von Alex Grün
Kamen. Er könne sich gar nicht mehr daran erinnern, wann das letzte Mal ein positives Zeichen vor dem Ergebnis stand, scherzte Kämmerer Ralf Tost bei der Vorstellung des zweiten Finanzberichts 2021 in der letzten Sitzung des Rates der Stadt Kamen. Dabei jedoch in Jubel auszubrechen, wäre unpassend gewesen. Denn dass das positive Ergebnis von heute die Schulden von morgen sind, ist den Mitgliedern des Rates hinlänglich bekannt.
Bilanzierungshilfe ist das Stichwort: dadurch, dass entgangene Erträge und geleistete Aufwendungen in Höhe von 5,3 Millionen Euro in der Gewinn- und Verlustrechnung im Zuge der Corona-Maßnahmen als außerordentliche Erträge verbucht werden durften, weist die Ergebnisbilanz einem Jahresüberschuss in Höhe von rund 1,2 Millionen Euro aus - der Planwert lag bei -5,67 Millionen Euro. Die für nächstes Jahr angestrebte Haushaltskonsolidierung ist über diesen Weg sozusagen trotz und gleichzeitig wegen der Pandemie jetzt schon erreicht. Die Zahlen, die zu den außergeordentlichen Erträgen geführt haben, seien auf Herz und Nieren geprüft worden, ob sie den Bedingungen für Coronaschäden entsprechen, erklärte Tost auf Anfrage der CDU-Fraktion. Die Schadensbezifferung, die auch von der Aufwichtsbehörde noch einmal geprüft werde, sei "in trockenen Tüchern", sagt Tost. So seien etwa die Gebühren für Rettungstransporte in erwartungsgemäßer Höhe von rund einer Millionen Euro in den ersten Monaten der Pandemie komplett weggebrochen, so der Kämmerer. Die Angst, sich im Krankenhaus zu infizieren, sei bei vielen Menschen höher gewesen, als die vor Infarkten, Schlaganfällen oder sonstigen akuten Erkrankungen - ein klassischer Corona-Schaden für die meisten Kommunen, denn das Phänomen war bundesweit zu beobachten.
Die Erträge, die eigentlich Schulden sind, müssen im Laufe der nächsten 50 Jahre abgeschrieben werden. Dies bedeute, dass entweder Überschüsse zu machen oder Kassenkredite aufzunehmen seien. "Die Coronaschäden werden uns mindestens bis 2029 begleiten", sagt Kämmerer Tost. Sie seien in diesem Jahr doppelt so hoch gewesen, wie 2020 NRW-weit angenommen. Schon für das nächste Jahr sagt Tost Mindereinnahmen von rund elf Millionen im Bereich von Schlüsselzuweisungen voraus, die sich mindestens in den nächsten drei Jahren weiter hinziehen würden. Die Gewerbesteuereinnahmen etwa hinken der Planung bereits jetzt eine Million Euro hinterher, auch die Entwicklung der Umsatzsteuer sei zum aktuellen Stand von gerade einmal 765.000 Euro besorgniserregend. "Die Schulden werden 50 Jahre lang in unserer Bilanz stehen", sagt Tost, daher brauche die Kommune eine Entlastung bis weit über das Jahr 2024 hinaus. Er hoffe auf eine allgemeine Schuldenerleichterung für die Städte und Gemeinden nach der Bundestagswahl, so der Kämmerer.
SPD-Fraktionsvorsitzender Daniel Heidler habe "keinen Zweifel daran, dass sich diese Zahlen bestätigen werden". Er selbst habe in seiner lokalpolitischen Karriere noch keinen ausgeglichenen Haushalt miterlebt, für ihn sei es sozusagen eine "Premiere", so Heidler. Gleichzeitig warnte er vor unangemessener Euphorie, "angesichts der Tatsache, dass die außerordentlichen Erträge in Wahrheit Schulden sind". Daher heiße es: Immer wachsam bleiben und stetig Appelle an die richten, die das Konnexitätsprinzip nicht ausreichend achten, denn: "die Kommunen sind systemrelevant", so Heidler. CDU-Fraktionschef Ralf Eisenhardt war bei der Vorlage des letzten ausgeglichenen Haushaltes immerhin schon in der Jungen Union aktiv, "Mitte der Neunziger" müsse das gewesen sein, schmunzelte Eisenhardt. Auch er sei davon überzeugt, dass die Kommunen mit Blick auf die Coronaschäden besser ausgestattet werden müssten. Einstimmig beschloss der Rat, den Jahresabschluss an den Rechnungsprüfungsausschuss weiterzuleiten. Ebenso einstimmig wurde wieder auf die Aufstellung eines Gesamtabschlusses verzichtet.