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40 Jahre evangelischer Kammerchor - Protestantismus ohne Kirchturmdenken

Geschrieben von Redaktion am . Veröffentlicht in Musik

von Reinhard Fehling

kammerchor1023RFAus einer Singe-Laune als evangelischer Jugendkammerchor vor 40 Jahren unter dem unvergessenen Kantor Wilhelm Kellner entstanden, hat der evangelische Kammerchor nie Herausforderungen gescheut. Vielfältige bemerkenswerte Aufführungen säumen seinen Weg und mannigfache - für einen Kirchenchor auch ungewöhnliche - Kooperationen mit anderen Chören zeugen von seiner Weltoffenheit.

Nun also ein weiterer Paukenschlag im Jubiläumsjahr. Mit Bachs Choralmotette 'Sei Lob und Preis mit Ehren' gab es zwar einen etwas verhaltenen Auftakt, in dem sich die Choralmelodie aus den polyphonen Umschlingungen eher tastend denn strahlend löste und der grübelnde Ernst des Mitteldeutschen durchklang. Aber welch ein Kontrast dazu das instrumentale Feuerwerk, das die 'Caterva Musica' mit Vivaldis frühem Violinkonzert 'Grosso mogul' abbrannte!

Der Gelsenkirchener 'Familienbetrieb' der Fabris in Geigen und Viola im Verein mit weiteren instrumentalen Hochkarätern ließ die pralle Sinnenfreude der sonnengereiften Italianità des jungen Vivaldi Klang werden. Sicher hat Bach, der ein paar Jahre nach Entstehung des Werks davon eine Abschrift anfertigte, mit Bewunderung auf diese Leichtigkeit geschaut. Primadonna assoluta ist ohne Zweifel die Violine, die keine Schwierigkeiten scheut. Elke Fabri löste diese Aufgabe virtuos, mit stupender Technik, mehr auf den großen Bogen als auf Kleinteiligkeiten ausgerichtet. Und ehe den langen Kadenzen der Ecksätze der Atem ausging, setzte (con Schmackes! gewissermaßen) das Tutti ein: Herrlich unbeschwert, ohne 'groß Mogulieren' und keinen Ton länger als nötig.

Man kann sich vorstellen, dass der junge Hallenser Händel, aus strenger Schule in Hamburg kommend, als er seine 4-jährige Studienreise nach Italien antrat, von den neuen musikalischen Eindrücken überwältigt war. Von Florenz und Rom führte ihn sein Weg nach Neapel, damals der Brennpunkt der musikalischen Entwicklung. Unbekümmert um tridentinisch konziliare Vorgaben zur Beschränkung der Musik auf Förderung der Andacht, musizierten Alessandro Scarlatti, später die Leos, Feos und Pergolesis sinnenfroh und weltzugewandt auf der Schwelle zur Klassik dahin. Händel sog die Eindrücke begierig auf und sein 'Dixit dominus', ein Geniestreich des 21-jährigen, eröffnete eine neue Klangwelt, deren hier entfaltete Blüten später in England reiche Frucht tragen sollten.

Das Werk stellt an den Chor große Anforderungen. Zwei Chor-Soprane, der höhere häufig in den höchsten Höhen jubilierend (von den Damen respektabel bemeistert!), alle anderen Stimmen auch gehörig gefordert, müssen die polyphonen Kaskaden und mächtigen homophonen Wirkungen über die Ziellinie bringen. Kein Zweifel: Der Kammerchor legte auf diesem Wege eine fulminante Steigerung hin. Man hatte das Gefühl, Chor und Instrumentalensemble wuchsen unter der aufmerksamen, präzisen Leitung von Raphaël Arnault immer mehr zu einer Einheit zusammen. Schwierigkeiten, die in der Probenarbeiten als schwer zu bewältigen erschienen, lösten sich - wie der teils kriegerische Text des 110. Psalms, den die abgedruckte deutsche Übersetzung des Italienischen noch schlimmer macht - im wahrsten Sinn des Wortes in Wohlgefallen auf. Wie schön, dass ein genialer Tonsetzer solche Textbedeutung mit seiner hinreißenden Musik wegkomponieren kann. Darum brauchen wir heute dieses Tondenkmal nicht zu kommentieren oder nachträglich zu verbessern; wir können es genießen als historisches Fanal der Musikgeschichte.

Interessanterweise zeigt sich das Zukunftsweisende dieser Musik besonders in den beiden Arien. Hier vernimmt man Engel; manches klingt schon so, als ob man den späteren 'Pergolesi angelicus' singen hörte. Nicht unmöglich, dass der vom 'Sassone' Händel Anregungen zurück empfangen hat. Beide Solistinnen, Silke Weisheit (Alt) und Cécilia Basile (Sopran), machten sich dieses Idiom, mit gesammelter Empfindsamkeit hier und perlendem Wohllaut dort, zu eigen. Besonders da, wo sie sich mit den Chormännerstimmen beim 'Er wird trinken vom Wasserfall' vereinen, ist der Höhepunkt der Innigkeit erreicht.

Ein würdiges Jubiläumskonzert also - und wieder eines mit Blick auf die Welt, diesmal durch die Zugabe des 'Verleih uns Frieden gnädiglich'. Möge sich der evangelische Kammerchor weiter wachen Sinnes Herausforderungen stellen. Um die Zukunft sollte dieser Singe- und Lebensgemeinschaft dann nicht bange sein.

Archiv: 40 Jahre Ev. Kammerchor Kamen: Feierliches Konzert am 31.10. in der Pauluskirche