Foto: Leif Dryden für KamenWeb.de
von Dr. Götz Loos
Foto: Leif Dryden für KamenWeb.deWer war Robert Gilbert? Das werden heute nur noch wenige wissen - obwohl seine Texte vielen in den Ohren sind... Das wurde zumindest dem Publikum klar, das vergangenen Sonntag in der Konzertaula dem "biografischen Bilderbogen nach Texten von Robert Gilbert" unter dem Haupttitel "Zwischen Bar und Barrikade" beigewohnt hat. Reinhard Fehling hat den Bilderbogen zusammengestellt, bereits vertonte Texte eingebracht und reichlich selbst komponiert.
Viele Mitwirkende hat er mitgebracht: Kammerschauspielerin Barbara Blümel, Schauspieler Michael Kamp als Rezitatoren, als Chor seine "Letzten Heuler" - dabei einige Mitglieder mit Soloauftritten, dann den Solosänger Holger Woltering und schließlich ein Ensemble mit Piano, Violine, Kontrabass, Saxophon, Trompeten, Posaune und Xylophon/Percussion - unter dem Namen "Bar- und Barrikaden-Combo". Eingetaucht in die Zeit insbesondere der Weimarer Republik wurde durch eher dezente Kostümierung. Aber dadurch wurde schon direkt klar, dass dieser Zeitraum zumindest ein sehr wichtiger für Gilberts Schaffen war.
Am Anfang wurde rezitiert - ein Protokollauszug aus einer Sitzung der McCarthy-Kommission: Hanns Eisler sollte Auskunft zur "Ballarde von der Krüppelgarde" geben, komponiert auf einen Text Gilberts - bitterer Sarkasmus auf die durch den Krieg Verstümmelten; hierauf folgte das Lied, ein Arbeiterkampflied abseits der üblichen Norm. Eisler vertonte einige entsprechende Texte aus Gilberts Feder zu Arbeiterkampfliedern, auch das folgende "Auf den Straßen zu singen" und später das "Stempellied 1929", welches die Arbeitslosigkeit beklagt, die die letzte Phase der Weimarer Republik einleitete. Aber Gilbert konnte auch anders: Glück und Liebe, die alten Themen - daraus Schlager, die diese Bezeichnung noch verdienen. Werner Richard Heymann komponierte die vorgetragenen Lieder "Irgendwo auf der Welt" und das sehr bekannte "Liebling, mein Herz lässt Dich grüßen". Noch bekannter das Singspiel "Weiße Röss'l", Musik von Ralph Bernatzky - Gilbert steuerte die Liedtexte bei; hier zu hören waren "Im Weißen Röss'l" und "Im Salzkammergut". Gilbert, der eigentlich David Robert Winterfeld hieß, war ein waschechter Berliner, konnte aber auch Österreichisch - vor den Nazis war er zunächst nach Wien geflohen. Die Flucht endete in den USA und dazu passend dann "Da wär's halt schön, wann mer Englisch könnt'", Noten von Hermann Leopoldi. Und dann noch Gilberts Arbeit als Übersetzer von Musicals: Leider nichts aus "My fair Lady", aber "Alles, was du kannst" aus Irving Berlins "Annie, get your gun". Soweit der Reigen aus bereits vorhandenen, teils sehr bekannten Stücken auf Basis von Gilberts Arbeit. Bedeutend interessanter waren die sechs Texte bzw. Gedichte Gilberts, die von Reinhard Fehling speziell für diesen Abend vertont wurden. "Aufbruch der Nation" von 1933 zeichnete düster und textlich ohne Umschweife die "nationale Revolution" der Nazis, musikalisch schwankend zwischen Finsternis und beißender Ironie. Dagegen melancholisch - elegisch - fast nostalgisch der "Abschied von Berlin": Text und chansonartige Melodie erzeugten gleichermaßen diese Niedergeschlagenheit... verstärkt noch durch einen "Stoßseufzer 1943", in der die Bombardierung Berlins leise beklagt wird. Zunächst... ganz anders der "Sonntagslatscher (an der Havel)"; ein lustiger Sonntagsspaziergang im Berliner Dialekt, der sich aber wandelt in Kritik an Nazistaat und Mitläufertum. Fehling machte daraus einen Schlager im Salonorchesterstil - durchaus die Wandlung vom Spaß zum politischen Ernst kompositorisch begleitend. Beim "Aufstand der Musike" spielt plötzlich ein altes elektrisches Klavier in einer Kneipe die "Internationale", in der Nazizeit... und verstört anfangs die Gäste, die dann aber zur Tagesordnung übergehen. Fehling baute Variationen der "Internationalen" in einen teils tanzbaren Schlager ein, der streckenweise in ein Arbeiterkampflied mutiert - vielleicht die beste Komposition dieses Abends. Romantisch und melancholisch dann das "Andante Cantabile": Natur, Liebe und vor allem das Altern stehen hier im Mittelpunkt - und Fehlings Komposition zart und zurückgenommen, wehmütig und gefühlig - einfach schön. Zum Ende "leichtsinnige Aphorismen" mit dem sinnigen Titel "Bilder einer Einstellung", bei denen wiederum die Vergänglichkeit wesentlich durchscheint. Die neuromantischen Sprachbilder gerade dieses Textes sehe ich als Höhepunkt in Gilberts Schaffen und als finales Stück ist es wohlgesetzt. Reinhard Fehling findet auch hier überwiegend die richtigen Töne, wenn ich auch manche tiefersinnigen Passagen markanter, eindringlicher gestaltet hätte.
Bleibt noch ausnahmsloses Lob für alle Mitwirkenden - großartig auch die Solistinnen und Solisten aus Reihen des Chores. Die "Combo" hatte als Miniatur-Salonorchester große Aufgaben zu meistern, die ihm perfekt gelangen. Holger Woltering sang fantastisch, wenn er auch an das Charisma beispielsweise eines Max Raabe noch nicht ganz heranreicht. Und sonst sei noch besonders die Leistung Michael Kamps betont, der kurzweilig durch die Lebensgeschichte Gilberts führte, mit viel Berliner Schnauze, und mal charmant, mal frech, meist sehr amüsant oder auch ironisch herüberkam und als großartiger Conferencier sogar einen Gesangsvortrag übernahm. So kann man sagen, dass dieser Abend unterhaltend, kurzweilig, lehrreich war - und in Kombination und Wechselspiel von Musik und Text ziemlich genial.