von Dr. Götz Loos
Mehr Musik als sonst? Man hat in der Weihnachtszeit den Eindruck, denn überall scheint weihnachtliche Musik jeder Gattung auf uns einzuschallen, ob im Laden, auf den Weihnachtsmärkten, im Radio und Fernsehen sowieso, viele Weihnachtskonzerte (jedenfalls mehr als zu Ostern...) etc.
Die leichtere Muse wird mit Evergreens bedient wie "Last Christmas" von Wham oder "Driving Home For Christmas" von Chris Rea; letzteres übrigens guter Swing, nicht belangloser Pop! Dennoch kommen gerade diese immer wieder gespielten Songs manchen zu den Ohren raus oder werden zu "Running Gags" (so auch innerhalb von KamenWeb - nicht wahr, Armin?). Gleiches gilt für die ewig gleichen Weihnachtslieder - für die einen ein nicht zu missender Inbegriff von Weihnachten, für die anderen aber aufgezwungen und nervig. Da hilft auch die 135. TV-Reportage über die Entstehung von "Stille Nacht" nicht. Und tatsächlich ist das gute Dutzend an allen bekannten Weihnachtsliedern eine Auswahl unter hunderten - schade, dass man sich da zu wenig um Entdeckung und Breitenwirkung kümmert.
Viele Leute bemerken um Weihnachten mehr als sonst ihre klassisch-musische (im weiten Sinne) Ader, dabei sind es häufig Werke aus dem Barock. Der Standard ist Bachs Weihnachtsoratorium, aus dem zumindest die ersten drei Kantaten zu Gehör kommen - in Kamen vergeht kaum ein Jahr ohne entsprechende Aufführungen; so auch am letzten Wochenende mit Evangelischem Kammerchor und Kantorei. Immer wieder hörenswert und in beachtlichen Interpretationen, aber es ist doch längst nicht alles. Gern wird zu Weihnachten auch Händels "Messias" aufgeführt, in meinen Augen DAS barocke Oratorium besthin - aber genau betrachtet, spielt die Weihnachtsgeschichte darin nur eine Rolle unter mehreren. Das schönste spezifische Weihnachtsoratorium für mich ist allerdings dasjenige von Camille Saint-Saëns. Schon der Eingangssatz mit seinem moderaten Orgelintro und den Motiven in den Streichern geht mir sehr nahe und versetzt mich mehr als andere Stücke in den Eindruck eines besinnlichen, ruhigen Abends, drinnen und draußen, in der Weihnachtszeit. Von Saint-Saëns gab es angesichts seines 100. Todestages kürzlich Vermehrtes in Radio und TV, darunter auch das Oratorium. Mehrfach wurden Interpretationen seiner 3. Sinfonie, der "Orgelsinfonie" (richtiger: Sinfonie "mit Orgel"), gebracht. Wenn auch nicht für Weihnachten komponiert, so kann man dem Werk Weihnachtliches abgewinnen, allein schon weil die Kirchenorgel ein in der Weihnachtszeit gern gehörtes Instrument ist. Aber wer den Film "Ein Schweinchen namens Babe" in der Weihnachtszeit 1995 im Kino gesehen hat, dem wird die Musik unvergesslich sein, eben das prächtige Thema aus dem 4. (bzw. 2.2.) Satz genannter Sinfonie, das dort sowohl im gekürzten Original auftaucht als auch bearbeitet aus dem 70er-Jahre-Reggae-Popsong "If I Had Words" (Scott Fitzgerald/Yvonne Keeley) - zeitweise Dauerbrenner auf WDR 2 (wäre auch einmal etwas für unsere Chöre!). Zu Weihnachten stehen oft die bekannten Ballette von Tschaikowskij auf dem Programm, besonders "Der Nussknacker", der ja am Weihnachtsabend spielt. Das Ballett komplett bekommt man immer wieder im Fernsehen zu sehen, für das reine Hören wurde die "Nussknacker-Suite" vom Komponisten zusammengestellt. Diese beinhaltet zwar beeindruckende ausgewählte Musikstücke aus dem Ballett, man denke an den "Tanz der Zuckerfee" oder den "Blumenwalzer". Das in meinen Augen beste Stück fehlt hier jedoch, der "Schneeflockenwalzer", dessen überirdische Klänge in eine besinnliche Winterwald-Atmosphäre mit sanftem Schneegestöber führen. Russische Komponisten haben generell einige weihnachtliche Werke geschrieben, das meiste davon ist bei uns leider wenig bekannt. Gleiches gilt weithin für skandinavische Weihnachts- und Adventsmusik, insbesondere ungezählte schöne, eingängige Lieder. Genannt seien hier unter vielen die Komponisten und Arrangeure Gustaf Nordqvist aus Schweden ("Jul, Jul, strålande Jul"), der Däne Niels La Cour ("Hodie Christus natus est") und der Norweger Ørjan Matre ("Eit barn er født in Bethlehem"). Und auch der an sich in der Kirchenmusik bekannte Brite John Rutter hat viel mehr Gutes geschaffen und arrangiert als die Handvoll bei uns immer wieder aufgeführter Chorlieder.