hat großen Erfolg. Da er sich damit in Lebensgefahr bringt, veröffentlicht er seine Schrift in den ersten beiden Auflagen nur unter Pseudonym. Erst die dritte Auflage erscheint unter seinem eigenen Namen. Sie enthält ein Gutachten lutherischer (!) Theologen  aus Nürnberg, so daß sie zu einem öffentlichen Appell gegen Folter und Hexenprozesse wird, mehr als nur die Ansicht eines einzelnen.

Bei dieser Ausgabe spielen auch Kamener Bürger noch einmal eine Rolle. Bürgermeister Hermann Reinermann, Richter Johann Bodde und Pfarrer Wilhelm Schulenius waren bereits 1586 unter den Stiftern für die Kamener Lateinschule. Jetzt sind sie wieder als Unterstützer des ehemaligen Rektors tätig geworden, wie eine vorangestellte Widmung bezeugt.

Antonius Praetorius stirbt am 6.12.1613 in Laudenbach an der Bergstraße.

Text: Klaus Holzer, Kultur Kreis Kamen