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Die Kamener lutherische Gemeinde und ihre Kirche

Geschrieben von Redaktion am . Veröffentlicht in Stadtgeschichte

von Klaus Holzer

Nachdem Kamen 1589 den ersten Reformierten, also calvinistischen Prediger Heinrich Bock in die Stadt geholt hatte, wurde es den wenigen verbliebenen Lutheranern schwer gemacht, ihre Gottesdienste nach lutherischem Bekenntnis zu feiern. Sie mußten sich in Privaträumen treffen, waren keine Pfarrgemeinde und hatten keinen Pfarrer. Ganz im lutherschen Sinne stand nur Jesus Christus zwischen ihnen und ihrem Gott.

Immerhin hielten die Kamener Lutheraner über 100 Jahre lang zusammen, gewissermaßen als Trutzburg inmitten des calvinistischen Umfelds, vielleicht auch gestärkt durch das Wissen, daß die Methleraner auch Lutheraner waren.

1699 endlich trauten sie sich, ein Gesuch an den Kurfürsten Friedrich III. von Brandenburg zu richten (Kamen war seit 1609 brandenburgisch), er möge ihnen die „Erlaubniß zur freien Religionsausübung“ geben, wenn auch nur für einen „verdeckten Gottesdienst“, d.h. in Privaträumen wie bisher, aber nun legal und nicht mehr heimlich. Nach der Ablehnung – die Reformierten empfanden die Lutheraner als bedrohlich und schädlich für die Stadt –, bewegte sich erst einmal gar nichts. Dann, 1701, kamen ihnen die politischen Umstände zu Hilfe: das Kurfürstentum Brandenburg wurde zum Königreich Preußen. Daraufhin kam ein preußisches Regiment nach Hamm, eine Abteilung nach Kamen, allesamt Lutheraner. Diese unterstützten die Kamener, und am 24. März 1714 erteilte der König durch „Cabinets-Ordre“ endlich die ersehnte Erlaubnis zur Gründung einer eigenen Gemeinde. Und schon am 22. April hielt diese zum ersten Mal einen feierlichen Gottesdienst ab, natürlich noch in einem privaten Saal, dem der „Jungfer Beckmann“, eine Kirche gab es ja noch nicht, geschweige denn einen Prediger. Für diesen ersten Gottesdienst holte man sich Magister Hafer aus Unna. Und drei Wochen später, am 10. Mai, dem Himmelfahrtstage, teilte Pastor Davidis aus Unna der Gemeinde zum ersten Male das heilige Abendmahl nach lutherischem Ritus aus. Zu Ostern 1715 kaufte sie ein Haus und richtete es als Kirche her.

Lutherk 323 1 KHDie Lutherkirche in den 1950er Jahren, noch klar als Straßenkirche zu erkennen. Im Hintergrund der Vogelhof. Foto: Stadtarchiv

Es dauerte aber noch bis zum 2. August 1744, bis die heute noch stehende „richtige“ Lutherkirche eingeweiht werden konnte. Es handelt sich um eine preußische Straßenkirche, d.h., sie steht in der Flucht der anderen Häuser in der Straße (die heute nicht mehr stehen), sie durfte keinen Kirchplatz und auch keinen Turm haben (der Dachreiter kam erst viel später hinzu) und also auch keine Glocken. Es ist eine Saalkirche von 21,50 x 9 m. Viele der zum Bau verwendeten Steine stammen aus dem kurz zuvor abgerissenen Mühlentor.

Erst 1868 erhielt die Kirche ihre erste Glocke, angeschafft aus Eigenmitteln, 1872 die zweite, ein Geschenk Kaiser Wilhelms I., gegossen aus dem Erz französischer Geschütze,  erbeutet im gerade gewonnenen deutsch-französischen Krieg 1870/71. Für beide Weltkriege wurden die wertvollen Bronzeglocken beschlagnahmt und eingeschmolzen. Erst seit dem Erntedanktag 1954 hat die Kirche wieder ihr volles Geläut.

Die Bombardierung Kamens am 24./25. Februar 1945 traf auch die Lutherkirche, Dach und Fenster litten schwer. Erst am 1. Advent 1950 konnte wieder Gottesdienst gehalten werden.

Da die Gemeinde immer arm war, kaum jemals einen Pfarrer, Lehrer und Küster bezahlen konnte, gingen ihre Pfarrer immer wieder auf vom König genehmigte sogenannte Kollektenreisen, damit sie sich wenigstens das Minimum an für den Gemeindebetrieb Notwendigem leisten konnte. Und manche dieser Reisen waren durchaus erfolgreich, zog doch der Prediger Fabricius Ende der 1760er Jahre die sichere Kollekte der unsicheren Kamener Pfarrstelle vor und verschwand mit dem Geld auf Nimmerwiedersehen.

Es ist nicht überliefert, wann die Kirche ihre erste Orgel bekam. Die heute noch gespielte wurde 1895 im Zuge einer Renovierung angeschafft, nur ihre originalen Zinnpfeifen fielen dem Ersten Weltkrieg zum Opfer.

LutherK 323 2 KHDer Blick auf den Altar heute. Foto: Jürgen Funke, Kamen

Zwei Besonderheiten müssen erwähnt werden. Die Kirche hat einen in Westfalen sehr seltenen Kanzelaltar: wie kommt er nach Kamen? Und wie kommt die Jahreszahl 1656 auf den Altar einer Kirche, die erst 1744 eingeweiht wurde? Haben ihn womöglich die preußischen Soldaten aus Brandenburg, wo dieser Typ Altar weit verbreitet ist, mitgebracht? Der Taufstein trägt den Namen „Berchem“. Das Wappen läßt auf die Familie von Berchem zu Berchum schließen. Berchum ist ein Stadtteil von Hagen. Wie kommt er von dort nach Kamen?

Seit den 1820er Jahren gab es immer wieder Druck von oben, aber auch Versuche vor Ort, die Reformierten und die Lutheraner zu unieren. Sie scheiterten aber allesamt an unterschiedlichen Befindlichkeiten. Erst als nach dem I. Weltkrieg 1919 das Kirchenrecht umfassend neu geregelt und die Kirchensteuer eingeführt wurde, gelang die Einigung und die Gründung der Evangelischen Kirchengemeinde Kamen.

LutherK 323 3 KHDie Lutherkirche nach der Renovierung 1925, mit den Namen der Gefallenen des Kriegs beidseits des Altars. Foto: Stadtarchiv

Bei der großen Renovierung 1925 wurde auf beiden Seiten des Altars eine große Tafel mit den Namen der 331 Gefallenen des Krieges aufgemalt und links und rechts die beiden großen Wandgemälde gestaltet: Jesu Kreuzigung und Jesu Himmelfahrt. Die Namen der Gefallenen wurden bei der Renovierung und Reparatur Ende der 1960er/Anfang 1970er Jahre als „nicht mehr zeitgemäß“ übermalt. „68“ zeigte auch hier seinen Zeitgeist. Aber der wechselt bekanntlich mit jeder Zeit.

Regelmäßig öffnet sich die Lutherkirche der Öffentlichkeit, ob christlich oder nicht, und lädt im Gegenzug ein, sich ihr zu öffnen. Sie hat ihren festen Platz in der Stadt, die kleinste der drei großen Kirchen, die so unscheinbar in der Kampstraße steht.

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